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Sport: Sehnsucht nach Siegen

Die Bayern kommen – aber Herthas Verantwortliche fürchten sich viel mehr vor dem Zorn der Mitglieder

Berlin. Den FC Bayern schlagen und eine Serie starten. So stellt sich das Herthas Nationalspieler Arne Friedrich vor, der nur leider wegen seiner Rotsperre in den kommenden beiden Spielen nichts beitragen kann zur ersehnten Wende. Tatsächlich würde ja ein Sieg heute gegen das große Vorbild aus München ein Signal sein, ein Zeichen von Überlebensfähigkeit. Aber so schön solcherlei Vorstellungen im wenig romantischen Abstiegskampf auch sind, sie können nicht darüber hinwegtrösten, dass es ganz anders kommen kann. Die nächsten Spiele gegen Bayern, in Leverkusen und gegen Rostock entscheiden schon darüber, wie tief Hertha BSC fallen wird. Es steht mehr auf dem Spiel, als nur der Abstieg in die Zweite Liga. Das gesamte Projekt und Wirtschaftsunternehmen Hertha BSC wäre bei einem Abstieg beschädigt – und nachhaltig gefährdet.

In den entscheidenden Gremien des Vereins wissen sie nur zu gut, was das heißt, und so richtet man sich zumindest gedanklich auf den schlimmsten aller Fälle vor. Das Szenario dazu geht so: Am letzten Spieltag gegen den 1. FC Köln am 22. Mai im Olympiastadion ist 15 Minuten vor dem Ende klar, Hertha BSC steigt ab. 50 000 Fans brüllen „Hoeneß raus!“, Trainer Hans Meyer hat eine Verlängerung seines Vertrages für die Zweite Liga abgelehnt, und 48 Stunden später wütet am Montag auf der Mitgliederversammlung das Mitgliedervolk gegen die Vereinsführung und wählt anstatt Kontinuität Krawall. An diesem Tag werden die wichtigsten Gremien der Lizenzspielerabteilung neu bestimmt: Beteiligungsausschuss und Aufsichtsrat, nur die vier Präsidiumsmitglieder bleiben vorerst unberührt. Der Beteiligungsausschuss wiederum ernennt, wenn auch nicht auf dieser Versammlung, den Geschäftsführer der Kommanditgesellschaft, auf Aktien – und der heißt Dieter Hoeneß.

Im Aufsichtsrat von Hertha BSC wissen alle, dass Forderungen nach einem Managementwechsel „fatal“ wären, wie einer sagt. In den höchsten Vereinsgremien überlegen sie deshalb schon mal, was man dagegen halten kann, wenn „einige nur ihr Mütchen kühlen wollen“. Allen ist klar, dass nach einer solchen Saison „bei dem einen oder anderen Narben geblieben sind, für die er Schmerzensgeld verlangt“. Und noch immer gibt es Alt-Herthaner, die an der Idee hängen, Christoph Daum zu verpflichten, obwohl sie wissen, dass das mit einem Manager Dieter Hoeneß nicht zu machen ist. Hohe Funktionsträger des Vereins verweisen deshalb auf die alten Zeiten bis Mitte der Neunzigerjahre, als oft „bierseliger Wahnsinn“ regierte, und sie warnen davor, das heute seriös arbeitende Wirtschaftsunternehmen nicht unkontrollierten Emotionen auszusetzen.

Die Gefahr ist nicht groß, aber sie wird gesehen. Im Aufsichtsrat heißt es dazu, es sei unabdingbar, auf den Gesamtzusammenhang zu schauen. Zwar habe Manager Dieter Hoeneß auch Fehler gemacht, dennoch sei die Leistung der Vereinsmacher um ihn herum seit dem Aufstieg 1997 enorm. Hoeneß reklamiert für sich, dass man auch diese Leistungen in der jetzigen Not nicht vergessen dürfe, aber er weiß, dass bei einem Abstieg Enttäuschung und Emotionen alles andere überlagern würden. Wen kümmert es dann, dass Hertha mittlerweile rund 25 Nachwuchsnationalspieler stellt, dass der Verein über eines der modernsten Trainingsgelände Europas verfügt? Wer interessiert sich dafür, dass die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die Hertha BSC schon vor Jahren gegründet hat, um den Ansprüchen eines modernen Unternehmens zu genügen, heute prominente Nachahmer findet? Gerade versucht Stuttgart, diesen Weg zu gehen.

Den drohenden Zorn der Mitglieder bei einem Abstieg könnte nur eine andere Personalie besänftigen: Trainer Hans Meyer müsste bleiben. Im Aufsichtsrat ist man mit Meyers Arbeit zufrieden: Der Trainer habe in kürzester Zeit Schwächen und Stärken des Kaders exakt benannt und sei Hoffnungsträger und Integrationsfigur. Ein neuer Trainer wäre ein doppeltes Risiko: Er hätte nur wenig Zeit, sich nach seinen Ideen ein neues Team zu formen. Meyer dagegen weiß, dass ein radikaler Schnitt notwendig ist. Zudem kann Meyer neben dem dominanten Manager gut bestehen. Hoeneß hat auch deshalb die volle Unterstützung des Aufsichtsrats, „den Trainer unbedingt zu halten“. Nach den kommenden drei Spielen muss sich Meyer spätestens entschieden haben.

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht hat der Verein nicht viel Zeit – mehr als eine Saison in der Zweiten Liga ginge bei ausbleibenden Fernsehgeldern und Zuschauereinnahmen an die Substanz. Derzeit denkt Hertha intensiv über eine Geldanleihe nach. Der Aufsichtsrat verweist darauf, er habe „sehr genau die Fehler in Dortmund und Schalke beobachtet“. Hertha wolle höchstens 35 Millionen Euro aufnehmen. Noch sei keine Entscheidung gefallen, aber diese langfristigen Mittel sollten nicht wie in Dortmund für kurzfristige Ausgaben missbraucht werden.

Seit dem Aufstieg 1997 ist Hertha BSC quasi ein neuer Verein, ein neues Projekt und Produkt, das sich der Tradition des alten Klubs bedient. Das Image ist seitdem Erfolg. Bei einem Abstieg wäre dieses Image unweigerlich bedroht, weil es langfristig mit jenem Makel verbunden wäre, den die Berliner zur Genüge kennen: Zweitklassigkeit.

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