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Marcelinho

© Michele Souza

Sommerpause: Sommer, Sonne, Marcelinho

Er kauft Häuser für Freunde und feiert mit Fans, die sich so stylen wie er. Ein Ferienbesuch beim brasilianischen Star der Bundesliga.

Es gibt nicht nur einen Marcelinho in Brasilien. Auf der Bank sitzen vier Männer mit blond gefärbten Haaren. Ihre freien, gebräunten Oberkörper sind tätowiert. Sie sehen alle aus wie Marcelinho. Der Fußballer ist aber gar nicht dabei.

Der Fußballer schläft. Seine Freunde feiern derweil weiter. Etwa zwanzig Gäste haben sich auf Marcelinhos Finca im brasilianischen Campina Grande eingefunden. Es sind seine größten Fans und besten Freunde zugleich. Marcelinho ist mit den meisten von ihnen aufgewachsen – jetzt leben sie von seinem Geld und feiern ihn dafür. Der Fußball-Profi besorgt ihnen Autos und sogar Häuser. "Er hat uns schon ungefähr zehn Anwesen gekauft“, sagt Wilson mit den blond gefärbten Haaren. Wie viele genau, weiß hier keiner.

"Er ist ein Geschenk Gottes“

Das Konterfei von Marcelinho hat sich Wilson auf den Oberarm tätowieren lassen, ein anderer Kumpel ebenfalls. "Até a morte“ steht bei ihm darunter – bis zum Tod. Unter der Tätowierung von Wilson steht nichts. Der 33-Jährige will trotzdem immer bei Marcelinho bleiben, sagt er. Auch wenn dieser in ein paar Jahren nicht mehr in der Bundesliga für den VfL Wolfsburg spielt. "Er ist ein Geschenk Gottes“, sagt Wilson und zeigt nach oben.

Mit seinen vielen Amigos verbringt Marcelinho die Sommerpause, in der er nicht Fußball spielen muss. Für die Zeit mit ihnen in seiner Heimatstadt Campina Grande ließ er gern auch schon mal ein paar Tage Training sausen. Bei seinem ehemaligen Verein Hertha BSC kostete ihn das am Ende den Job – der Klub verkaufte ihn im Sommer 2006, nachdem Marcelinho zehn Tage zu spät aus Brasilien zurückgekehrt war. Campina Grande ist Marcelinhos Rückzugsgebiet, hier kann er das stressige Deutschland vergessen: Reporter, Skandale, den Druck. Hier ist er der uneingeschränkte König. Wenn Marcelinho in einem der kleinen Häuschen auf seiner Finca aufwacht und vor die Tür tritt, stürzt gleich eine Schar von Freunden auf ihn zu. "Geht es dir gut, Marcelo?“ – "Brauchst du etwas?“

"Marcelinho tut alles für seine Freunde."

Marcelinho
Freunde fürs Leben. Wilson sieht aus wie Marcelinho - und lebt von seinem Geld. -

© Michele Souza

Auf deutsche Journalisten hat Marcelinho in seinem Reich nicht viel Lust. Er möchte eigentlich niemanden hereinlassen in seine kleine verrückte Welt. Ein paar Einblicke lässt der Brasilianer dann aber doch zu. In der Mitte seines Urlaubs veranstaltet er eine große Party anlässlich des zehnten Geburtstages seiner Tochter. Nicht weniger als 200 Gäste sind geladen. Nach den Kindern feiern die Erwachsenen, alle sind ausgelassen. Kellner stapeln Dosenbier auf großen Tabletts und laufen so lange durch den Saal, bis die Gäste alles abgegriffen haben. Meistens dauert das nicht länger als zwei Minuten. Auf der Bühne spielt "Chiquita Bakana“, eine von Marcelinho finanzierte Band. Forró heißt ihr fröhlicher, traditioneller Musikstil, der im Nordosten Brasiliens entstanden ist. Marcelinho steht in der ersten Reihe und wippt im Takt. "Das ist meine Band“, brüllt er. Für eine tiefer gehende Unterhaltung ist es im Saal zu laut. Um Marcelinho herum stehen sie wieder, die Männer mit den blond gefärbten Haaren. Seine Doppelgänger.

