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Sport: Sie fliegen auf Gleichberechtigung

Ulrike Gräßler wird WM-Zweite im Skispringen – doch noch dürfen Frauen nicht zu Olympia

Dieter Thoma beugte sich im Schneetreiben über die Kommentatorenbalustrade am Fuße des Jested-Berges und suchte jemanden, mit dem er seine Euphorie teilen konnte. „Rudi“, rief er dem ehemaligen deutschen Skisprung-Bundestrainer Rudi Tusch zu und versuchte über fünf Meter Luftlinie hinweg zu fachsimpeln. „Das war gut“, rief der ehemalige deutsche Skispringer „sie hatte schlechte Bedingungen, Wind von hinten.“ Dabei strahlte er. Bei den skispringenden Männern hat Dieter Thoma als Fernsehkommentator eine deutsche Weltmeisterschaftsmedaille seit vier Jahren nicht mehr erleben dürfen. Nun feierte er eine der deutschen Frauen.

Fast wäre es sogar eine historische Goldmedaille geworden. Ulrike Gräßler hatte bei der Premiere des Frauenskispringens bei Nordischen Skiweltmeisterschaften nach dem ersten Durchgang geführt. Im zweiten Sprung aber zog die Amerikanerin Lindsey Van – die mit der fast namensverwandten amerikanischen Alpin-Doppelweltmeisterin Lindsey Vonn gut bekannt ist – mit dem weitesten Flug des Tages auf 97,5 Meter an ihr vorbei. „Ich freu’ mich auch über Silber, es werden doch nur drei Medaillen vergeben“, sagte die 21 Jahre alte Ulrike Gräßler, „Vizeweltmeisterin ist doch topp.“ Platz drei belegte die Norwegerin Anette Sagen, die vor allem dadurch bekannt ist, dass sie vor zwei Jahren nach einer verlorenen Wette von der aktuellen Weltmeisterin lachend einen Faustschlag hingenommen hat. Das Video des Niederschlags ist ein Renner auf Youtube.

Diesmal kämpften alle Springerinnen mit dauerhaftem Schneefall. Seit Tagen schneit es unaufhörlich in Liberec. Nur rund hundert Zuschauer wollten sich ins Schneetreiben stellen. „Es waren schwere Bedingungen“, sagte Ulrike Gräßler, „wir sind mit 89 Stundenkilometer angefahren, das ist wirklich nicht die Welt für uns.“ Gräßler nutzte die zahlreichen Mikrophone, um für ihre Sportart zu werben. „Das Niveau ist bei vielen noch viel höher“, sagte sie, „ich freue mich, dass wir die Chance erhalten haben, uns hier zu zeigen.“ Tatsächlich kann die WM-Premiere des Frauenskispringens als gelungen bezeichnet werden. Der Renndirektor des Weltskiverbandes lobte die Frauen. „Das ist eine sehr selektive Schanze, angesichts der Bedingungen waren die Leistungen hervorragend“, sagte Walter Hofer. Zwar waren 21 der 36 Springerinnen bei dieser Weltmeisterschaft unter 18 Jahre alt, doch werde sich das Phänomen des Mädchenspringens in den nächsten Jahren legen: „Wir sind eine junge Sportart, es gibt noch wenige Frauen, aber die Mädchen werden jetzt mitwachsen.“

Am meisten jubelten die Amerikaner, allerdings nicht nur über Lindsey Vans Goldmedaille. „Ich möchte heute mit allen feiern“, sagte Victor Method, Vizepräsident des Frauenskisprungverbandes der USA, „alle haben gewonnen, denn sie haben Geschichte geschrieben.“ Seine Pressesprecherin trägt eine Mütze, die deutlich macht, dass der Kampf um Gleichberechtigung im Skispringen noch nicht abgeschlossen ist. „Women not allowed“, steht neben den olympischen Ringen auf der Vorderseite, auf der Rückseite prangt die Übersetzung, „Damen verboten“. Mit dieser Mütze protestiert der amerikanische Verband dagegen, dass das Internationale Olympische Komitee das Frauenskispringen nicht zu den Olympischen Winterspielen in Vancouver 2010 zugelassen hat.

„Das ist Geschlechterdiskriminierung“, sagte Victor Method, „wach’ auf, Jacques Rogge.“ Sein Verband unterstützt die Klage zahlreicher Springerinnen gegen das Organisationskomitee von Vancouver gegen das Startverbot. Lindsey Van hält mit 105,5 Metern den aktuellen Schanzenrekord auf der Olympia-Normalschanze in Whistler. Der Männer und Frauen!

Vielleicht verspürte Ulrike Gräßler wegen der bevorstehenden Schwierigkeiten ein wenig Trauer. „Jetzt haben wir so lange gewartet auf diesen Augenblick“, sagte sie am Freitag, „und jetzt ist er schon wieder vorbei.“ Doch genau genommen stimmt das nicht. Es hat gerade erst angefangen.

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