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Der neue Weltmeister bei der Arbeit.

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Snooker-Skandal: Schatten über Sheffield

Der Australier Neil Robertson gewinnt den WM-Titel im Snooker. Doch die Schlagzeilen bestimmt sein Vorgänger John Higgins, der vor versteckter Kamera einwilligte, für Geld Frames zu verlieren.

Der neue Weltmeister feierte ausgelassen. Mit der australischen Flagge um die Schultern gewickelt, bejubelte Neil Robertson seinen 18:13-Sieg im Finale der Snooker-Weltmeisterschaft über Graeme Dott. Die Zuschauer im vollbesetzten Crucible Theatre von Sheffield hatten zuvor ein sich über insgesamt zwölf Stunden reine Spielzeit hinziehendes Match gesehen, in dem sich am Ende Technik und Spielwitz gegen puren Kampfgeist durchsetzten.

"Unglaublich, ich kann das noch gar nicht richtig fassen", sagte der 28-jährige Champion direkt nach dem größten Erfolg seiner Karriere. Seit dem Kanadier Cliff Thorburn 1980 ist er der erste Weltmeister, der nicht aus Großbritannien oder Irland stammt. In seiner Heimat Australien wurde wegen ihm erstmals überhaupt ein Snooker-Match live im Fernsehen gezeigt. "Australier lieben nun mal Olympiasieger und Weltmeister", meinte der Linkshänder, der nun auf einen Aufschwung seines Sports in Down Under hofft. Mit 16 Jahren und 500 Pfund in der Tasche hatte er einst seine Heimatstadt Melbourne Richtung England verlassen, um Profi zu werden. Anfangs musste er sich sogar Geld für die beim Spiel vorgeschriebene Weste leihen. Jetzt kassiert er allein für den WM-Titel 250.000 Pfund Siegprämie.

Geld, dass man im Snooker aber offenbar auch viel leichter verdienen kann. Und das ist das eigentliche Thema der letzten Tage von Sheffield. John Higgins, Vorgänger von Robertson als Weltmeister und aktueller Weltranglistenerster, ist in einen Bestechungsskandal verwickelt, der den ganzen Sport in seinen Grundfesten erschüttert. Der dreifache Familienvater erklärte sich vor versteckter Kamera bereit, Frames - also einzelne Spielabschnitte eines Matches - bei vier verschiedenen Turnieren gegen ein "Honorar" von 300.000 Euro absichtlich verlieren zu wollen. Und die Beweislage scheint eindeutig. Gemeinsam mit seinem Manager Pat Mooney reiste er nach seinem WM-Aus nach Kiew und verhandelte dort über den geplanten Wettbetrug. Was Higgins nicht wusste: Er ging Reportern der Zeitung "News of the World" auf dem Leim, die ihm eine Falle gestellt hatten und die ganze Sache auch noch filmten.

Das Video ist auf der Internetseite der "News of the World" zu sehen und es zeigt einen offenbar bereitwilligen Higgins, der sich mehr darüber sorgt, wie er das Geld möglichst unauffällig einstreichen kann als über das absichtliche Verlieren von Frames. Das sei "ganz leicht", so der 32-Jährige. "Es gibt kein Risiko, weil man verschießen kann." Was die Angelegenheit noch pikanter macht, ist die Tatsache, dass sein Manager Pat Mooney, der den Deal eingefädelt haben soll, auch noch im Vorstand der World Professional Billiards and Snooker Association (WPBSA) sitzt. Dieses Amt hat Mooney inzwischen zwar aufgegeben, doch ein Schuldeingeständnis ist das noch nicht. Mooney behauptet, Higgins und er hätten sich bedroht gefühlt und nur zum Schein eingewilligt.

Im Abseits. Der Weltranglistenerste John Higgins.
Im Abseits. Der Weltranglistenerste John Higgins.

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Higgins hat ein zu 100 Prozent reines Gewissen

Der Profi unterstützt diese Aussage: "Ich hatte richtig Angst und wollte nur noch in ein Flugzeug und zurück nach Hause", erklärte Higgins in einem Statement. "Wir wussten nicht, ob wir es womöglich mit der russischen Mafia zu tun hatten. Daher entschieden wir, mitzumachen und dann so schnell wie möglich zu verschwinden."

Diese Verteidigungsstrategie steht allerdings auf ziemlich wackligen Beinen. Auf dem Video ist von Verunsicherung oder gar Angst weder bei Higgins noch bei Mooney etwas zu erkennen. Trotzdem besteht der dreifache Weltmeister auf einem "zu 100 Prozent reinen Gewissen". Er habe nicht betrogen und niemals einen Frame oder ein Spiel absichtlich verloren. Der Weltverband will die Angelegenheit so schnell wie möglich aufklären. Vorsorglich wurde John Higgins zunächst einmal für alle Turniere gesperrt. "Das ist eine sehr ernste Sache. Hier geht es um das Ansehen unseres Sports", begründete WPBSA-Präsident Barry Hearn die Maßnahme. Sollte sich der Verdacht gegen Higgins erhärten, droht ihm eine "sehr, sehr, sehr lange Sperre."

Doch viel schlimmer sind die Auswirkungen auf den Sport, dem Hearn grundlegende Reformen verpassen wollte (der Tagesspiegel berichtete). Der sechsfache Weltmeister Steve Davis, gegen den Higgins im WM-Achtelfinale verlor, sprach von einem "schwarzen Tag für das Snooker". Ähnlich reagierte Eurosport-Kommentator Rolf Kalb, der während der Übertragung des WM-Halbfinales von den Vorwürfen erfuhr. "Meine persönlichen ersten Reaktionen waren heftig: Schock, Unglauben, Wut, Verzweiflung", schrieb er in seine Snooker-Kolumne. Ihm geht es wie vielen anderen: Es fällt schwer zu glauben, dass ausgerechnet der bodenständige und fast ein bisschen langweilig wirkende Familienmensch John Higgins in eine derartige Affäre verwickelt sein könnte.

Andererseits ist es vielleicht nur die Spitze des Eisberges, denn bei der Klasse der Spieler ist es fast unmöglich, einen absichtlich von einem unabsichtlich verschossenen Ball zu unterscheiden. Dass das auch den weltweit agierenden Wettsyndikaten früher oder später auffallen könnte, scheint so unwahrscheinlich nicht.

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