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So mancher Shitstorm ergießt sich über die Moderatorin Claudia Neumann

© ZDF und Rico Rossival

Shitstorm gegen Sport-Kommentatorinnen: Zu wenige Frauen an den Mikros

Sport-Kommentatorinnen haben es nicht leicht im deutschen Fernsehen. Dabei beweist der Fall Claudia Neumann: Es sollten viel mehr Frauen an den Mikrofonen sitzen. Ein Kommentar.

Seit Claudia Neumann bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich Neuland betreten und als erste Frau bei einem bedeutenden Männerturnier kommentiert hat, bin ich aufmerksamer geworden. Empfindlicher. Nachdenklicher. Dazu gehört der vollkommen überzogene und ungebührliche Shitstorm, den die Reporterin mit ihrer Leistung entfacht hat. Das trägt plötzlich Züge eines Lagerkampfes: Fan gegen Experte, Jung gegen Alt, Mann gegen Frau.

Mir ist es nicht egal, wer mir das Sportgeschehen nahebringt. Ich höre genau hin, denn Zuhören ist in erster Linie das Wesen eines jeden Kommentars: Geht ins Ohr, bleibt im Kopf! Wir kennen das vom Radio, aber machen Sie doch mal ein Experiment! Während im Fernsehen die Sportschau läuft, schmieren sie in Hörweite die Stullen für das Abendbrot. Ich bin sicher, sie sind absolut im Bilde, auch wenn sie gar kein Bild haben. Ein guter Kommentar bewirkt genau das: Er informiert, analysiert, inspiriert und ordnet ein.

Sitzt man selbst vor dem Bildschirm und hat das Geschehen im Blick, gleicht man sich automatisch ab. Was sehe ich und passt das zu dem, was mir der Kommentator erzählt. Kommen dann noch geschmäcklerische Feinheiten dazu – zu laut, zu schnell, zu schrill – wird aus dem nüchternen Dienstleistungsmodell ein Nutzerverhalten, das Züge einer verkorksten Liebesbeziehung trägt. „Blind“ und „ahnungslos“ sind noch die harmlosesten Verbalinjurien bei Twitter unter dem Hashtag #claudianeumann.

Kommentieren ist bei genauer Betrachtung ein undankbarer Job, zumindest im Fußball. Da sitzen Millionen Bundestrainer vor dem heimischen Fernseher und wissen alles besser. Dass die sich erst recht nichts von einer Frau sagen lassen wollen, kann ich aufgrund der Historie zwar nachvollziehen, aber nicht gutheißen.

Aber wie verhält es sich mit den Olympischen Spielen? Dem bedeutendsten Sportereignis der Welt?

Seit fast zwei Wochen verfolge ich das Geschehen in Brasilien und höre viele Geschichten, die jedes Reporterherz höher schlagen lassen, gehen sie doch über die rein sportliche Berichterstattung hinaus. Emotionalität ist das Zauberwort, eine Eigenschaft, die allgemein Frauen stärker zugeschrieben wird als Männern. Aber das habe ich bisher nur selten gehört, denn am Mikrofon sitzen, bis auf wenige Ausnahmen, Männer!

ARD und ZDF sind in Brasilien mit 169 Journalisten vor Ort, die kommentieren, moderieren, Interviews führen und in Zusammenfassungen berichten. Und wenn man genau hinhört, dann ahnt man es bereits: Unter den 169 Kollegen sind nur wenige Frauen. Genau 33. Hört man noch genauer hin, dann kommentieren das Sportgeschehen nur drei Frauen, und die sind alle beim ZDF. Für Fußball ist wieder Claudia Neumann zuständig, aber auch beim Kanuslalom, Badminton, Synchronschwimmen und der Rhythmischen Sportgymnastik sitzen Kolleginnen am Mikrofon. Sie üben ihren Beruf mit Kompetenz und schönster Selbstverständlichkeit aus. So sollte es eigentlich auch sein. Warum es trotzdem nur so wenige sind, bleibt ein Rätsel oder das Geheimnis der verantwortlichen Sportchefs, denn die entscheiden über Nominierung und Besetzung. Und wie da das Mann-Frau-Verhältnis aussieht, brauche ich wohl nicht näher zu erläutern. Was bleibt den Frauen im Sportjournalismus: eine Hürde, die noch lange nicht übersprungen ist. Oder, um mit dem großen, deutschen Fußballphilosophen Oliver Kahn zu sprechen: Mund abwischen und weitermachen!

Gaby Papenburg

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