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Wohin des Weges? Spielerberater sprechen immer jüngere Talente an. Diese Vorgehensweise stößt branchenweit auf große Kritik. Wie man ihr begegnen kann, wird im Moment diskutiert.

© picture-alliance/ dpa

Spielerberater in der Kritik: Der Schatten der Talente

Berater jagen immer jüngere Spieler – schon Neunjährige werden angesprochen. Eltern und Vereine sind oft hilflos. Ein Einblick in ein lukratives Geschäft mit wenig Skrupeln.

Irgendwann hatte Frank Engel genug gesehen. Bei einem Lehrgang seiner U-15-Nationalelf in Bad Blankenburg seien die Spieler auf dem Weg zwischen Training und Unterkunft „regelrecht verfolgt worden“. Der Trainer der jüngsten DFB-Auswahl, auch Leiter der Nachwuchsförderung beim Verband, trat wütend vor die große Gruppe an Spielerberatern: „Wenn das nicht aufhört, wenn Sie nicht seriös arbeiten, dann sperre ich Sie aus!“ Das Problem, das ist ihm auch klar, hat er damit nicht beseitigt. Engel ist es inzwischen gewohnt, dass ihm bei Länderspielen oft mehr als 50 akkreditierte Berater und Scouts im Nacken sitzen. Doch will er nicht akzeptieren, dass der Kampf um die Talente immer extremere Züge annimmt. „Ich besuche E- und D-Jugendturniere“, also zehn- und elfjährige Spieler, „da ist die ganze Tribüne voll mit Beratern. Die Berufsgruppe schießt wie Pilze aus dem Boden.“

Der von Berlin aus operierende holländische Spielermakler Maikel Stevens wurde gerade erst dabei ertappt, wie er einen Akteur aus dem erweiterten Kader der U-15-Nationalmannschaft massiv Avancen machte. Stevens hatte den Mittelfeldspieler Andy Weinreich vom 1. FC Magdeburg über Facebook bedrängt, wie das WDR-Magazin „Sport inside“ berichtete. Maikel Stevens setzte dabei offensiv auf seinen prominenten Erzeuger („Sohn von Schalke-04-Trainer Huub Stevens“) und führte ein angebliches Interesse des Gelsenkirchener Bundesligisten an. Als Weinreich höflich darum bat, Kontakt zu seinem Trainer aufzunehmen, wurde Stevens unwirsch: „Magdeburg möchte doch, dass Du 15 Jahre in Magdeburg bleibst, also wenn ich Deinen Trainer anrufe, hat er Angst, dass Du gehst (…) Ich habe so ein Gefühl, dass er bei Dir im Raum steht – und Dir sagt, was Du zu schreiben hast.“ Und: „Falls Du Profi werden willst, brauchst Du einen Berater. Götze, Podolski usw. hatten auch einen Berater mit 14, 15.“

Derzeit wird der Fall branchenweit diskutiert, den Gregor Reiter „leider Alltag“ nennt. Reiter ist der Geschäftsführer der Deutschen Fußballspieler-Vermittler Vereinigung (DFVV), einer Art Dachverband von Beratern. Das Vorgehen des Vermittlers sei „absolut nicht in Ordnung“, sagt Reiter, „aber Insider überrascht dieses Vorgehen nicht: Es ist mittlerweile oft die Regel.“ Bemerkenswert sei allenfalls, dass zum ersten Mal ein solcher Anwerbeversuch detailliert in der Öffentlichkeit landete. Denn im Grunde schweigen die Eltern von talentierten Spielern – aus Furcht vor Nachteilen für die Karriere ihres Kindes.

Für Reiter ging Stevens, immerhin Geschäftsführer der großen Agentur Sports Entertainment Group, die auch Stars wie Robin van Persie unter Vertrag hat, deutlich zu weit. Eine besondere Note bekam der Fall auch noch dadurch, dass Stevens später behauptete, er wähle nie den Weg der Kontaktaufnahme über Facebook: „Es gibt Berater, die das machen, ja – aber wir machen das nicht.“ Explizit verneinte er sogar, Weinreich über Facebook angeschrieben zu haben, und fügte hinzu: „Ich habe den Namen mal gehört und habe auch versucht, Kontakt zu kriegen, aber das habe ich dann auch schleifen lassen.“ In der Folge versuchte er, die Ausstrahlung des Interviews zu verhindern. Und letztlich behauptete er, ein Mitarbeiter habe sein Profil missbraucht. Reiter stellt indes klar: Wer als Agentur etwas auf sich halte, der setze keine Kinder unter Druck, sondern wähle den persönlichen Kontakt zu den Eltern, möglichst am Rande eines Spiels, „wenn die Leute auf neutralem Boden die Möglichkeit haben, nein zu sagen“. Doch er weiß auch: Es gibt zu viele problematische Berater.

Rund 300 Berater mit Lizenz sind in Deutschland registriert, dazu soll es aber weit über 1000 nicht-lizensierte Agenturen geben. Hamburgs Sportdirektor Frank Arnesen etwa hat derzeit Probleme mit der Fifa, da er beim Transfer von Milan Badelj mit einem nicht-lizensierten Berater verhandelt haben soll.

