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Sport: Sitzt, wackelt und hat Luft

Es war das Jahr der Einteiler und Kapuzenpullover – ein Rückblick auf die Sportmode 2004

Das Sportjahr 2004 hat die Fans besonders bewegt. Millionen Menschen verfolgten die Übertragungen der Fußball-Europameisterschaft aus Portugal und der Olympischen Spiele aus Athen. Mancher Athlet konnte dabei nur mit seiner Kleidung glänzen. Andere waren erfolgreich und sahen trotzdem nicht gut aus.

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DAS BEASTIE GIRL

Was hört Franziska van Almsick da eigentlich in Athen am Beckenrand? Travis, heißt es. Gut sieht sie aus dabei, ziemlich konzentriert. Bloß: Die Kopfhörer sind ganz schön Ostküsten-Old-School – reicht die Leistung eines iPods nicht aus, die Geräuschkulisse eines Freibads zu übertönen? Interessantes Detail: Wer seine Fußnägel lackiert oder lackieren lässt, hat einen Hang zum Glamour und kann sich leiden. Das weiße Handtuch liegt wie ein sommerlicher Wickelrock um ihre Schwimmerinnen-Hüften, und für den langweilig-unspektakulären Badeanzug, der einen an das Schulschwimmen in chlorverseuchten Hallen und an das Seepferdchen-Abzeichen erinnert, kann sie nichts, weil „Arena“ ihr Sponsor ist. Der Triumph bei den Olympischen Spielen blieb aus, Franziska van Almsick hat 2004 erst ihre Karriere beendet und dann die Beziehung mit dem Magdeburger Handballer Stefan Kretzschmar. Im nächsten Jahr wird alles anders für die 26-Jährige. Zeit, sich einen hübschen Bikini zu suchen. Und eine Tasche für ihren CD-Player. Und einen neuen Freund.

DIE UNBELEHRBAREN LÖWEN

Ob Winfried Schäfer die Trikots der Kameruner ausgesucht hat? Beim Afrika- Cup erschien die Fußball-Nationalmannschaft Kameruns in Einteilern auf dem Rasen – auf dem Bild ist der Stürmer Samuel Eto’o zu sehen, der in seinem Puma-Dress aussieht wie ein Kampftaucher. Nicht auszudenken, dieser Trend hätte sich durchgesetzt und Kamerun-Fans, auch die mit etwas unsportlicheren Figuren, wären in den Froschanzügen zu den Spielen ihrer Mannschaft erschienen. So ähnlich sah das auch die Fifa: Von den 200 000 Schweizer Franken Bußgeld hätten die Kameruner auch Tom Ford mit dem Design neuer Trikots beauftragen können.

DIE WEISSPRINZESSIN

Claudia Pechstein , trage niemals schwarze Schuhe zum weißen Anzug! Und mache niemals solche gutgläubigen Gesten in die Kamera! Sportlerinnen in zivil sind besonders heikel, weil es ihnen meist darum geht, „Reize“, die während des Wettkampfs nicht zu sehen sind, „wirkungsvoll in Szene zu setzen“. Daumen runter.

DER EXHIBITIONIST

Die Frage, ob Goleo eine Hose braucht oder nicht, wurde 2004 nicht nur von Thomas Gottschalk diskutiert. Die von internationalen Feuilletons immer wieder vorgebrachten Hauptargumente gegen eine Hose für das Maskottchen der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 gehen so: Löwen brauchen wegen ihres Fells generell keine Hosen; Tiere sehen in Kleidung lächerlich aus; Tiere sind in ihrer Nacktheit von jeher anmutig; Tiere sind nie aus dem Paradies vertrieben worden; und so weiter. Nun zeichnet sich der Zottellöwe, der streng genommen Goleo VI genannt werden möchte, ja dadurch aus, dass er sprechen kann und aufrecht geht. Das Tierische ist in den Hintergrund gerückt, das Maskottchen besitzt menschliche und noch dazu männliche Eigenschaften. Es ist doch so: Man guckt Goleo als erstes auf die Leibesmitte, weil sein Deutschland-Trikot dort endet. Es ist etwas ekelig, aber man sucht genau dort etwas, wo Goleos beige Beine zu einem Dreieck zusammenlaufen. Dieser kurze Moment der Irritation mündet in die Erkenntnis, dass Goleo eine passende Hose braucht. Sogar Spongebob, der Schwammkopf aus dem Kino, trägt ein Beinkleid. Man denke bitte auch an den sprechenden Ball Pille, der sich ständig in unmittelbarer Nähe zu Goleos Unterleib aufhalten muss. Nein! Deutschland soll der Welt nicht als Spielwiese für exhibitionistische Großtiere in Erinnerung bleiben.

