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Er läuft gut. Kurz bei den Paralympischen Winterspielen von Sotschi.

© Imago/Psekhako

So LÄUFT ES: Der Frieden auf dem Gipfel

Michael Kurz hatte nach einem Ski-Unfall die Diagnose Querschnittslähmung. Er kämpfte und lief dagegen an - und wurde ein erfolgreicher Paralympionike. Unsere Laufkolumne.

Im Jahr 1999 stürzte Michi Kurz bei einem Ski-Extremsportwettbewerb in Frankreich und bekam eine fürchterliche Diagnose: Querschnittslähmung. Vor einem Jahr, als ich Michi zum ersten Mal traf, sagte er mir: „Weißt du Mike, ich hatte kurz vor dem Unfall gerade geheiratet, ich habe zwei Kinder. Im Moment des Sturzes dachte ich, ich müsse sterben. Mir war ganz klar, dass ich nun sterben müsse. Aber ich wurde zurückgeschickt. Meine Zeit war noch nicht gekommen.“ Sofort sei da ein Wille gewesen. Und eine Angst. „Ich wollte auf gar keinen Fall in einem Rollstuhl mein Restleben verbringen. Auf gar keinen Fall. Das wollte ich meiner Frau und den Kindern nicht antun.“

Noch im Krankenhaus fing er an, seinen Körper wieder mit reiner Willenskraft zu trainieren. Ein Finger bewegte sich plötzlich. Dann der ganze Arm. Stück für Stück kämpfte er sich zurück ins Leben. Vier Mal nahm er an den Paralympics teil, gewann WM–Medaillen im Langlauf. Michi Kurz konnte jedoch erst seinen Frieden mit sich machen, als er Jahre später genau die Abfahrt zu Ende fuhr, auf der er so schwer gestürzt war.

Michi Kurz ist nicht nur ein Wunder. Er ist zudem ein Laufwunder. Und um die kleinen und die großen Laufwunder wird es in dieser Kolumne immer wieder gehen. Ich habe vor einem Jahr gesehen, wie er einen Halbmarathon gelaufen ist. Mit reiner Willenskraft. In der unglaublichen Zeit von einer Stunde und 42 Minuten.

Das Laufen ist sein Lebenselixier. Ich habe Michi dieser Tage wieder gesprochen. Er hat seine Karriere endgültig beendet, auch als Paralympionike. Und das Laufen hilft ihm gerade jetzt, in diesen Tagen. „Ich laufe oft eine meiner Hausstrecken hier in Österreich, in den Bergen. 50 bis 70 Kilometer am Stück. Bei 5000 Höhenmetern“, sagte er. „Oft ist es ein Mix aus Laufen, Humpeln, Gehen. Aber das ist mir egal. Ich sitze oft oben am Gipfel, mache eine Pause. Und da ist Frieden. Und ich denke: Kannst weiterlaufen. Kannst es aber auch lassen. Wie ich gerade will. Ohne Druck. Ohne die Zeit auf der Uhr.“

Kurz ist mitunter schneller als mancher anderer Profi ohne Einschränkungen

Und so ist Michi oft schneller als mancher Profisportler, der sich an diesen Strecken versucht. „Es gibt einige Junge, die sind echt wild. Ab 3000 Höhenmeter wird es für viele hart. Und sie gehen es oft viel zu schnell an. Und geben auf. Ich lauf durch. Langsam. Aber ich lauf durch.“

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt nun wöchentlich beim Tagesspiegel übers Laufen.
Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt nun wöchentlich beim Tagesspiegel übers Laufen.

© Repro/Tsp

Wer mit Michi spricht, spürt einen Mann, der seinen Frieden gefunden hat: „Das Laufen muss ich machen. Ich muss mich bewegen, sonst wird die Lähmung wieder schlimmer. Wenn ich laufe, bleibe ich geschmeidig.“ Eines aber bereite ihm Sorgen: „Immer mehr Menschen fordern immer mehr von sich. Auch beim Laufen. Es muss immer höher gehen. Weiter. Schneller. Eine Art Massenwahn. Fast wie im Job. Das Laufleben wird zum Krieg. So soll es nicht sein“, sagt er.

Ich habe ihm versprochen, diese Botschaft aufzuschreiben. Und ich habe ihm versprochen, dass wir uns wiedersehen. Und zusammen laufen. Wir brauchen viel mehr Michi Kurz, dessen Motto für uns alle gilt: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ So läuft es.

- Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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