Allerdings: Nicht jeder in Campina Grande möchte so sein wie Marcelinho. Viele der 380.000 Einwohner kennen Marcelinho Paraíba, wie er hier genannt wird. Nicht alle haben ihn gern. "Eigentlich ist er ein guter Junge“, sagt Joao Batista, der als Taxifahrer arbeitet. "Aber er weiß seine Freunde nicht auszuwählen. Die wollen den ganzen Tag nur feiern, sie tun nichts anderes. Und sie beraten ihn schlecht.“ Batista ist viel in Alto do Branco unterwegs, dem gehobenen Viertel auf den Bergen, in dem Marcelinho jetzt lebt. Er hat viele Geschichten von und über den Fußballstar gehört. Batista glaubt, dass Marcelinho ausgenutzt wird. Einmal seien ihm 2000 Reais (knapp 800 Euro) von einem seiner sogenannten Freunde gestohlen worden. Marcelinho soll darüber enttäuscht gewesen sein – der Freund hätte ihn doch nur fragen müssen. "Marcelinho tut alles für seine Freunde. Für die anderen Menschen in der Stadt tut er leider nicht so viel“, sagt Batista. Marcelinho sieht das anders. Er hat einmal Dutzende Trikots an die Kinder in der Stadt verteilt, einem Behinderten schenkte er einen Rollstuhl.

"Er ist ein guter Bruder“

Marcelo dos Santos, so sein bürgerlicher Name, kommt aus bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater war zuerst ein schlecht bezahlter Fußballprofi, dann ein Maurergehilfe. Den Sohn schickte er ins Stadion, um Eis zu verkaufen. So ist Marcelinho zusammen mit seinen vier Schwestern in José Pinheiro aufgewachsen. Die Gegend zählt zu den ärmsten in Campina Grande. Dorthin sollte man besser ohne Rucksack gehen, sagen die Leute in der Stadt.

Marcelinho
Arm aufgewachsen. Marcelinho stammt aus José Pinheiro, links sein Geburtshaus. -

© Michele Souza

In José Pinheiro sind die Straßen staubig. Es ist ein Donnerstag, Mittagszeit. Vor den teilweise nur halb fertig gebauten, einstöckigen Häusern sitzen Menschen. Sie trinken etwas oder tun einfach nichts. Der Stadtteil ist keine Favela, aber wohl so etwas wie die Vorstufe davon. Ein Teil der Familie Marcelinhos lebt noch immer hier. Seiner Oma wollte Marcelo dos Santos ein Haus in einem anderen Teil der Stadt kaufen. Sie lehnte ab – sie habe Gott das Versprechen gegeben, nicht wegzuziehen. Ursprünglich hatte Marcelinho gar eine 13 Hektar große Fläche mit mehreren Villen für seine Familie vorgesehen. Er kaufte das Land, doch die Kredite waren überteuert, es fielen hohe Zinsen an. Das Projekt liegt jetzt brach. Eine von Marcelinhos Schwestern, Sandra, lebt wie die Oma noch in José Pinheiro. "Marcelinho kommt uns häufig hier besuchen. Eigentlich immer, wenn er zu Hause ist. Er ist ein guter Bruder“, sagt sie.

100 Prozent Paraíba

Marcelo Paraíba hat seine Herkunft nie verleugnet. Im Gegenteil. Als er Ende der Neunzigerjahre für den FC São Paulo spielte, hat er es allen gezeigt. Nach einem Tor zog er sich das Trikot aus, darunter trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift: 100 Prozent Paraíba. Seine Heimat Paraíba ist der wirtschaftlich schwache Bundesstaat im Nordosten von Brasilien. Im Süden, vor allem in São Paulo, wird der Nordosten als ein wenig rückständig belächelt. Von der Regierung Paraíbas wurde Marcelinho für seine Geste ausgezeichnet. Zu der Ehrung erschien er ganz einfach mit kurzen Hosen – dabei ist solch ein Outfit in Brasilien bei offiziellen Anlässen verpönt.

Auch in Deutschland hat sich Marcelinho oft ein bisschen anders benommen als erwartet. Allein in seinen fünf Jahren bei Hertha entfachte er mehr Skandale als die meisten Fußballprofis in ihrer ganzen Karriere. Er feierte bis zum Frühstück, nachdem seine Mannschaft ein wichtiges Spiel verloren hatte. Er raste über den Kaiserdamm – mit 120 Stundenkilometern. Er geriet in finanzielle Schwierigkeiten, trotz fast zwei Millionen Euro Jahresgehalt. Und dennoch liebten ihn die Fans in Berlin. Auf dem Platz war er immer einer der Stärksten.

