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Geduld ist beim Fliegenfischen entscheidend. Manchmal kann es nämlich viele Stunden oder sogar Tage dauern, bis endlich ein Fisch beißt.

© imago images/Cavan Images

Auf den Spuren von Coco Chanel: Die Faszination des Fliegenfischens

Lange galt Fliegenfischen als elitäre Beschäftigung. Heute hat die Angeltechnik ein Berliner Filmfestival erreicht. Was macht sie so faszinierend?

Wenn Jasper Pääkonen träumt, dann sieht er Bilder der reißenden Flüsse Lapplands. Der Fliegenfischer aus Finnland denkt dann an tosende Wasserfluten, die sich entlang karger Tundren scheinbar ins Unendliche schlängeln. Denn im welligen, unruhigen Wasser beißen die Lachse besonders gut.

In regelmäßigen Abständen sieht man aus der Gischt einen silbrig-grauen Fisch in die Luft emporschnellen, der sich einmal um die eigene Achse dreht und gleich darauf wieder in den dunklen Wellen verschwindet. „Über das Lachsfischen wurden mehr Bücher geschrieben als über jede andere Sportart“, sagt der finnische Fliegenfischer, „das Lachsangeln macht die Leute total verrückt.“

Er ist mit einem anderen Fliegenfischer nach Lappland gereist, um auf den atlantischen Lachs zu fischen. Der Film „The Selfish Generation“ von Gregory Markus Hegel begleitet die beiden auf ihrer Reise in den Norden. Er wurde am Montagabend neben drei weiteren Kurzfilmen auf dem Fliegenfisch-Filmfestival „Rise“ in Berlin gezeigt.

In beigen Watthosen stehen die Angler stundenlang im hüfthohen Wasser und versuchen einen der Fische mit ihren Ködern anzulocken, die wie Fliegen und andere Insekten aussehen. Im Gegensatz zu anderen Angelmethoden wird beim Fliegenfischen nicht das Gewicht des Köders als Wurfgewicht verwendet, sondern das Gewicht der speziellen Schnur. Um die federleichte Fliege auf die Wasseroberfläche zu befördern, braucht es deshalb eine besondere Technik – in den reißenden Wellen des lappländischen Flusses eine echte Herausforderung.

Eine kunstvoll gebundene „Fliege“, die als Köder dient.
Eine kunstvoll gebundene „Fliege“, die als Köder dient.

© IMAGO/Zoonar

Bei seiner letzten Tour dauerte es dreißig Stunden, bis ein Fisch biss, erinnert sich ein Angler im Film. Dabei folgt erst nach dem Biss der schwerste Teil, der Drill. Durch abwechselndes Schnur geben und Schnur einholen, wird der Kontakt zum Fisch gewahrt, bis er schließlich im Kescher landet. Dieser Vorgang kann mehrere Stunden dauern. Einige Lachse zappeln heftig, wehren sich und entkommen wieder.  

Das stundenlange Ausharren im kalten Wasser und die körperliche Anstrengung beim Drill sind ein Kraftakt. Da wundert es nicht, dass einer der Angler zwischendurch vor Erschöpfung einschläft. Doch trotz der körperlichen Betätigung herrscht in der Angel-Community Uneinigkeit, ob es sich tatsächlich um eine Sportart handelt.

Die Fliegenfischer in Lappland sprechen von einer „sterbenden Sportart“. Konnte in Finnland vor einigen Jahrzehnten noch jedes Kind fischen, weiß heute kaum jemand zwischen den Ködern Nymphen und Streamern zu unterscheiden.

Der sportliche Aspekt steht im Hintergrund

Carl und sein Vater, die Protagonisten des Kurzfilms „Postkarte aus Lappland“ von Christian Kessler, sind anderer Meinung. „Fliegenfischen ist kein Sport, sondern eine Beschäftigung mit der Natur“, sagt der Vater. „Die Wildfische leben mit der Natur im Rhythmus.“ Heutzutage hätten viele Kinder keinen Bezug mehr zur Natur, das wolle er ändern. Deshalb nimmt er den Sohn mit auf seine Reisen nach Skandinavien, zeigt ihm neben Wurftechniken auch unberührte Orte in der Natur und Rentierherden. Bereits mit drei Jahren fing Carl seinen ersten Fisch.  

Fliegenfischen ist kein Sport, sondern eine Beschäftigung mit der Natur.