Im Internet finden sich Plattformen, auf denen von Möchtegern-Beratern schon Talente ab neun Jahren präsentiert werden. In Berlin, derzeit ein heiß umkämpfter Jugendmarkt, häufen sich Fälle von D-Jugendkickern, die schon einen Berater haben – meist beginnt die Zusammenarbeit mit einer Art Ausrüstervertrag: Der Agent bringt regelmäßig teure Fußballschuhe, die Eltern vertrauen ihm die sportliche Zukunft ihres Kindes an. „Wir sagen unseren Mitgliedern immer: Nehmt Abstand davon, Kinder zu verpflichten“, so Reiter, „wir hören dann oft: Wenn wir nicht so früh aktiv werden, sind wir als Agentur bald verschwunden vom Markt.“ Oft ist mittlerweile die Rede von regem Kinderhandel. „Es ist fast schon ein Ritual geworden, die jungen Spieler zu jagen“, sagt DFB-Trainer Frank Engel.

Selbst wenn es ein Spieler nur in die Zweite Liga schafft – die Vermittlung bringt für den Berater eine fünfstellige Provision. Der Schnellste zu sein lohnt sich

Laut Heike Pilatzeck, Mutter von Andy Weinreich, werde ihr Sohn bereits seit dem zwölften Lebensjahr umworben. Agenten wollten ihn angeblich schon zu Klubs wie VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund und FC Fulham lotsen. Einer dieser Makler tauchte plötzlich sogar an der Wohnungstür auf. Während Gymnasiast Andy sich längst seinen eigenen Eindruck gemacht hat („Manche Berater sind sehr hinterlistig, man kann schon sagen: Lügner“), plant seine Familie die Karriere alleine, generalstabsmäßig. Die Mutter hat eine sportpsychologische Betreuung für den Sohn engagiert, damit Schule und Fußball im Einklang funktionieren, und der Stress nicht zu groß wird. Sogar bei der Spielergewerkschaft VdV ist Andy schon Mitglied. „Man darf nie vergessen: Fußball ist nicht alles“, sagt die besorgte Mutter, „wir wollen, dass er Profi wird – aber nicht um jeden Preis.“ Reiter sagt: „Ein 15-Jähriger benötigt eigentlich noch keinen Berater. Das kann alles noch der Verein klären.“

Doch die Berater bremsen die Klubs, wie im Falle Weinreichs, oft aus. Carsten Müller, der Leiter des Magdeburger Nachwuchsleistungszentrums, spürt das immer wieder. „Die Ansprachen sind sehr aggressiv, und wir erfahren oft erst alles, wenn es zu spät ist.“ Magdeburg verliert Jahr für Jahr seine besten Talente an andere Klubs – oft haben Berater die Finger im Spiel. Auch, weil manche Eltern das große Geld wittern. Der Verein versucht, wie die anderen Leistungszentren auch, seine besten 15-Jährigen bereits über so genannte Förderverträge an sich zu binden. Ab diesem Alter ist das erlaubt. Diese Jugendkontrakte sind mit 250 Euro im Monat dotiert. Falls dann ein Talent geht, erhält Magdeburg immerhin eine Ausbildungsentschädigung, sonst geht der Verein meist leer aus. Nicht nur, dass viele Vermittler deshalb versuchen, bereits vor dem 15. Geburtstag zuzugreifen – oftmals raten sie sogar davon ab, diese bindenden Verträge zu unterschreiben und bieten mehr Geld. „Wir hatten schon Fälle, da sind den Eltern von Kindern im Alter von 14 Jahren um die tausend Euro im Monat versprochen worden“, sagt Müller. Es gab Jahre, da habe er seine sechs besten 14-Jährigen verloren. DFB-Trainer Engel erklärt, dass es nicht mehr nur der Ansturm auf die Top-Talente sei: „Es geht längst um die breite Masse.“ Selbst wenn es ein Spieler nur in die Zweite Liga schafft – die Vermittlung bringt eine Provision in Höhe von bis zu zehn Prozent des Brutto-Jahresgehaltes, das können zehntausende Euro sein. Der Schnellste zu sein lohnt sich.

Vor vier Wochen verständigten sich die Vereine unter dem Dach der DFL auf neue Regeln beim Scouting im Jugendfußball. Die Auswüchse wurden so alarmierend, dass man eine Art Ehrenkodex verabschiedete. Ein Punkt: Die Klubs wollen sich künftig die Talente in so jungen Jahren nicht mehr gegenseitig abwerben. Außerdem sollen bei Gesprächen über einen Vereinswechsel von Jugendspielern künftig keine Dritten mehr anwesend sein, um „die Rolle des familiären Umfeldes zu stärken“, heißt es. Doch sei die Realität, ahnt Reiter, eine andere: „Die Klubs kreieren den Markt selbst. Und wenn sie einen Spieler unbedingt wollen, werden sie auch künftig seinen Berater am Tisch akzeptieren.“ Die Jagd geht weiter.

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