"Sein Körper ein Wunder“

Marcelinho
Party bis zum Morgen. Aus dem Truck der Band "Chiquita Bakana" dröhnt der Bass. -

© Michele Souza

"Eigentlich ist sein Körper ein Wunder“, hat einer aus Herthas medizinischer Abteilung mal gesagt. "Der feiert bis um fünf und ist beim Laufen am nächsten Tag trotzdem der Schnellste.“ Im Sommer 2006 musste er dann gehen, sein eigenmächtig verlängerter Urlaub war eine Undiszipliniertheit zu viel. Die Balance zwischen seinen Leistungen und seinen Verfehlungen hatte nicht mehr gestimmt, befanden die Verantwortlichen. Beim türkischen Klub Trabzonspor fühlte Marcelinho sich unwohl; er musste auf der linken Außenbahn spielen anstatt auf seiner Lieblingsposition in der Zentrale. Marcelinho und die Türkei fanden nie zueinander. "Die Leute waren manchmal richtig sauer, obwohl wir 1:0 gewonnen hatten“, erinnert sich Marcelinho. "Das habe ich nicht verstanden.“ Als der VfL Wolfsburg den Mittelfeldspieler im vorigen Winter überraschend verpflichtete, freuten sich fast alle Fußballfans in Deutschland über die Rückkehr des Party-Spielers. "Er ist ein Farbtupfer für die Bundesliga“, sagte sogar Herthas Manager Dieter Hoeneß. Und Marcelinho wusste auf Anhieb wieder zu begeistern. Er spielte, als sei er nie weg gewesen: In 17 Spielen schoss er fünf Tore und lieferte acht Vorlagen.

In Wolfsburg führt Marcelinho ein ruhigeres Leben, als er das in Berlin getan hatte. Der 32-Jährige sagt, er sei reifer geworden. Vielleicht lässt sich auch in Wolfsburg nicht so viel anstellen. Im Sommer in Campina Grande holt Marcelinho ein bisschen davon nach.

Auf seiner Finca im bergigen, grünen Stadtteil Várzea Grande ist eine Party schnell organisiert. Vor dem schwarzen Truck seiner Band "Chiquita Bakana“ stehen zwei überdimensionierte Boxen, aus denen der Bass scheppert. Es wird getanzt und lässig herumgesessen. Langweilig wird es dem Fanklub offenbar nie. Gefeiert wird bis in die Morgenstunden. Am nächsten Tag geht es von vorne los.

Er hat drei Tage Sonderurlaub beantragt.

Die zwei Häuschen auf der Finca sind mit Graffiti verziert – sie zeigen Marcelinho, seine Familie und die Logos der Klubs, bei denen er gespielt hat. Der VfL Wolfsburg ist noch nicht dabei. "Der muss unbedingt noch drauf“, sagt Marcelinhos Kumpel Wilson. Mit seinen Freunden will sich Marcelinho auf der Feier nicht fotografieren lassen – nach ein paar Posen vor dem Pool und dem Familiengraffiti will er wieder für sich sein. "Ich genieße meinen Urlaub und will mich nur um die Dinge hier kümmern“, sagt er. Ob er sich schon auf Deutschland freut? "In der Rückrunde hat man gesehen, dass ich noch der Alte bin“, sagt Marcelinho. "Deshalb freue ich mich sehr auf die neue Saison.“ Ob die Freude auch auf der Seite des neuen Wolfsburger Trainers Felix Magath liegt? Magath gilt schließlich als jemand, der viel Wert auf Disziplin legt. "Ich bin schon mit vielen Trainern zurecht gekommen, die einen harten Ruf hatten“, gibt Marcelinho zurück – und meint wohl auch Klaus Augenthaler, Wolfsburgs früheren Coach.

Nach der Fete fährt Marcelinho wieder zurück nach Alto do Branco, zu seinen beiden Kindern und seiner Frau. Vor dem Haus sitzt ein Mann für die Sicherheit, die Pistole steckt unter seiner Weste. Das zweistöckige, großzügig eingerichtete Haus wird rund um die Uhr bewacht. Wenn der Sicherheitsmann auf einen Knopf auf seiner Fernbedienung drückt, schiebt sich das Metalltor heulend zur Seite. Ein Luxuswagen und zwei Motorräder stehen in der Einfahrt vor dem großen Swimmingpool. Im Haus spielt eine ganze Schar Kinder. Marcelinhos Frau und sein Sohn haben Freunde eingeladen. Auch sie feiern noch ein bisschen Brasilien, bevor es nach Deutschland zurückgeht. Am 30. Juni will Marcelinho wieder in Wolfsburg sein. Er hat drei Tage Sonderurlaub beantragt.

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