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Kräftezehrend. Deutschlands Turner Andreas Toba hatte dieses Jahr keine Chance auf eine Medaille.

© Thomas Kienzle/AFP

Sich quälen für 2700 Euro bei der Turn-WM?: Warum die Deutschen hinterherturnen

Die Turn-WM in Stuttgart war ein voller Erfolg. Nur die Deutschen gingen leer aus. Das hat mehrere Gründe.

Immer nur Biles, Biles, Biles. Die Faszination von Superhelden ist in diesen Zeiten offenbar nicht nur im Kino groß wie nie, sondern auch im Sport. Gut zu beobachten war dies bei den am Sonntag zu Ende gegangenen Turn-Weltmeisterschaften in Stuttgart. Fast alles drehte sich um Simone Biles. Tatsächlich kommt die US-Amerikanerin einer Superheldin recht nahe. Unwirklich erscheint ihr sportliches Leistungsvermögen. Sie springt höher, schneller und weiter als bislang jede andere Frau vor ihr.

Das war auch am letzten Tag der Turn-WM der Fall. Biles gewann am Sonntag am Schwebebalken und am Boden jeweils Gold. Fünf Mal stand sie in Stuttgart ganz oben auf dem Treppchen. Sie hat nun insgesamt 25 WM-Medaillen geholt, davon 19 in Gold. Mehr hat noch nie eine Turnerin oder ein Turner gewonnen. Die Zuschauer in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle waren begeistert. Biles’ Großeltern auf der Tribüne hatten Tränen vor Freude in den Augen.

Das Problem an Superhelden ist nur, dass sie den anderen wenig Raum zur Entfaltung geben. So war die Veranstaltung in Stuttgart zwar wegen Biles ein besonderes Spektakel, aber sie war auch etwas monothematisch. Es ging zum Beispiel unter, dass bei den US-Amerikanerinnen nach Biles schon die nächste Turnerin vor einer großen Karriere steht. Sunisa Lee ist erst 16 Jahre alt, ihre Übungen speziell am Boden sind atemberaubend. Lee ist nicht so sprungkräftig wie Biles, dafür sind ihre Elemente umso eleganter. Sie gewann in Stuttgart jeweils einmal Gold, Silber und Bronze.

Dass Biles vieles überstrahlte, kam wiederum den deutschen Turnerinnen und Turnern entgegen. Denn der Deutsche Turner-Bund (DTB) ging bei der Heim-WM leer aus. Dabei hatte es durchaus Hoffnung gegeben, dass zumindest an den Gerätefinales hier und da mal eine Medaille für den Verband herausspringen könnte, wie zum Beispiel für Elisabeth Seitz am Stufenbarren oder am Abschlusstag für Lukas Dauser am Barren.

Es fehlen in Deutschland die Anreize fürs Profiturnen

Doch daraus wurde nichts. Die Deutschen trösteten sich damit, dass sich sowohl die Frauen- wie auch die Männermannschaft in den Vorwettkämpfen für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr in Tokio qualifizierten. So wurde das Mindestziel erreicht. Gleichwohl bleibt nach den Wettkämpfen in Stuttgart die Erkenntnis, dass es um das deutsche Turnen an der Spitze nicht besonders gut bestellt ist, auch wenn es ein paar hoffnungsvolle Turnerinnen wie Sarah Voss und die erst 16 Jahre alte Emelie Petz gibt.

Das Problem ist aber, dass in Deutschland die Anreize fehlen, sich für das Turnen zu quälen. Das hat mehrere Gründe. Einer ist sicher, dass das Turnen im Leistungssportbereich hierzulande kritisch betrachtet wird. Auch in Stuttgart war zu beobachten, dass eine Vielzahl von jungen Turnerinnen an den Wettkämpfen teilnahm, deren Körper eher kindlich denn fraulich waren.

Abschreckend sind sicher auch die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle im US-Turnen. Hinzu kommt, dass in der Sportart mit wenigen Ausnahmen nicht viel Geld verdient wird. Der Mehrkampftitel wurde in Stuttgart mit umgerechnet 4500 Euro vergütet, Gold am Gerät mit 2700 Euro. Außerdem ist die Verletzungsanfälligkeit extrem hoch. Es braucht daher schon ein sehr großes Maß an Leidenschaft für die Sportart, damit sich Eltern und Kind für eine leistungssportliche Turn-Karriere entscheiden.

Gleichwohl zeigte die WM in Stuttgart, dass Turnen in Deutschland beliebter denn je ist. Die Stimmung in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle war großartig. Die Arena war fast immer ausverkauft, 102.000 Besucher insgesamt zählten die Organisatoren. Das war der Sportstadt Stuttgart verdanken, die bereits ankündigte, sich in zehn Jahren wieder für eine Turn-WM bewerben zu wollen. Das große Zuschauerinteresse war aber vor allem der Sportart selbst zu verdanken, die ihre Faszination ganz offensichtlich nicht eingebüßt hat.

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