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Sport: Spielgestaltung aus der Defensive

Christoph Daum Genauso wichtig wie ein funktionierendes Mannschaftsspiel ist die Qualität der Spielgestalter. Der Spielmacher früherer Jahre, der den Ball kontrolliert und seine Mitspieler mit genialen Pässen einsetzt, ist passé.

Christoph Daum

Genauso wichtig wie ein funktionierendes Mannschaftsspiel ist die Qualität der Spielgestalter. Der Spielmacher früherer Jahre, der den Ball kontrolliert und seine Mitspieler mit genialen Pässen einsetzt, ist passé. Die legendäre Nummer 10, befreit von Abwehrarbeit und abgesichert durch einen Wasserträger, kann sich eine Spitzenmannschaft nicht mehr leisten. Heute wird viel schneller gespielt - und auf engerem Raum.

Die Rolle der Spielgestalter hat sich verändert. Sie agieren heute mehr im hinteren Mittelfeld. Der sogenannte Vorlibero, der zentrale defensive Mittelfeldspieler, hat oft die meisten Ballkontakte und wächst dadurch in eine Spielmacherrolle hinein.

In der deutschen Nationalmannschaft beherrscht Didi Hamann die Spielgestaltung aus der Defensive. Gegen Irland hatte er zwar eine höhere Fehlpassquote als gegen Saudi-Arabien, das aber vor allem deshalb, weil seine Mitspieler die Bälle nicht energisch gefordert haben. Durch den Druck der Iren in der zweiten Halbzeit war Hamann mehr mit Defensivaufgaben beschäftigt und konnte nicht viel für den Spielaufbau tun.

Unterstützt wird Hamann von Michael Ballack und Bernd Schneider. Beide Spieler sind keine klassischen Dirigenten, die Torchancen nur vorbereiten; sie bieten sich selbst bei jeder Gelegenheit als Goalgetter an.

Ballack ist einer der vollständigsten Spieler des deutschen Teams. Er schießt mit links und rechts, er ist kopfballstark, beherrscht den tödlichen Pass und ist selbst ein Torjäger aus der Tiefe. Aber gleich darauf ist er schon wieder am eigenen Strafraum. Ballack hat einen unglaublich großen Aktionsraum. Leider ist er gerade nicht ganz gesund und kann seine Qualitäten nur ungenügend zeigen.

Im Spiel gegen Saudi-Arabien konnte Ballack nach Lust und Laune schalten und walten. Die Iren dagegen ließen ihn nicht ins Spiel kommen, sie attackierten ihn aggressiv und schränkten mit Körperkraft seine Kreise ein. Über weite Strecken war Ballack vollauf damit beschäftigt, die linke Seite abzuschirmen. Für die Offensive konnte er deshalb weniger leisten als sonst. Trotzdem spielt einer wie Ballack immer noch den einen oder anderen genialen Pass, so wie den auf Janker, der, völlig frei, das 2:0 auf dem Fuß hatte.

Bernd Schneider kommt, im Gegensatz zum zentraler spielenden Ballack, öfter von außen. Er ist ein unberechenbarer Kreativspieler und riskiert oft Pässe oder Torschüsse, die ihn entweder als Genie erscheinen lassen - oder als Spieler, dem die Übersicht fehlt. Aber Schneider, dribbelstark genug, um sich auch aus nahezu aussichtslosen Situationen mit einer Finte befreien zu können, nimmt dieses Risiko bewusst auf sich. Im Spiel gegen Irland ließ er sich unter dem zunehmenden Druck immer weiter zurückfallen und setzte nur noch wenige Akzente für den Spielaufbau.

Sowohl Ballack wie auch Schneider haben gegen Irland zuverlässige Abwehrarbeit geleistet, sie haben sich nicht nur auf das Spiel nach vorne konzentriert. Das war richtig und wichtig. Doch um zu gewinnen, brauchen wir mehr von ihren Offensivqualitäten.+

Der Fußballlehrer Christoph Daum analysiert an dieser Stelle täglich die WM.

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