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Fernando Hierro soll es jetzt bei den Spaniern richten.

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Spanien vor dem ersten WM-Spiel: Fernando Hierro ist der Herrscher über das Chaos

Der neue Trainer soll die Situation bei den Spaniern retten. Da passt es gar nicht, dass der frühere Verteidiger von Real Madrid mit seiner Mannschaft gleich zum Auftakt gegen Portugal antritt.

Von Johannes Nedo

Fernando Hierro fiel voll aus der Reihe. Während die spanischen Nationalspieler am Donnerstagmittag im Sonnenschein Sotschis langsam das Flugzeug verließen, die Gangway hinunterschlurften und über das Rollfeld schlenderten, legte er den Weg im Eiltempo zurück. Mit schnellen Schritten, den Blick nur nach vorn gerichtet, zog er seinen Rollkoffer hinter sich her und eilte in das Flughafengebäude.

Hierro wirkte wie ein Manager, der hastig zum nächsten Meeting hetzt. Und seine Geschäftigkeit ist ja auch wirklich nicht gespielt. Einen wichtigeren Termin als er hat am Freitagabend in Sotschi niemand. Dann steht der WM-Auftakt Spaniens in Russland an, und das ist nicht irgendein Kick zum Aufwärmen, sondern der Klassiker gegen den Rivalen Portugal (20 Uhr/ARD). Und Hierro wird dann erst an seinem dritten Arbeitstag Trainer der spanischen Nationalmannschaft sein.

Die Lage beim Weltmeister von 2010 in den vergangen Tagen als chaotisch zu beschreiben, ist wohl noch etwas untertrieben. Alles begann damit, dass Real Madrid am Dienstag verkündete, nach der WM Nationaltrainer Julen Lopetegui zu verpflichten. Weil Spaniens Verbandspräsident Luis Rubiales sich von Real aber völlig übergangen und überrumpelt fühlte, entließ er Lopetegui am Mittwoch im WM-Quartier in Krasnodar. Und um die Situation noch halbwegs zu retten, wechselte Hierro, der bisherige Sportdirektor des Nationalteams, für die Dauer des Turniers auf den Trainerposten.

Entschlossen und zuversichtlich

Hierro, einst von 1989 bis 2003 der harte Hund in der Abwehr von Real Madrid, scheint nun mit jeder Geste zeigen zu wollen, dass er die Spanier trotz dieser gewaltigen Turbulenzen noch zum Erfolg führen kann in Russland – und sei es mit zackigen Schritten auf dem Flughafen. Auch bei seiner ersten Pressekonferenz als Nationaltrainer am Mittwoch bemühte sich der 50-Jährige, absolut entschlossen und zuversichtlich aufzutreten. „Zunächst einmal ist das eine tolle Herausforderung“, sagte er. „Unter den gegebenen Umständen werde ich diese Aufgabe mit Mut angehen. Anders geht es nicht.“ Von einem möglichen Titelgewinn will Hierro denn auch nicht abrücken: „Das Ziel ist, um den Titel zu kämpfen. Wir haben keine Zeit, an etwas anderes zu denken. Alles, was passiert ist in den vergangenen Tagen, taugt nicht als Rechtfertigung für irgendwas.“

Dementsprechend geschäftig ging es bei der spanischen Nationalmannschaft zu. Weil zusammen mit Lopetegui, der noch am Donnerstagabend in Madrid als neuer Real-Trainer vorgestellt wurde, auch seine Assistenten aus Krasnodar abreisten, flog der spanische Verband flugs drei neue Betreuer für Hierro ein: den ehemaligen Nationalspieler Carlos Marchena, der 2008 im Europameister-Kader und 2010 im Weltmeister-Kader der Spanier stand; außerdem sollen Julian Calero, zuletzt Trainer beim Drittligisten CDA Navalcarnero, und Fitnesscoach Juan Carlos Martinez Castrejon nun Hierro unterstützen.

Auch dessen Erfahrung als Trainer auf dem höchsten Fußballlevel ist überschaubar. Hierro trainierte bisher lediglich in der vergangenen Saison den spanischen Zweitligisten Real Oviedo und war zuvor ein Jahr lang Assistent von Carlo Ancelotti bei Real Madrid. Seit November hat er nun in der Oliver-Bierhoff-Position beim spanischen Verband gearbeitet, zum zweiten Mal nach vier Jahren Amtszeit zwischen 2007 und 2011.

Auf die Schnelle hätte allerdings wohl kaum jemand anderes den Trainerjob übernehmen können, weil Hierro so nah dran ist an der Nationalmannschaft. Und der gekränkte Verbandschef Rubiales ließ sich eben nicht davon abbringen, Lopetegui zu feuern. Denn die Spieler, allen voran Kapitän Sergio Ramos (Real Madrid) hatten laut Medienberichten wohl noch alles versucht, um weiter mit Lopetegui arbeiten zu können, unter dem sie die vergangenen 20 Spiele nicht verloren hatten.

Doch in dem Geschacher zwischen Rubiales und dem Real-Präsidenten Florentino Perez setzte sich schließlich der Madrider Patriach durch. So zeigte Perez den Spaniern: Für ihn steht das Schicksal des eigenen Klubs deutlich über dem der Nationalmannschaft.

Kritik an Lopetegui

Die Kritik an Perez und Lopetegui ist groß. Xavi, der Weltmeister von 2010 und frühere Star des FC Barcelona, drückte sich noch relativ vornehm aus, als er betonte: „Ich hoffe, dass diese Entscheidung keinen Nach- sondern einen Vorteil für die Nationalmannschaft in sich trägt. Natürlich sind die Umstände nicht die besten. Doch ich meine, dass der Entschluss des Verbandspräsidenten richtig war. Denn der Verband muss größer als Einzelpersonen sein. Lopeteguis Entscheidung kam gelinde gesagt zu einem unpassenden Zeitpunkt.“

Hierro, bei Real eine lebende Klubikone, versucht natürlich all die Streitigkeiten und die Unsicherheit innerhalb der Nationalmannschaft erst einmal wegzumoderieren. „Die Vergangenheit ist Vergangenheit, wir müssen positiv denken. Wir verrennen uns, wenn wir an die Vergangenheit denken. Der Tag war nicht einfach, aber die Jungs sind professionell und Sportler“, sagte er am Mittwoch. „Die Spieler sind gewohnt, dass Trainer kommen und gehen.“

In diesem Punkt bekommt Hierro sogar aus Deutschland Zuspruch. Toni Kroos, mit Real kürzlich zum dritten Mal Champions-League-Sieger geworden, schätzt die Spanier trotz des Tohuwabohus überaus stark ein: „Ich glaube nicht, dass es ein großer Nachteil sein wird. Natürlich gibt es idealere Sachen, als den Trainer, der dich auf das Turnier vorbereitet hat, zwei Tage vor dem Turnierstart zu verlieren“, sagt der deutsche Nationalspieler. „Aber ich glaube, dass die ganzen Automatismen bei den Spaniern auch so greifen werden.“

Das ist ganz in Hierros Sinne. Für ihn zählt vor dem so wichtigen Spiel gegen Portugal nur: Man müsse einfach „den Chip tauschen“. (mit dpa)

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