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Titel für die Familie. Weltmeister Ronnie O’Sullivan mit Filius.

© AFP

Alter und neuer Snooker-Weltmeister: Ronnie O'Sullivan bittet zu Tisch

Der Spartensender Eurosport freut sich über eine hohe Einschaltquote im Finale der WM von Sheffield. Snooker boomt in Deutschland, obwohl ein nationaler Topspieler weiterhin nicht in Sicht ist.

Berlin - Wenn es um Berlin geht, erinnert sich Shaun Murphy gern an die Geschichte, wie er im Februar 2012 einen Spaziergang vom Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor machen wollte. Weit kam der Snookerprofi aus Northampton auf seinem touristischen Ausflug nicht. „Am Pariser Platz war Schluss“, erzählte der einstige Weltmeister. „Ich habe nicht mal Unter den Linden gesehen, geschweige denn den Alexanderplatz.“ Zu viele Autogramme, zu viele Fanfotos – irgendwann flüchtete Murphy, seinerzeit wegen des Snookerturniers German Open im Tempodrom in Berlin, zurück ins Hotel. Was wäre erst los gewesen, wenn sich Ronnie O’Sullivan auf einen Spaziergang durch das – zugegeben – sehr touristische Berliner Zentrum gemacht hätte?

Über eine halbe Million deutsche Zuschauer und über 1,5 Millionen Europäer außerhalb Großbritanniens haben im Schnitt am späten Montagabend auf „Eurosport“ gesehen, wie der Brite in Sheffield seinen Weltmeistertitel im Snooker verteidigen konnte. Ein Sprecher des Spartensenders sagt: „In der Gruppe bei den jüngeren Männern hatten wir sogar eine Quote von über neun Prozent.“ Warum eigentlich hat Snooker – obwohl in Deutschland kaum auf hohem Niveau gespielt – so eine große Anhängerschaft? In einer Sportart, die in Deutschland kaum betrieben wird? Rolf Kalb, seit Jahren Kommentator bei Eurosport, glaubt, dass es an der Telegenität der Billardvariante liegt. Die deutschen Zuschauer gehen inzwischen aber auch in die Halle: Die German Open im Tempodrom waren in den jüngsten zwei Jahren sehr gut besucht, bei deftigen Ticketpreisen bis an die 50 Euro. Kalb glaubt: „Snooker hat Suchtpotenzial, zieht den Zuschauer hinein. Es sind viele kleine Dramen im Spiel, die sich am Ende zu einem großen Spannungsbogen vereinigen.“

Was die Spannung angeht, war das im Crucible zu Sheffield am Montag so eine Sache. Da wirkte der Hauptdarsteller nach seinem glatten 18:12-Finalerfolg fast gelangweilt. Ronnie O’Sullivan stand neben dem Snookertisch und wartete darauf, bis sein kleiner Sohn die Stufen von der Tribüne in den Innenraum hinter sich gebracht hatte, nahm den Filius dann auf die Arme und strich ihm über das Haar. Weltmeister? Na und. Kurz nach seinem Triumph über Barry Hawkins sagte der 37 Jahre alte Brite auf die Frage, ob er kommendes Jahr seinen Titel in Sheffield verteidigen werde: „Ich kann nicht sagen, ob ich wiederkomme, weil ich mein Jahr Auszeit sehr genossen habe.“ O’Sullivan kann sich derartige Aussagen leisten, er dominiert im Snooker nach Belieben. Auch ein Jahr Pause haben dem Engländer im Turnier nicht geschadet, als Titelverteidiger war er in Sheffield ohnehin gesetzt. Verlierer Hawkins wurde gefragt, was er denn besser hätte machen müssen gegen O’Sullivan. „Alles“, sagte Hawkins. Was sagt es über eine Sportart aus, wenn ein Spieler seine Konkurrenz so düpieren kann? Kalb sagt: „Es ist ja nicht so, dass O’Sullivan ein Jahr das Queue in die Ecke gestellt hat. Er hat viel trainiert und auch Exhibition-Games gespielt.“ Aber es sei wohl so, dass O’Sullivan ein absoluter Ausnahmesportler sei.

Ob jemals ein deutscher Spieler in die Nähe der Weltspitze kommen kann, lässt sich nicht prognostizieren. Der 26 Jahre alte Allgäuer Patrick Einsle hat sich immerhin in Qualifikationsturnieren als einziger Deutscher für die sogenannte „Main Tour“ der Snookerprofis für die kommenden zwei Jahre qualifizieren können. Im Normalfall wird er dort einen O’Sullivan kaum zu Gesicht bekommen – wenn der Star der Szene überhaupt spielen sollte. Für Kommentator Kalb ist das Fehlen deutscher Stars aber kein Problem. „Wir brauchen nicht unbedingt einen Boris Becker des Snooker“, sagt er. Es sei ja hinlänglich bekannt, was mit dem Tennis in der öffentlichen Wahrnehmung passiert sei, als Becker, Stefanie Graf und Michael Stich nicht mehr gespielt hätten. Deutsche Snooker-Fans seien eben nicht Fans, weil es prominente Spieler mit dem gleichen Pass gebe. Damit sei die Basis der Zuschauer zuverlässig stabil.

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