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Die Hürde genommen. Robert Harting übte sich auf seiner Ehrenrunde unter dem Jubel der Stadionbesucher noch in einer anderen Disziplin. Foto: dapd

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Sport: Seine größte Show

Der Berliner ROBERT HARTING hält dem großen Druck stand und wird Olympiasieger im Diskuswurf. Es ist das erste deutsche Gold in der Leichtathletik seit zwölf Jahren.

Robert Harting hüpfte vor den Fotografen, seine Hände umklammerten den Ausschnitt seines Trikots. Passt auf, bedeutete das, passt bloß auf, gleich kommt der Moment, auf den ihr alle wartet. Dann, mit ein, zwei schnellen, kraftvollen Bewegungen hatte er das Trikot zerteilt, er stand da mit freiem Oberkörper, ein Alphatier mit mächtigen Muskelbergen.

Die große Show des Robert Harting. Er ist Olympiasieger. Der 27-Jährige hat alle Schmerzen ignoriert, hat seine ganze Aufregung in positive Energie verwandelt, er hat sich für die ganzen Quälereien, die er nach der Operation seiner entzündeten Patellasehne durchlitten hatte, belohnt. Mit 68,27 Metern hat Robert Harting vor dem Iraner Ehsan Hadadi (68,18) und dem Esten Gerd Kanter (68,03) gewonnen. Nach zwölf Jahren hat es für die deutsche Leichtathletik wieder eine Goldmedaille gegeben. Robert Harting war in diesem Moment so eine Zahl höchstwahrscheinlich vollkommen egal. Er lief zu den Tribünen, umarmte Freunde, griff sich eine Deutschlandfahne und rannte los. Dieser Muskelprotz freute sich wie ein kleines Kind. Die ganze Anspannung löste sich jetzt. Der Mann, der wegen seiner Schmerzen Tabletten schluckte wie andere Gummibärchen, überwand auf seiner Ehrenrunde sogar die Hürden, die für das 100-Meter-Finale der Frauen aufgestellt worden waren. „Ich trainiere natürlich auch mit den Hürden“, sagte Harting grinsend, „aber da habe ich ganz schön gekämpft, ein Hürdenläufer wird nicht mehr aus mir, dafür bin ich zu schwer.“

Warum sollte er auch? Er ist der Beste in seiner Disziplin, das hat er am Dienstagabend erneut klar gestellt. Als erster seiner Disziplin hat er es geschafft, innerhalb eines Jahres Welt- und Europameister und auch noch Olympiasieger zu werden. Und dabei hatte er Ende Januar solche Schmerzen, dass er überlegte, das Training abzubrechen und die olympische Saison abzuhaken. Dann warf er im Mai erstmals in seinem Leben über 70 Meter, diese Marke, an der er sich jahrelang abgearbeitet hatte. Drei Tage später gelang ihm der zweite Wurf über 70 Meter. Dann Gold bei den Europameisterschaften, obwohl er sich nicht speziell vorbereitet hatte. Und jetzt, in dieser kühlen, lange windstillen Nacht von London: der Olympiasieg. Robert Harting, der Macho-Typ, der gleichzeitig so sensibel ist, konnte es kaum fassen. „Ich bin selbst ein bisschen überrascht“, sagte Harting. „Das ist so geil. Für mich und für Deutschland und vor allem für Berlin. Gruß an die Hauptstadt!“

Nebenbei hatte er ein Trauma verarbeitet. In geraden Jahren hatte ihn der Pole Piotr Malachowski immer bei wichtigen Wettkämpfen besiegt. Aber diesmal gewann der Europameister von 2010 nicht mal eine Medaille. Mit 67,19 Metern belegte er lediglich Platz fünf. Der Magdeburger Martin Wierig kam bei seiner ersten Olympia-Teilnahme auf 65,85 Meter und Rang sechs.

Harting hatte sie alle besiegt. Der erste Medaillenkandidat, der in den Käfig ging, war der schon 40-jährige Virgilius Alekna. Der zweimalige Olympiasieger aus Litauen setzte gleich mit 67,38 Meter ein Zeichen. Gerd Kanter, der Olympiasieger von 2008 aus Estland, erzielte dagegen nur 65,07 Meter. Doch dann: Auftritt des Iraners Ehsan Hadadi. Der 27-jährige WM-Dritte von 2011 schleuderte die Scheibe im ersten Versuch 68,18 Meter weit. Wenn Harting gleich im ersten Versuch die Konkurrenz beeindrucken wollte, gelang ihm das nur teilweise. Mit 67,79 Metern warf er zwar gut, aber es reichte nur für Rang zwei. Im zweiten Durchgang setzte er seinen Diskus ins Netz – und es sollte noch mal spannend werden.

Eine Viertelstunde später: Kanter brüllte mit Urgewalt, der Diskus flog und flog, bei 68,03 Metern plumpste er ins Gras. Damit hatte er sich auf den zweiten Platz vorgeschoben, er hatte Harting überholt. „Zwischendurch habe ich es nicht so gut handeln können“, sagte Harting später. Die Geräuschkulisse störte ihn, es regnete leicht, „und ich habe etwas schwere Beine bekommen.“

Doch am Ende des Wettbewerbs konterte Harting: Im fünften Durchgang warf er den Diskus auf 68,27 Meter. Der zweimalige Weltmeister übernahm erstmals die Führung. Der Iraner warf zwar noch einmal weiter, doch er war übergetreten: ungültig.

Der letzte Durchgang, die letzte Chance für Hartings Rivalen. Gerd Kanter legte zwar noch mal alles in seinen letzten Versuch, doch der Wurf war technisch nicht gut, die Scheibe plumpste nach 66,99 Metern in den Rasen. Alekna hätte dem Deutschen noch gefährlich werden können. Die Spannung im Olympiastadion stieg. Doch auch der Litauer leistete sich einen ungültigen Versuch. Ebenso Malachowski. Robert Harting legte seine letzten Kraftreserven in seinen sechsten Versuch. Als die Scheibe flog, ging Harting in die Knie und schaute ihr beschwörend hinterher. 67,08 Meter. Keine Verbesserung. Doch die war auch nicht nötig. Der Iraner konnte sich nicht mehr steigern. Und Robert Harting war Olympiasieger. Die Fotografen lauerten schon auf ihr Motiv. Harting enttäuschte sie nicht.

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