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Den Giganten im Rücken. Wie die Christusfigur in Rio de Janeiro prägt die Sprungschanze am Holmenkollen Oslo. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Ski-WM: Nur Fliegen wär’ schöner

Norwegen hat für die nordische Ski-WM am Holmenkollen eine rekordverdächtige Schanze gebaut, es ist die älteste und modernste. Für die Norweger ist die Ski-WM die größte Nummer seit den Olympioschen Winterspielen 1994 - nur die Sprünge der heimischen Sportler sind nicht so legendär

Von Katrin Schulze

In Zeitlupentempo geht es dem Himmel entgegen. Sachte, Meter für Meter, und jeder einzelne darf wie eine Aufforderung zum Innehalten verstanden werden. Denn wenn der Fahrstuhl erst einmal oben angekommen ist und seine Besucher ausgespuckt hat, steht man über den Dingen. Eine ganze Stadt liegt zu Füßen und ein Fjord noch dazu.

Wie ein imposanter Bewacher thront die neue Holmenkollen-Schanze, an deren Seite Touristen und Athleten auf den Turm befördert werden, über Oslo; man könnte auch sagen: wie ein Denkmal.

Keine andere Anlage steht so symbolisch für den nordischen Skisport wie der Holmenkollen. Und nichts ist für den Holmenkollen so bedeutend wie seine Skisprungschanze. Sie ist die älteste ihrer Art und doch die modernste. 18 Rundumerneuerungen hat sie sich inzwischen schon unterziehen müssen; der jüngste Umbau der Anlage liegt noch nicht mal zwei Jahre zurück. Er war nötig, damit Norwegen ab Mittwoch die nordischen Ski-Weltmeisterschaften austragen darf.

Mehr als 1000 Tonnen Stahl haben sie zu diesem Zweck verbaut auf dem Berg, dem das dort ansässige Sanatorium des Herrn Holm einst seinen Namen gab. Die monströsen Ausmaße von heute würden den damals in einer Holzhütte praktizierenden Arzt wohl kopfschüttelnd zurücklassen. Zu seiner Zeit trugen die Skispringer noch Mützen und Schlabberhosen und waren froh, wenn sie irgendwie heil unten ankamen. 21,50 Meter reichten Arne Ustvedt im Januar 1892 für den Sieg im ersten Wettbewerb am Kollen. Der aktuelle Halter des Schanzenrekords kam vor einem Jahr knapp 120 Meter weiter – Andreas Kofler, ein Österreicher, kein Norweger. Ein bisschen traurig ist das Volk darüber, dass es für die Norweger in Sachen Skispringen gerade nicht so gut aussieht. „Im Skilanglauf haben wir sicher bessere Chancen auf eine Medaille als im Skispringen“, sagen sie im Land. Und so waren die WM-Tickets für die Staffelwettbewerbe in der Loipe schnell vergriffen.

Wer etwas über die Seele Norwegens erfahren will, muss nach Oslo fahren und sich mit Bus oder U-Bahn ein paar Kilometer über die Stadt begeben. Hier schlängeln sich zahllose Langlaufstrecken durch den Wald, auch sie wurden für die WM neu hergerichtet. Überlebt haben die Umbauarbeiten rund um die Schanze zwei Statuen – die von König Olav V., der sich in den Zwanzigern selbst die Schanze hinunterstürzte, und die von Fridtjof Nansen, dem Polarforscher. Überhaupt Nansen: Er ist so etwas wie der Vater des nordischen Skisports. „Er ist unser Held, kein anderer Mensch ist so beliebt wie er. Höchstens noch der König“, sagt Karin Berg. Die Historikerin leitet das Skimuseum und hat so manche Veränderung des Holmenkollens miterlebt. Begeistert war sie nicht immer von den opulenten Umbauten der Schanze, der Skisport aber hat es natürlich auch ihr angetan. In ihrem Museum sind 1400 Jahre alte Holzbretter ausgestellt, auf denen ihre Vorfahren durch die Wälder gezogen sein sollen. „Nansen hat bessere Ski benutzt, als er Grönland durchquert hat“, sagt sie dazu scherzend.

Es ist auch Fridtjof Nansens Erbe, dass sich beim Springen der Olympischen Winterspiele von 1952 mehr als 100 000 Zuschauer versammelten, so viele wie nie mehr danach bei einem Skisprungwettbewerb. Rekorde wie dieser „machen uns stolz“, sagt Karin Berg. Oft ist vom Mutterland des Skifahrens die Rede, wenn es um Norwegen geht, oder von der Skination. Wohl auch deshalb bekommt Mari Rosenvinge Nygaard leuchtende Augen, wenn sie von der bevorstehenden WM erzählt. „Ein einzigartiges Event“ will sie mit ihrem Team auf die Beine stellen, die Dame vom Organisationskomitee. „Wir möchten, dass die Athleten es nie vergessen und immer wieder davon erzählen“, sagt sie.

Für die Norweger ist die Ausrichtung der nordischen Ski-WM die größte Nummer seit den Olympischen Winterspielen von Lillehammer im Jahr 1994, von denen viele Beteiligte immer noch sagen, sie seien die schönsten, weil familiärsten überhaupt gewesen. „Wir wollen ein ähnliches Flair schaffen wie damals“, sagt Rosenvinge Nygaard. Die Stadt soll mit den Sportlern feiern: Eine Medaillenzeremonie gibt es mitten in Oslo genauso wie Konzerte und Themenabende. Viele Einheimische werden von diesem Trubel in der Innenstadt nichts mitbekommen, sie werden – wie schon bei vergangenen Weltcup-Veranstaltungen – in den Wäldern am Holmenkollen unterhalb der Schanze campen und sich am Lagerfeuer singend und trinkend in die Nacht verabschieden.

Die wäldliche Folklore ist ein Gegenentwurf zur durchgestylten WM, in der die neue Schanze die Hauptrolle übernimmt. 60 Millionen Euro sollen in das Designerobjekt investiert worden sein, heißt es. Wie ein geschwungenes S streckt sich die Schanze gen Himmel, nur im unteren Bereich ist sie mit dem Boden verankert. Viel weiter als bei dem Vorgängermodell fliegen die Athleten nicht, dafür gibt es jetzt eine hochmoderne Anlaufspur und einen permanenten Windschutz an der Seite. Darüber hinaus hat die große Holmenkollen-Schanze noch fünf kleine Schwestern bekommen; auf ihnen soll der norwegische Nachwuchs ausgebildet werden.

Denn irgendwann will das Land mit der rekordträchtigen Skisprungschanze auch wieder den besten Skispringer der Welt stellen.

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