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Sport in China: "Hier funktioniert alles von oben nach unten"

Inkompetenz, Schikane, Bespitzelung: Wie Kanutrainer Josef Capousek an Chinas Sportsystem scheiterte.

Die letzten Tage in Peking haben sich für Josef Capousek gelohnt. „Ich gehe durch die Stadt und fotografiere Menschen im Alltag“, erzählt der Kanutrainer und zieht eine Kamera hervor. „Das ist mein Hobby.“ 12 000 Bilder hat er in China geschossen, mit Hilfe der chinesischen Sportbehörden ist er bis nach Tibet gereist, um zu fotografieren. Einmal aber habe ein chinesischer Sportfunktionär Anstoß genommen, sagt Capousek. Warum fotografierst du immer nur arme Menschen, habe dieser gefragt, willst du China schlecht machen? Es war einer jener Momente, in denen er das unglückliche Ende seines China-Abenteuers vorausahnen konnte.

Seit knapp zwei Wochen ist Josef Capousek nicht mehr chinesischer Nationaltrainer der Kanuten. 44 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele hat das chinesische Sportministerium den Trainer entlassen, der als deutscher Bundestrainer 18 olympische Goldmedaillen gewonnen hatte. „Er hat nicht das gebracht, was wir uns von ihm erwartet haben“, sagt Wei Di, Direktor der Wassersportverwaltung des Sportministeriums, der „South China Morning Post“. Capousek habe eine Goldmedaille bei Olympia versprochen, und danach sehe es im Moment nicht aus. Außerdem habe der Kulturschock die gemeinsamen Anstrengungen, miteinander zu arbeiten, untergraben. Eine Goldmedaille habe er nicht versprochen, sagt Capousek, aber der Kulturschock sitzt tatsächlich tief. Er habe Intriganz, Korrumpiertheit, Machthunger und Inkompetenz von Sportfunktionären, Missachtung von Sportlern sowie die Bespitzelung durch Trainerkollegen erlebt.

Josef Capousek sitzt in Peking in einem deutschen Restaurant am Ritan Park und bestellt eine Cola. „Kalt“, sagt er auf Chinesisch und erklärt, „die Chinesen trinken ihre Getränke auch gerne warm.“ Das Fotografieren lenkt ihn ab, doch die seltsamen Umstände seiner Entlassung hat er noch nicht verwunden. „Sieben Wochen vor den Olympischen Spielen, das ist doch sportlich völliger Blödsinn“, sagt Capousek und blickt aus dem Fenster. Es regnet.

Neun von zwölf chinesischen Booten haben sich unter ihm für Olympia qualifiziert – so viele wie nie zuvor. Dem Kajak-Vierer der Männer traut Capousek sogar Goldchancen zu. Trotzdem ist er bei den Funktionären in Ungnade gefallen. „Ich habe das chinesische Sportsystem unterschätzt“, sagt er. „Hier funktioniert alles nur von oben nach unten.“ Er habe versucht, den Stil zu ändern. Er wollte den chinesischen Sportlern Selbstverantwortung und Selbstdisziplin beibringen, damit sie bewusster und motivierter trainieren. „Die Qualität des Trainings wird dadurch besser“, sagt Capousek, „die Sportler sollten morgens aufwachen und sagen ,ich will’ und nicht ,ich muss’- und ich hatte auch Erfolg damit.“ Die Funktionäre waren anderer Meinung. „Sie glauben, ein chinesischer Sportler müsse immer beaufsichtigt und kontrolliert werden, er braucht Druck und Disziplin.“ Capousek muss lachen, wenn er zurückdenkt. „In Deutschland bin ich öfters als diktatorisch bezeichnet worden, hier war ich der liberalste Mensch der Sportwelt.“

Wie beim Militär sei es im Trainingslager zugegangen, erzählt er. Vor dem Essen mussten sich die Athleten in einer Reihe aufstellen, abzählen und abmarschieren. Auf dem Gang saßen Trainer und notierten, wann wer sein Zimmer verließ. Handys und Laptops mussten die Sportler abgeben. Capousek gab ihnen die Geräte zurück. Er bot einen Englischkurs an, der allerdings kaum auf Interesse stieß.

Inzwischen sind die Kanuten Handys und Laptops erneut los. Seit November hat Josef Capousek geahnt, dass er in China nicht mehr wohlgelitten war. Da war er nach einer Prostatakrebsoperation in Deutschland vorzeitig nach China zurückkehrt. „Ohne Rehabilitation, viel zu früh, ich Idiot“, sagt er. „Die Funktionäre haben mich angesehen, als ob sie dachten: Was macht der denn wieder hier.“ Seit Frühjahr habe sich ständig ein Militär im Umkreis der Mannschaft herumgetrieben. Der Anfang einer Intrige, glaubt Capousek, denn inzwischen ist dieser Mann sein Nachfolger. „Er hat keine Ahnung vom Kanusport“, sagt Capousek.

Besonders schockiert ihn das Verhalten der Funktionäre. „Sie kommen in das Trainingslager und verbreiten eine Atmosphäre der Angst“, sagt Capousek. Es wunderte ihn, dass sie über viele Termine und Handlungen Bescheid wussten. „Einmal sagte einer: Der Spiegel ist ein Feind Chinas“, erzählt Capousek. Sein Gegenüber habe offenbar gewusst, dass er mit einem Journalisten des chinakritischen Nachrichtenmagazins gut befreundet ist. Wöchentlich hätten die Trainer Berichte abgeben müssen. „Wie in der DDR“, sagt Capousek.

Noch eine Woche wird er in Peking bleiben. Er hofft, noch 1500 Euro Spesen zu bekommen. Er hat einen Auflösungsvertrag unterzeichnet, obwohl er den Kündigungsgrund seltsam findet: Eine nicht gewonnene Goldmedaille bei einer Veranstaltung, die noch nicht stattgefunden hat. Auf rechtliche Schritte will er dennoch verzichten. „Das ist doch sinnlos in China“, sagt er. In einer Woche will er nach Duisburg zurückkehren, im Herbst sich nach einer neuen Aufgabe umsehen. Die Spiele wird er im Fernsehen sehen. „Da kriegt man viel mehr von den anderen Sportarten mit“, sagt er, „man muss immer positiv denken.“ Zum Beispiel weitere Fotos machen. Capousek verabschiedet sich. Der Regen hat aufgehört.

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