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Sport: Sind die Behinderung ihrer Kinder Spätfolgen des Anabolika-Konsums?

Irgendwann wollte auch der britische Sender BBC ein Interview. Der Versuch endete früh.

Irgendwann wollte auch der britische Sender BBC ein Interview. Der Versuch endete früh. Die beiden früheren DDR-Schwimmerinnen, die gewünschten Gesprächspartner, wollten ihre Ruhe haben. Zumindest bis heute, bis zum Prozess. Bis zum Doping-Verfahren gegen den früheren Verbandsarzt der DDR-Schwimm-Nationalmannschaft, Lothar Kipke. Kipke ist inzwischen 72, heute steht er wegen Körperverletzung Minderjähriger vor Gericht. Die beiden früheren Schwimmerinnen gehören zu den Nebenklägern, und heute werden sie wahrscheinlich reden. Über sich, über die Dopingpillen, die sie schlucken mussten, vor allem aber über ihre Kinder. Über ihre behinderten Kinder. Das eine kam mit einem Klumpfuß auf die Welt, das andere ist blind.

Die Mütter wollen endlich Gewissheit. Sind diese Schädigungen Spätfolgen des Anabolika-Konsums? Müssen die Kinder leiden für die Doping-Praxis der DDR? Sind bei früheren Dopingopfern überdurchschnittlich viele Missbildungen bei Kindern zu beobachten? Die beiden Kinder der dreimaligen DDR-Schwimm-Olympiasiegerin Barbara Krause haben ebenfalls Klumpfüße. Zufall nur? Um diese Fragen geht es den Müttern. Deshalb gehen sie in die Offensive. Ihr Anwalt Michael Lehner wird den Antrag stellen, wissenschaftlich klären zu lassen, ob der Doping-Konsum solche Missbildungen verursachen kann. Das Gericht kann eine solche Untersuchung anordnen. "Uns geht es heute auch um Aufklärung", sagt Lehner.

Es geht auch um den Seelenfrieden von Müttern. Sollten die Missbildungen der Kinder nichts mit Dopingmitteln zu tun haben, müssten sie sich wenigstens keine Vorwürfe mehr machen. Aber jetzt leiden sie. Sie leiden, weil sie sich verantwortlich fühlen für die Schädigungen ihrer Kinder. Weil sie sich früher nicht gegen den Dopingkonsum wehrten. Man habe irgendwann gewusst, was die berühmten blauen Pillen wirklich seien, hatte eine Ex-Schwimmerin im Pilotprozess erklärt. Doch eine Weigerung, die Pillen zu schlucken, wäre kaum möglich gewesen, die Schwimmerinnen waren noch halbe Kinder. Aber das zählt heute nicht. Es gibt Aussagen betroffener Frauen, dass sie unter dieser Unklarheit enorm leiden. Eine Studie zu diesem Thema gibt es nicht.

Kipke ist einer der Verantwortlichen für dieses Leiden. Er stand in der Doping-Hierarchie der DDR sehr weit oben. Er legte die Anabolika-Dosierungen fest. Und er war brutal. "Dr. Kipke legt beim Spritzen eine regelrechte Brutalität an den Tag, indem er ohne Beachtung der eintretenden Schmerzen die Spritze regelrecht in den Körper jagt", meldete der Chef-Doper der DDR, Manfred Höppner, der stellvertretende Leiter des Sportmedizinischen Dienstes der Stasi. Als junge Schwimmerinnen Kipke auf ihre Körperakne hinwiesen, Folge des Dopingeinsatzes, erwiderte der Arzt zynisch: "Mädels, ihr liebt zu wenig." Kipke war auch an mindestens einem "Großversuch" mit dem Dopingmittel Turinabol an Nationalmannschafts-Schwimmern beteiligt.

Die Oberdoper der DDR trieb das Thema Schädigungen von Kindern der Athletinnen durchaus auch um. Höppner notierte in einem Stasi-Bericht: "Da die Anwendung von anabolen Hormonen während der Frühschwangerschaft zu Missbildungen bei dem sich entwickelten Kind führen kann, wird die gleichzeitige Anwendung von Anti-Baby-Pillen empfohlen." Öffentlich spielte sein Kollege Kipke dagegen Schmierentheater. Im DDR-Fernsehen verkündete der Verbandsarzt mal die Ernährungsgewohnheiten einer bestimmten Olympiasiegerin. Keine Dopingpillen natürlich, dafür "tschechische Knödel und Puffreis zum Dessert". Die Schwimmerin war Barbara Krause.

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