DER VORSTÄDTER

Das ist Thomas Schaaf und sein Streetstyle-Kapuzenpullover mit „Werder“-Aufdruck, der im Mai dieses Jahres innerhalb kürzester Zeit ausverkauft war. Kein Wunder – Städtenamen-Pullis sind inzwischen furchtbar und ziemlich 2003, aber mit dem „Werder“-Pulli hat der Deutsche Meister 2004 einen echten Trend gesetzt. Graues Gesicht, Glatze, grauer Pulli – das ist konsequente Verweigerung jeglichen Trainer-Dresscodes. Während Jürgen Klinsmann fein gemacht und frisch gekämmt im dunklen Anzug und Gore-Tex-Jacke auf der Bank sitzt und Jürgen Klopp im authentisch-schnöden Trainingsanzug, sieht Thomas Schaaf in seiner fahlen Grobschlächtigkeit aus wie ein amerikanischer Vorstädter, der am Samstag Mittag im Baumarkt nach dem allerneuesten vollautomatischen Schlagbohrer sucht – eine Figur aus einem Michael-Moore-Film, ein Nachbar aus Eminems Trailer-Siedlung. Thomas Schaaf, sein norddeutscher Charme und der Kapuzenpullover haben Bremen ein neues Gesicht gegeben. Dabei ist er eigentlich in Mannheim geboren. Und die Idee mit dem Pullover hatte der Bremer Zeugwart.

DER BERLINER

Marcelinho hat sich in Berlin dufte akklimatisiert. In einer Neuköllner Eckkneipe würde er genauso wenig auffallen wie im „Panasia“ in Mitte. Er hat sich das dunkle Haar blond gefärbt, damit die Geheimratsecken nicht so auffallen. Er kauft seinen Schmuck im Kaufhof. Er sieht etwas räudig aus, was man in die individuell-gestylte oder in die S-Bahn-Kontrolleur-Richtung interpretieren kann. Aber so lange Frank Zander im Olympiastadion singen darf, so lange darf auch Marcelinho so aussehen.

DER BLAUMANN

Sportler brauchen nicht unbedingt eine sportliche Figur, manchmal genügt auch eine ruhige Hand. Beispiel: Ralf Schumann , Goldmedaillen-Gewinner in der Disziplin Schnellfeuerpistole. Den Bauch eine Spur über seinem Hosenbund, das Trikot einen Tick zu eng, die Baseballkappe eine Reminiszenz an Schumi – Schumann sieht nicht aus wie ein Sportler, sondern eher wie der typische deutsche Fußballfan oder ein Horst Schimanski für Arme. Ein Blick auf seine Homepage www.schuetzenschumi.de verrät uns außerdem: Eigentlich ist der Inhaber „sämtlicher Welt- und Olympiarekorde“ KFZ-Schlosser und Feinmechaniker, sein Hobby ist Modellbau. Eine Alternative zur Jeans wäre auf jeden Fall ein komfortabler Blaumann, der die Problemzonen des Schützen großmütig überspielt.