Angler aus dem Film „Postkarte aus Lappland“

Martin Rahmel, Vorsitzender des Fliegenfischerverein Fario e.V. Berlin-Brandenburg, sagt: „Für mich ist Angeln absolut kein Sport.“ Angeln beinhalte zwar sportliche Elemente und sei sehr anstrengend. „Aber es handelt sich um Lebewesen, wir haben sozusagen die Lizenz zum Töten. Und weil es um Leben geht, sollte es keinen Wettkampfcharakter haben.“

Das Tierwohl, das in Deutschland im Grundgesetz verankert ist, ist auch der Grund, weshalb das Angeln streng geregelt ist. Es soll nur der Nahrungsaufnahme oder der sogenannten Hege und Pflege bei Überbeständen dienen. Das „Catch und Release“, also das Fangen und Freilassen, ist nur in speziellen Fällen erlaubt, zum Beispiel, wenn ein Fisch untermaßig ist oder sich in der Schonzeit befindet. 

Für viele Angler*innen steht nicht der Erfolg, sondern die Zeit in der Natur im Vordergrund.
Für viele Angler*innen steht nicht der Erfolg, sondern die Zeit in der Natur im Vordergrund.

© imago images/VWPics

In Berlin und Brandenburg ist Fliegenfischen alles andere als eine „sterbende Sportart“. Spätestens seit der Pandemie sieht man sogar Menschen, die in Parks probehalber ihre Schnüre auswerfen und Würfe trainieren. Der Verein Fario hat mittlerweile 150 Mitglieder und bietet regelmäßige Touren an.

Bei den monatlichen Stammtischen stehen außerdem Themen wie Umweltschutz auf dem Programm. Im vergangenen Jahr wurde Fario vom Deutschen Anglerverband für sein Engagement als Gewässer-Verbesserer ausgezeichnet. Die Mitglieder hatten zuvor ein neues Habitat für Laich- und Jungfische an der Dosse angelegt, einem Nebenfluss der Havel.

„Wir kümmern uns im Verein auch um die Wiederansiedlung von Lachs und Meerforelle“, sagt Rahmel. „Die Meerforelle ist dadurch mit dem Bestand wieder da, dass man pro Angler im Jahr einen Fisch fangen darf in Brandenburg.“ Der größte Moment sei für ihn, eine Forelle zu fangen und zu wissen: „Dieser Fisch, den du in der Hand hältst, ist nur da, weil du dich dafür engagiert hast. Das ist sehr bewegend und emotional.“ 

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Rahmel selbst spielte früher Tennis und Golf. Er kann deshalb verstehen, dass Fliegenfischen für viele mit Adrenalin und Wettbewerbsgedanken verknüpft ist. „Aber für mich ist das ein kognitiver Prozess. Ich gebe mich diesen Gedanken gar nicht hin, denn wir tragen Verantwortung für die Lebewesen.“ 

Für ihn steht beim Fliegenfischen vielmehr die tiefe Sehnsucht nach der Verbundenheit mit der Natur im Vordergrund. „Wenn ich fliegenfische, gibt es Momente, in denen ich eins bin mit dem, was ich da tue. Ich bin dann im Full Flow.“ Um solche Augenblicke zu erleben, bräuchte man keine Hubschrauber wie es in den Kurzfilmen der Fall ist. Dort fliegen einige Angler extra in abgelegene Gebiete Lapplands, um zu fischen und nächtigen in luxuriösen Hütten. „Das kann man auch in ganz kleinen Dingen erleben.“

Wenn ich fliegenfische, dann bin ich im Full Flow.

Martin Rahmel, Vereinsvorsitzender von Fario

Dem Klischee nach sind Angler meist alleine, wollen ungestört ihrer Beschäftigung nachgehen. Bei Fario fischen die Mitglieder aber von Zeit zu Zeit auch in Zweierteams. „Das ist sehr symbiotisch, wie ein Doppel beim Tennis. Wenn man viel kommuniziert, kann man gemeinsam sogar mehr Erfolg haben als alleine.“ 

Fliegenfischen galt lange als elitärer Sport, wurde mit Prinz Charles oder König Harald von Norwegen in Verbindung gebracht. Das ändert sich allmählich. Rahmel sagt: „Insgesamt sind wir im Verein ein Querschnitt der Bevölkerung.“ Normalerweise bewege man sich nur in seiner eigenen Bubble, aber im Verein würden sämtliche Berufsgruppen aufeinander treffen. Nur Frauen sind nach wie vor unterrepräsentiert, gerade einmal zwölf von 150 Mitgliedern sind weiblich.

Das will der Vereinsvorsitzende unbedingt ändern. „Ob man angelt, hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern mit der sozialen Prägung. Schließlich gab es auch berühmte Frauen, die Fliegenfischerinnen waren, zum Beispiel Coco Chanel.“ Die stand nämlich schon in den 1920er Jahren in Watthose im hüfthohen Wasser und zog einen Lachs nach dem anderen aus dem Wasser – so wie die Fliegenfischer in Lappland. 

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