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Sport: Sehr groß, sehr laut, sehr wütend

Von Helmut Schümann Seoul. Wie Rudi Völler so da stand, im Nachmittagsregen von Seoul, und die mächtigen Wälle des World Cup Stadiums hinaufschaute – ein bisschen respektvoll, aber durchaus auch trotzig –, da sah es fast so aus, als habe er ernst gemeint, was er in der Früh gesagt hat: „Wir freuen uns auf dieses Stadion voller leidenschaftlicher Menschen.

Von Helmut Schümann

Seoul. Wie Rudi Völler so da stand, im Nachmittagsregen von Seoul, und die mächtigen Wälle des World Cup Stadiums hinaufschaute – ein bisschen respektvoll, aber durchaus auch trotzig –, da sah es fast so aus, als habe er ernst gemeint, was er in der Früh gesagt hat: „Wir freuen uns auf dieses Stadion voller leidenschaftlicher Menschen.“ Ob er weiß, was ihn und seine Leute am Dienstag hier erwartet? Das Stadion von Seoul ist das größte reine Fußballstadion Asiens, 64 677 Menschen werden zum Halbfinale nach Seongsang-dong rausfahren, bis auf etwa 700 glückliche Deutsche, die Tickets gekriegt haben, werden sie in Rot kommen, und sie werden brüllen. Das Stadion hat steile Ränge, es ist rundum geschlossen, das lässt den Schall nicht raus. Notfalls brüllen die Südkoreaner 90 Minuten lang für ihr Team, jedenfalls so lange, bis die Entscheidung gefallen ist. Es kann einem schon bange werden um die deutschen Fußballer.

Sie sind also da in Koreas Hauptstadt und haben Quartier genommen im Regen und im Sheraton Walker Hill. Das mit dem schlechten Wetter ist nicht unwichtig fürs Spiel, Guus Hiddink, Trainer der Koreaner und inzwischen im Status eines Nebenbuddhas, hat ihn sozusagen eingeklagt bei seinem Chef. „Wenn es regnet, wird der Ball schnell, und das ist gut für unseren Stil“, sagte Hiddink. Was er seinen Koreanern verschweigt, ist, dass Schnürlnass natürlich das deutsche Wetter ist und bleiben wird. Auch nach dem Tod von Fritz Walter, der diese Weisheit 1954 beim ersten Titelgewinn begründete.

Sie wissen ohnehin recht wenig über den deutschen Fußball, die Koreaner, und wenn man am Vortag des Halbfinalspiels in Seoul die englischsprachigen Blätter begutachtet, muss man fast den Eindruck haben, sie fürchteten die Deutschen nicht. Nur ein kleiner Text wird dem Gegner in der „Korea Times“ gewidmet, und darin werden die n erwähnt, die einem zugerufen werden, wenn man im Ausland als deutscher Fußballfan erkannt wird: Beckenbauer, Seeler, Müller.

Dankenswerterweise hat das Blatt für jüngere Generationen recherchiert und die Namen Rudi Völler, „Andreas Muller“ und Jürgen Klinsmann gefunden. Weiter steht über das Team von Völler geschrieben: „Das ist keine gute deutsche Mannschaft, nicht zu vergleichen mit den Teams, die 1954, 1974 und 1990 den Titel holten.“ Vielleicht wissen sie doch mehr über den deutschen Fußball, als sie vorgeben.

Das Interesse auf jeden Fall war groß, als die deutsche Mannschaft im Seouler Stadion ihre Abschlussübungen abhielt. 15 Minuten lang allerdings nur, dann wurde geräumt, jedoch schlecht kontrolliert. Kurz unterm Stadiondach war noch ein offener Durchgang, und durch den war zu sehen, was Völler so macht, wenn er sich mit seinen Spielern alleine fühlt: Er trainiert ein wenig mit. Fünf gegen zwei, Kotrainer Skibbe, Ziege, Ramelow, Neuville, Jeremies und Linke mussten sich vom Trainer düpieren lassen. „Wir werden uns auf unsere physische Stärke konzentrieren, weil auch die Koreaner physisch stark sind“, hatte Völler am Morgen gesagt. „Ich bin mir aber sicher, dass wir ins Endspiel kommen.“ Er selber fing nach wenigen Minuten an, schwer zu pumpen und machte Platz für Dietmar Hamann, dessen Innenband am rechten Knie überdehnt ist. Es ist noch offen, ob er auflaufen kann.

Die Aussagen über den Zustand des Mittelfeldspielers vom FC Liverpool gehen ein wenig auseinander. Reiner Calmund, der gewichtige Manager von Bayer Leverkusen, der mit auf die Reise nach Asien ging, machte am Rande den dünnen Scherz, er selbst sei dank physiotherapeutischer Hilfe fit für den Einsatz. Was aber möglicherweise keine schlechte Idee ist, die Koreaner verehren Buddha und bleiben vielleicht stehen, wenn dieser höchstpersönlich in der Gestalt Calmunds auf dem Platz steht.

Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfarth hielt sich noch bedeckt: „Wir werden abwarten, ob Hamann spielen kann.“ Und schließlich gab Harald Stenger, der Pressesprecher des DFB, noch seine persönliche Meinung ab, die so persönlich nicht sein wird: „Ich gehe davon aus, dass er spielen wird.“ Als Vertreter Völlers beim Fünf gegen Zwei machte Hamann auf jeden Fall einen munteren, einen überdrehten Eindruck.

Aber für die überdrehten Auftritte sind ohnehin andere zuständig. Die standen draußen und warteten auf die Ankunft der Koreaner, die nach der deutschen Mannschaft im Stadion trainierten. Als sie kamen, wurde es laut auf der Strasse, sehr laut und sehr rot. Nichts im Vergleich zu dem, was heute beim Spiel im Stadion zu erleben sein wird.

Etwa acht Millionen Menschen werden heute auf Seouls Straßen vor den Leinwänden erwartet. Die sind zu aller Euphorie auch noch beleidigt, weil ihnen die Fußballwelt vorwirft, mit Schiedsrichterhilfe und nicht mit rechten Dingen so weit gekommen zu sein. Immer wieder zeigte das Fernsehen die strittigen Szenen aus den Spielen gegen Spanien und Italien, mit gestrichelten Linien im Bild und in Superzeitlupe und immer in erkennbar rechtfertigender Absicht.

Wütend brüllt es sich eben lauter. Wenn Rudi Völler im angekündigten Abendregen von Seoul noch einmal die mächtigen Wälle des World Cup Stadiums hinaufschaut, könnte der Respekt wachsen und der Trotz schwinden. Vielleicht sollte er sich die Sache mit dem deutschen Hausbuddha Calmund noch mal überlegen.

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