DER EVERGREEN

Er ist und bleibt immer noch der Schönste: David Beckham . 2004 überraschte er uns nach den vorangegangenen Experimenten stilsicher mit sehr kurzen Haaren. Was immer er trägt, die Weltjugend kopiert es – zuletzt die Brillantohrstecker. Dolce & Gabbana widmeten ihm Stücke aus ihrer Sommerkollektion, unter anderem eine dunkelblaue Kaschmirjacke. Wer erinnert sich noch an die verschossenen Elfmeter bei der Europameisterschaft? Höchstens die Portugiesen.

DER TWEETY

Nach der 1:3-Niederlage in Leverkusen verließ Francesco Totti , Kapitän des AS Rom, das Spielfeld in seiner einteiligen Unterwäsche – als Gelbe Karte auf zwei Beinen. Die Frage ist: Wie kann man so etwas aus- und anziehen? Totti wird wohl in der Kabine den yogischen Sonnengruß aufgeführt haben. Die Italiener sind ja so explizit heterosexuell, weshalb sendet da ausgerechnet ein italienischer Fußballspieler fast schon verzweifelt mehrdeutige Zeichen? Mit diesem Dress hat sich Totti für die Aufnahme in den FC Metrosexuals qualifiziert.

DIE TAPFERE

Das ist die Sprinterin Rakia Al Gassra aus Bahrain. Während ihre Kolleginnen in Athen in kurzen Tops an den Start gingen, lief die Muslimin verhüllt ins Ziel. Auch, wenn man über das Kopftuch als solches streiten kann: Rakia Al Gassra gebührt nicht nur wegen ihrer sportlichen Leistung Respekt, sondern auch für die Selbstverständlichkeit, mit der sie die Konventionen außer Acht gelassen hat – während der Olympischen Spiele, bei denen das Frauen-Beachvolleyball-Turnier zur Ass-und-Tits-Show verkam.

DER RUDI

Für den Erfinder des Mittelscheitels war 2004 allgemein kein gutes Jahr, aber modisch gesehen irgendwie doch. Rudi Völler ist nämlich ein Klassiker, und wahre Klassiker haben immer Saison. Komme, was wolle: Er wird weiterhin einen glänzenden Schnurrbart tragen, die Haare werden noch lange so fluffig-seidig-wollig sein wie jetzt, weil er das Anti- Frizz-Shampoo auch 2005 nicht entdecken wird, und ein dunkler Anzug kleidet jeden Mann. Rudi Völler ist, was die Frisur betrifft, die einzige verlässliche Konstante im deutschen Fußball. Dazu kann man ihm durchaus herzlich gratulieren. Es schafft nicht jeder, jede Form von Trend starrköpfig an sich abprallen zu lassen. Es wird der Tag kommen, an dem auch Völler massenhaft kopiert werden wird und junge Fußballspieler sich endlich wieder schmale Schnurrbärte stehen lassen. Hoffentlich dauert es bis dahin nicht mehr so lange.

DIE VERSICHERUNGSVERTRETER

Enden wir mit dem schlimmsten modischen Faux-Pas des Jahres: dem Einmarsch der deutschen Versicherungsvertreter in das Olympiastadion von Athen. Schlammfarbene Zweiteiler mit Hemd und Schlips für die Herren, lachsfarbene Kostüme für die Damen – so durchschnittlich hatte es das Nationale Olympische Komitee unter Leitung von Klaus Steinbach gewollt. Die Strohhüte der deutschen Olympiamannschaft , die die erfolgreichen Athleten später gegen Olivenzweige tauschen mussten, machten dann alles kaputt. Welcher Mitteleuropäer trägt heutzutage noch ernsthaft Panama-Hüte? Nicht nur in Berlin gibt es hunderte begabte und junge Modedesigner mit Witz und Charme. Wieso fragt die eigentlich keiner? Wieso müssen ausgerechnet die Kreateure der leicht spießigen Modefirma Betty Barclay im Bacardi-Cola- Rausch unsere größtenteils jugendliche Olympiamannschaft einkleiden? Egal, es ist vorbei. Und Klaus Steinbach hat’s gefallen.

Esther Kogelboom

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