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Auf Tragflächen ins Tal. Perfektes Material verleiht den Skispringern Flügel.

© dpa/Hetfleisch

Skispringen und Material: Auf den Anzug kommt es an

Alles eine Frage des Materials? Beim Skispringen ist in dieser Saison entscheidender denn je, was die Sportler auf der Haut tragen.

Von Johannes Nedo

Unter den Skispringern gelten die Norweger als sehr progressiv. Für neue Schritte in ihrer Sportart und neue Entwicklungen sind sie immer zu haben. Doch derzeit sind sie offensichtlich zu einem sehr radikalen Schritt bereit. Wenn etwa Anders Fannemel über seine Profession spricht, dann könnte man die Berufsbezeichnung Skispringer eigentlich komplett ändern – in Anzugspringer. Für ihn steht nämlich fest: „Beim Skispringen ist der Anzug wichtiger als die Ski.“ Darin stimmt ihm auch sein Teamkollege Johann Andre Forfang voll zu. Und die beiden müssen es eigentlich wissen, sie gehörten bisher im Weltcup und zuletzt bei der Vierschanzentournee zu den Topathleten.

Die große Bedeutung der Anzüge ist in dieser Saison wieder stärker in den Fokus gerückt – und in dem Zusammenhang fielen besonders die vom Österreicher Alexander Stöckl trainierten Norweger auf. Bereits sieben Mal wurden norwegische Springer in diesem Winter aufgrund ihrer Anzüge disqualifiziert. Da stellt sich die Frage: Sind sie auch deshalb so gut, weil ihnen nach vielem Experimentieren vielleicht ein außergewöhnliches Sportkleidungsstück gelungen ist?

Die Anzüge der Norweger – und auch die der Deutschen - werden von der Konkurrenz sehr kritisch beäugt, stellen sie doch die erfolgreichsten Mannschaften in der Nationenwertung. Wenn ein gesamtes Team stark sei, habe das immer auch mit dem Material zu tun, sagt ein Insider. Wobei bislang kein deutscher Springer disqualifiziert wurde. „Natürlich braucht man Topmaterial, aber das ist keine Neuigkeit“, sagt der Bundestrainer Werner Schuster. „Deswegen versuchen die Norweger, einen guten Anzug zu haben, deswegen versuchen wir es – und alle anderen versuchen es auch.“

Das Skispringen ist immer ein Ausloten von Grenzen, und das bezieht auch immer mehr auf das beste Material. Dazu gehört das Ausreizen der Regeln, gerade wenn sich in einem so entscheidenden Element wie bei den Anzügen einige Vorgaben verändert haben. So darf im Schritt der Abstand zwischen Hose und Körper jetzt drei Zentimeter betragen. Dieser Bereich ist so wichtig, weil dort, in der Körpermitte, die Skispringer in der Luft ein tragendes Gefühl erfahren.

Wer bei einem Regelverstoß erwischt wird, darf erst gar nicht springen

Die Idee hinter der Regeländerung ist, dass die Athleten mit zusätzlicher Fläche auf diesem Schwerpunkt vor der Landung im Aufwind etwas bremsen und sicherer aufkommen. Andererseits haben die Skispringer und ihre Trainer auch schnell gemerkt, „dass nur wenige Millimeter mehr Stoff im Schritt ein paar Meter mehr bei der Landung bescheren“. So sagte es Walter Hofer, der Skisprung-Renndirektor des Internationalen Ski-Verbands Fis. Darum hat die Fis gleich neue Kontrollen eingeführt. Diese sollen verhindern, dass sich die Springer mehr Tragfläche erschleichen. Bisher wurden die Anzüge nur nach dem Sprung kontrolliert. Ob die Athleten vor der Überprüfung das Kleidungsstück verschoben und nach der Landung wieder korrigiert hatten, konnte nicht festgestellt werden. Deshalb misst der Fis-Kontrolleur Sepp Gratzer, nun zusätzlich, bevor sich die Springer auf den Balken setzen.

Wer dann bei einem Regelverstoß erwischt wird, darf erst gar nicht springen. Außerdem sind nach der Kontrolle jegliche Verrenkungen verboten, mit denen die Athleten den Anzug wieder weiten können. Und Gratzer, im Hauptberuf Zöllner, ist ein strenger und penibler Kontrolleur. „Kratzen ist verboten, sie müssen gerade stehen – und dürfen ja nicht am Anzug zupfen“, sagt der Österreicher, der mit der neuen Methode in dieser Saison schon einige Skispringer ertappt hat. Fannemel wurde bereits zweimal disqualifiziert, Forfang erwischte es bei den alten Kontrollen im vergangenen Winter zweimal. Nationaltrainer Stöckl mag all die Disqualifikationen natürlich gar nicht, und erst recht nicht das Bild der schummelnden Norweger. „Wir wollen nicht betrügen“, sagt er. „Wir wollen selbstverständlich innerhalb der Regeln bleiben, aber wir wollen innerhalb der Regeln auch das Maximum herausholen.“

Dieses Maximum ist für die Athleten so verlockend, weil sie mit etwas mehr Stoff deutlich mehr Stabilität und Flugfähigkeit während des Sprungs spüren, also mehr Tragfläche in der Luft bekommen. „Wenn unter den 50 teilnehmenden Skispringern nur einer eine Schrittlänge von zwei bis drei Zentimetern mehr bekommen würde, wäre er unschlagbar“, sagt Hofer. „Aber die Daten zeigen: Die Spitzenathleten sind sehr vorsichtig mit dem Herangehen an die Grenzen. Schließlich wären sie mit einer Verfehlung sofort raus.“ Die Anzüge werden also ein Thema bleiben. Die norwegischen Teammitglieder vergleichen sie mit Formel-1-Autos, und dann ist es ganz klar, dass Fannemel, Forfang und Co. weiter an ihnen herumtüfteln werden – und alle anderen Athleten auch.

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