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Sport: "Sind Sie nicht dieser Speerwer...?"

Der Olympiasieg brachte Klaus Wolfermann anhaltende Popularität / Erinnerungen an die Spiele von München 1972VON JUPP SUTTNER MÜNCHEN.Kürzlich im Robinson-Club auf Kreta: Ein bärtiger Mann um die 50 joggt den Strand entlang, überholt eine Gruppe halb so alter Läufer, grüßt freundlich - und hört hinter sich: "War das nicht dieser Speerwerfer, dieser .

Der Olympiasieg brachte Klaus Wolfermann anhaltende Popularität / Erinnerungen an die Spiele von München 1972VON JUPP SUTTNER MÜNCHEN.Kürzlich im Robinson-Club auf Kreta: Ein bärtiger Mann um die 50 joggt den Strand entlang, überholt eine Gruppe halb so alter Läufer, grüßt freundlich - und hört hinter sich: "War das nicht dieser Speerwerfer, dieser ..." Und letzte Woche schließlich, in einem Möbelmarkt bei Nürnberg, zog ein fast noch im Azubi-Alter steckender Verkäufer die Stirn in Falten: "Sind Sie nicht dieser Speerwer...?" So geht das die ganze Zeit mit Klaus Wolfermann.Unentwegt wird er identifiziert - wahrscheinlich, weil er wegen des Bartes noch sehr stark dem Typ ähnelt von damals."Damals" - das war der 3.September 1972.Der Tag, an dem der Mann mit dem Bart im Münchener Olympiastadion den Speer im fünften Durchgang 90,48 Meter weit durch die Luft segeln ließ und damit die Goldmedaille errang - zwei winzige Zentimeterchen vor dem sowjetischen Weltrekordler Janis Lusis. Täglich erreichen Wolfermann noch Autogrammwünsche - "erstaunlicherweise auch von vielen jüngeren Menschen, die das damals doch noch gar nicht so richtig mitbekommen haben oder noch gar nicht geboren waren", sagt Wolfermann.Ganz ehrlich gibt er zu, "daß mich das schon mit Stolz erfüllt, daß das so lange angehalten hat".Und immer, wenn der gebürtige Franke in München am Olympiastadion vorbeifährt, muß er nicht nur an seine größte sportliche Stunde denken, sondern auch daran, "daß München 1972 die Spiele schlechthin waren mit Friede, Freude und Humor - bis..." Bis das Attentat "mit einem Schlag die gesamte olympische Welt verändert hat". Über die zwei Zentimeter von München reden sie heute noch, wenn sie sich gelegentlich treffen, der Marketing-Mann Klaus Wolfermann und der damalige Sowjet-Star Janis Lusis, der inzwischen Trainer in Schweden ist."Wir pflegen einen freundschaftlichen Kontakt." Nur bei einem Thema läuft Klaus Wolfermann immer ein klein wenig rot an - vor verhaltenem Zorn.Wenn die Rede darauf kommt, was Lusis ihm gegenüber - lange nach 1972 - offen eingestanden hat: "Daß der Janis schon damals solche Pillen in sich hineingeworfen hat.Ich habe ihm gesagt, daß das ein Saustall war." Natürlich hat er ihm dieses Wort "Saustall" lachend ins Gesicht geschleudert - denn die Sache ist für Wolfermann ja mit einem Happy-End ausgegangen, er hat gesiegt.Gegen den Mann aus Riga und gegen dessen Pillen."Aber was, wenn ich nicht um zwei Zentimeter gewonnen, sondern um zwei Zentimeter verloren hätte?" fragt Wolfermann, und seine Miene verdüstert sich."Ich glaube, da hätte ich, wenn ich im Nachhinein von den Pillen erfahren hätte, nicht mehr lachen können! Sondern wäre saugrantig geworden." Und wie ist das jetzt, 25 Jahre danach, mit den Pillen in der Leichtathletik? "Jetzt gilt anscheinend die Devise", so Wolfermann, "du darfst dich nicht erwischen lassen." Und grummelt: "Bei mir damals ist das doch auch ohne gegangen - mit härterem Training und ordentlicher Ernährung.Aber das heute ist ein Gesellschaftsproblem.Die wollen alle weniger trainieren - aber den gleichen Erfolg haben.Darum schlucken und spritzen sie.Und alles wird unglaubwürdig." Wolfermann weiß sich in seiner Alt/Jung/Früher/Heute-Meinung stark unterstützt."Der Franz Beckenbauer, der Rudi Altig und ich sind kürzlich zusammengesessen und haben festgestellt, daß die halt zu einer anderen Generation gehören, weniger hart erzogen.Und daß wir vermutlich selbst daran schuld sind: weil wir ihnen alles gegeben haben, was wir nicht hatten - und sie dadurch zu sehr verwöhnt haben." Auch das Speerwerfen an sich hat sich drastisch verändert."Die Techniker wie früher gibt es nicht mehr.Das sind heute alles Bolzer mit einem Kraftumfang ohnegleichen.Eigentlich sollte Speerwurf ja mit einem runden und koordinierten Anlauf beginnen.Aber heute wird lediglich kurz über die Bahn gehackt und der Speer dann nur noch rausgedroschen.Ist die Weite gut, werden die Arme hochgerissen.Ist die Weite schlecht - wird übergetreten und der Versuch ungültig gemacht.Auch so eine Art, dieses absichtliche Übertreten - man muß doch auch mal mit Anstand eine Niederlage in Kauf nehmen können." Grund der technischen Misere: "Nur noch ganz wenige sind heute athletisch ausgebildet.Damit meine ich, langfristig von Grund auf.Als Speerwerfer müßte man vielseitig sein.Lusis und ich beispielsweise kamen aus dem Turnerlager und beherrschten den Flick-Flack.Doch inzwischen sind die meisten nur noch das, was man im Berufsleben als Fachidiot bezeichnet - viel zu früh spezialisierte Speerwerfer und sonst nichts.Früher hatte man nach der sportlich-athletischen Grundausbildung noch sieben Jahre Speerwurf-Aufbau und anschließend sieben weitere schöne, fette Jahre.Heute hält das kaum noch einer durch.Doch nur mit einem soliden Fundament kann man länger in der Szene leben." Während Lusis immer noch Senioren-Wettkämpfe bestreitet, hat Wolfermann letztmals 1978 - mit 32 Jahren - den Speer geworfen, um sich mit anderen zu messen.Daß er das Gerät zu Demo-Zwecken in die Hand nahm, liegt inzwischen auch schon wieder zweieinhalb Jahre zurück."Da habe ich den aus Gendorf stammenden Bayerischen Meister Christian Benninger betreut." Inzwischen wirft Wolfermann nur noch, "wenn irgendwo Steine rumliegen und einen reizen, sie fliegen zu sehen".Viel weiter freilich fliegen die Golfbälle, die der Handicap-28-Mann durch die Gegend drischt.Außerdem strampelt er mit dem Rennrad, hält sich mit einer täglichen halben Stunde in der Kraftkammer fit und joggt fast jeden Tag eine Stunde lang - egal, ob in seiner fränkischen Heimat oder auf Kreta.Und hört dabei immer wieder dasselbe: "Ist das nicht dieser Speerwer...?" Falls er Sie mal überholen sollte: Er ist es wirklich.

JUPP SUTTNER

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