zum Hauptinhalt
WIRECENTER

© Imago

Sivasspor: Hoffenheim auf Türkisch - aber ohne reichen Mäzen

In der Türkei lehrt der Provinzklub Sivasspor die etablierte Konkurrenz aus Istanbul das Fürchten. Ein Hoffenheim auf Türkisch - nur ohne milliardenschweren Mäzen.

Nach dem Triumph kam die Botschaft. "Kein Erfolg ist Zufall" stand im Februar auf den T-Shirts der umjubelten Spieler eines zentralanatolischen Provinzvereins. Sivasspor hatte gerade Galatasaray Istanbul, den erfolgreichsten Club der türkischen Fußballgeschichte, mit einem 4-2-Sieg aus dem Pokalwettbewerb geworfen. Es war nicht der einzige Überraschungserfolg der Mannschaft aus Sivas in letzter Zeit. Ohne große Stars und ohne großes Budget haben die Anatolier die Tabellenführung der türkischen "Süper Lig" erobert und schicken sich an, das Monopol der großen Istanbuler Clubs Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray auf die türkische Meisterschaft zu brechen.

"Yigidolar" - die Tapferen - nennen sich die Spieler und Fans aus Sivas selbst. Mit viel Mut und Arbeit und ohne jeden Respekt vor Fußball-Millionären wie Roberto Carlos von Fenerbahce oder Milan Baros von Galatasaray hat sich die No-Name-Truppe aus der anatolischen Steppe an die Spitze gekämpft. Natürlich hat auch in Sivas längst die Fußball-Globalisierung Einzug gehalten. In der Mannschaft finden sich zwar auch noch einige Lokalstars aus Sivas selbst, aber auch Spieler aus Guinea und Brasilien. Auch zwei in Deutschland geborene türkische Spieler, Torwart Volkan Ünlü und Mittelfeldspieler Sezer Badur, verdienen in Sivas ihr Geld.

Ein israelischer Stürmer in einem muslimischen Land

Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand in den vergangenen Monaten der israelische Stürmer Pini Balili. Als mit Israels Feldzug im Gaza-Streifen in der Türkei anti-israelische Proteste begannen, wurde Balili bei Auswärtsspielen beschimpft und beleidigt. "Warum beschimpfen sie mich? Ich mache doch keinen Krieg, Israel macht Krieg", sagte Balili damals. Der politischen Konflikt reichte bis in die Mannschaft von Sivas hinein. Balilis Mannschaftskamerad Ibrahim Dagasan rammte nach dem Pokalerfolg über Galatasaray eine palästinensische Flagge in den Anstoßpunkt des Spielfeldes. "Wie ein Pfeil ins Herz" sei das gewesen, sagte Balili, der Dagasan anschließend zur Rede stellte.

Solche Spannungen sind bei Sivasspor jedoch selten. Die Geschlossenheit der Mannschaft ist eines der Erfolgsgeheimnisse des erst 1967 gegründeten Clubs, der vor wenigen Jahren noch in der zweiten Liga spielte und kurz nach dem Aufstieg ins türkische Fußball-Oberhaus die Meisterschaft im vergangenen Jahr nur knapp verfehlte.

Am Geld liegt es jedenfalls nicht, dass die Anatolier die reichen Istanbuler von deren Stammplätzen an der Spitze der Liga verdrängt haben. Gerade einmal 15 Millionen Dollar habe der Verein in der laufenden Saison zur Verfügung, sagte Trainer Bülent Uygun kürzlich - allein Roberto Carlos verdient bei Fenerbahce rund fünf Millionen Dollar im Jahr. Das Saisonziel von 41 Punkten hat Sivasspor trotzdem längst hinter sich gelassen: Mit 50 Zählern liegt der Verein in der Tabelle neun Spieltage vor Schluss knapp vor Besiktas.

Nichts lenkt die Spieler ab, keine Bar, keine Disco

Möglicherweise liegt ein anderer Grund für die konzentrierte Zielstrebigkeit der Provinzkicker aus Sivas im erzkonservativen Charakter der gut 300 Kilometer östlich von Ankara gelegenen Stadt: Es gibt für die Spieler in Sivas nicht viel, was vom Fußball ablenken könnte. Balili berichtete, er gehe in seiner Freizeit immer in ein und dasselbe Cafe. "Discos oder Bars gibt es in Sivas sowieso nicht."

Gebannt verfolgen Millionen türkischer Fußballfans den Marsch von Sivasspor Richtung Meisterschaft. Selbst eingefleischte Anhänger anderer Mannschaften verhehlen nicht ihre Sympathien für den anatolischen David, der die Goliaths vom Bosporus herausfordert. "Es wäre schön, wenn einmal eine anatolische Mannschaft Meister würde," sagt ein Istanbuler Besiktas-Fan.

Mit dem Erfolg von Sivasspor wächst auch das Interesse anderer Vereine an den Stars der Mannschaft. Trainer Uygun sagte, allein für Stürmer Mehmet Yildiz, mit 13 Treffern derzeit Nummer drei auf der türkischen Torschützenliste, lägen Angebote aus Griechenland, Russland und Deutschland vor. Sivasspor kann also damit rechnen, demnächst viel Geld mit Spielerverkäufen zu verdienen - mit dem Risiko, dass die legendäre mannschaftliche Geschlossenheit der Elf aus Anatolien dabei auf der Strecke bleibt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false