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Segeln

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Segeln: Eine Schraube entscheidet

Francis Joyon will als Schnellster die Welt umsegeln. Jetzt gefährden Defekte am Boot sein Vorhaben.

Es ist beinahe drei Jahre her, da freute sich alle Welt über eine 1,60 Meter große Engländerin, die schneller als jeder Mann oder überhaupt ein Mensch vor ihr die Welt allein in einem Segelboot umrundet hatte. Für die 26 000 Meilen lange Strecke (48 000 Kilometer) benötigte Ellen MacArthur mit ihrem Trimeran „B & Q Castorama“ 71 Tage. Und nur einer freute sich nicht darüber: Francis Joyon, ein bulliger Bretone, der erst wenige Monate zuvor die Bestmarke mit einem sehr viel größeren Schiff auf etwas unter 73 Tage gedrückt hatte, was als „Fabelrekord“ galt. Doch jetzt holt er sich zurück, was ihm gehört.

Seit 22. November rast Joyons „Rote Spinne“ über die Weltmeere. „Idec II“ heißt der Trimeran, den sich der Segellehrer für die Rekordjagd gebaut hat: ein 30 Meter langes Ungetüm mit drei knallrot bemalten Bootsrümpfen, das vor dem Wind 520 Quadratmeter Segeltuch aufspannen kann, einfach zu handhaben ist und alles an Standards pulverisiert, was in der Geschichte des Einhandsegelns an Höchstleistungen vollbracht worden ist. 616 Meilen legte Joyon an einem einzigen Tag zurück, was der Strecke von Berlin nach Liverpool entspricht. So schnell war noch keiner, der allein unterwegs war. Joyons Vorsprung auf MacArthurs Bestzeit beträgt bereits zwölf Tage. Der Rekord dürfte ihm nicht mehr zu nehmen sein – es sei denn, der jetzt entdeckte Defekt am Mast macht doch alles zunichte.

Bei schwerem Seegang ist der 51-jährige Joyon bereits mehrfach in den 32 Meter hohen Mast geklettert. Dabei zog er sich Prellungen und eine Knöchelverletzung zu. Schlimmer aber dürfte ihn die Entdeckung getroffen haben, dass sich die Halterungsschauben für die Backstagen, die den Mast nach hinten sichern, herausdrehen. Er konnte den Schaden halbwegs beheben, segelt seitdem aber nur mit 60 Prozent. Die Last des Mastes hängt nun an einer 33-Millimeter-Schraube.

Damit unterstreicht Joyon seine Ausnahmestellung in dieser Disziplin maritimer Superlative und Rekorde. Er, der „Segel-Gorilla“, der nie eine renommierte Regatta gewonnen hat, umrundete den Globus als erster Extremsegler ohne Zwischenstop in weniger als 80 Tagen. Der Engländer Robin Knox-Johnston hatte 1969 für dieselbe Strecke noch 313 Tage benötigt. Sein Landsmann Nigel Tetley hätte ihm die Golden-Globe-Trophäe mit einem Multihull beinahe abgejagt. Der enorme Speed dieser radikalen Konstruktion erklärt sich aus dem günstigen Verhältnis von Segelfläche (Vortrieb) und benetzter Rumpffläche (Reibung). Doch tausend Meilen vor dem Ziel sank sein primitiver Sperrholz-Trimeran – und begründete den ambivalenten Ruf dieses Schiffstyps: schnell, aber nur für kurze Zeit. In den Achtzigerjahren wurde die Zeit von den Teilnehmern der BOC-Challenge- und Vendee-Globe-Rennen mit herkömmlichen Bootstypen weiter verkürzt. Erst als Francis Joyon 2003 mit einem der für ihre riskanten Segeleigenschaften berüchtigten Trimerane aufbrach, rief er das sehr viel höhere Leistungspotenzial der Mehrrümpfer wieder in Erinnerung, obwohl er sich ein zehn Jahre altes Boot („Idec“) gekauft hatte. Für neue Segel fehlte ihm das Geld, auch konnte er sich kostspielige Umbauarbeiten an dem für einen Einhandsegler absurd großen Geschoss nicht leisten. Seine Devise: einfach mal losfahren.

Beinahe wäre ihm geglückt, wofür sein Landsmann Olivier De Kersauson eine ganze Crew angeheuert hatte. Nur um einen Tag verfehlte er die Jules-Verne-Trophy für die schnellste Weltumrundung. Doch nach einer weiteren Rekordfahrt über den Atlantik übermannte ihn die Erschöpfung. Er schlief ein, die „Idec“ zerschellte an einem Riff.

Ein Schrat zur See sei er, heißt es über den zweifachen Familienvater, um den es nach dem Verlust des Schiffes still geworden war. Joyons Gelassenheit auch in schier ausweglosen Situationen ist legendär, seine physische Kraft enorm. Dass die Kampagne mit „Idec II“ nun dem professionellen Standard der „petite Anglaise“, wie MacArthur im Kernland der Einhandsegelei genannt wird, entspricht, korrigiert das Bild vom Instinktsegler. Wie MacArthur ließ Joyon seinen werftneuen Prototyp von Nigel Irens zeichnen. Die Philosophie dahinter: „Es ist ein einfaches Boot“. Die meisten Handgriffe lassen sich vom Steuerstand aus erledigen, eine kleine Kanzel schützt den Segler vor Gischt und Fahrtwind. Das ist auch nötig bei einem Gefährt, das in den südlichen Breiten mühelos 30 Knoten (56 Stundenkilometer) erreichen kann und sich anfühlt, als würde man mit einem Formel-1-Wagen über eine Schotterpiste rasen. Dass Joyons Schicksal nun an einer 33-Millimeter-Schraube hängt, zeigt, wie sehr jeder Rekord ein Abenteuer ist.

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