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Islands Fußballer bejubeln die EM-Qualifikation.

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Sportland Island: Nicht zu unterschätzen!

Island feiert im Mannschaftssport viele Erfolge. Warum ist das so? Eine Ursachenforschung.

Wer auf den Westmen Islands wohnt, begegnet fast nur bekannten Gesichtern. In der Inselgruppe südöstlich des isländischen Hauptlands leben rund 4000 Einwohner. Erlingur Richardsson, neuer Trainer von Handball-Bundesligist Füchse Berlin, ist dort aufgewachsen. Er nennt seine Heimat den perfekten Ort für Kinder – wegen der Weite, des Gefühls von großer Freiheit, aber auch aufgrund der vielen Sportangebote. Als Jugendlicher ist Richardsson früh aufgestanden und durfte sich dann entscheiden, ob er Radfahren oder Schwimmen geht, Fußball oder Handball spielt. „Auf unserer Insel sind 90 Prozent der Kinder sportlich aktiv“, sagt er.

Sport nimmt in Island eine große Rolle ein, im Land der Pferde, Vulkane und extremen Wetterbedingungen. Gemessen an der Einwohnerzahl sind Islands sportliche Erfolge der vergangenen Jahre imponierend. 2013 scheiterte die Fußball-Nationalmannschaft nur knapp an der Qualifikation zur WM in Brasilien, Anfang September hat sie sich nun sensationell für die Europameisterschaft im kommenden Jahr qualifiziert. Vor zwei Wochen spielten Islands Basketballer zum ersten Mal bei einer Endrunde mit, im Handball ist die EM-Teilnahme fast schon selbstverständlich.

Angesichts seiner Größe überrascht der Inselstaat immer wieder: Island hat 330 000 Einwohner, so viele wie Bielefeld. Erstaunlich ist vor allem die Entwicklung im Fußball. Innerhalb von vier Jahren ist die isländische Auswahl von Platz 112 auf 23 der Fifa-Weltrangliste gestiegen. Der Aufschwung ist hauptsächlich mit einer Initiative des isländischen Fußballverbandes (KFI) vor gut einem Jahrzehnt zu erklären, in der A- und B-Trainerlehrgänge des Europäischen Fußballverbands Uefa zu einem günstigen Preis für jeden zugänglich gemacht wurden. 70 Prozent der isländischen Trainer besitzen heute eine Uefa-B-Lizenz, 30 Prozent eine A-Lizenz – kein Land in Europa hat eine höhere Quote. Durch die KFI-Initiative wurden zudem zahlreiche Fußballhallen und Kunstrasenplätze gebaut, damit Kinder auch weiter Fußball spielen können, wenn im Oktober die Temperatur auf den Nullpunkt zusteuert.

Islands Nationalsport Handball konnte schon immer das ganze Jahr über betrieben werden. In Deutschland genießen gerade isländische Handballtrainer einen hervorragenden Ruf. Neben Sigurdsson trainieren mit Alfred Gislason (THW Kiel), Geir Sveinsson (SC Magdeburg) und Erlingur Richardsson (Füchse Berlin) drei Männer aus Island einen deutschen Top-Verein. „Isländische Trainer sind sehr akribisch“, sagt Steffen Stiebler, Sportlicher Leiter des SC Magdeburg, „gerade ihre Video-Analysen und Spielauswertungen sind hoch entwickelt.“ Dies liegt wie im Fußball an den fortgeschrittenen Strukturen im Land. „Circa 80 Prozent der isländischen Jugendtrainer sind ausgebildet und werden auch entlohnt“, sagt Füchse-Trainer Richardsson. Wer in Island hauptberuflich als Jugendtrainer arbeiten will, muss jedoch gleich mehrere Mannschaften trainieren. So kommt es zur für den isländischen Handball sehr förderlichen Situation, dass sich außergewöhnlich viele Trainer den ganzen Tag mit Handball beschäftigen. Die kurzen Tage zwischen Oktober und April tun da ihr Übriges. „Auf Island ist es das halbe Jahr dunkel, da sucht man sich ein paar Aufgaben mehr, um die Tage rumzukriegen“, sagt Nationaltrainer Sigurdsson.

Island ist inzwischen nicht mehr nur eine Handball-Nation

2008 feierte das Handballnationalteam mit dem Gewinn der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Peking den größten Triumph in Islands Sportgeschichte. Vor dem Halbfinale gegen Spanien bekommen einige Spieler mit, wie sich ihr Gegner auf die vermeintlich leichte Aufgabe Island freut und fühlen sich in ihrer Ehre gekränkt. Die Isländer gewannen das Spiel dann 36:30.

Das Gefühl, stets unterschätzt zu werden und den großen Ländern Paroli bieten zu müssen, ist womöglich die wichtigste Tugend der isländischen Sportler. „Islands Bevölkerung hat ein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und will als wichtiger Teil von Europa wahrgenommen werden“, sagt Laufey Gudnadottir, Isländisch-Lektorin am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität Berlin. Ständig ziehe man den internationalen Vergleich. Der Schritt ins Ausland ist in Island darum auch keine Besonderheit, sondern eher die Regel. Im Fußball wechseln die besten Talente oft schon mit 16 oder 17 in die niederländische oder englische Liga. Im Basketball gehen die Spieler zunehmend in die USA, um dort bei einem College zu spielen.

Wenn sich die isländischen Sportler aus ihren verschiedenen Wahlheimaten dann zurück in Richtung Insel aufmachen, ist es auch die Rückkehr in eine familiäre Atmosphäre. „In Island sind viele Menschen verwandt oder befreundet mit den Sportlern“, sagt Gudnadottir. Das schafft eine zusätzliche emotionale Bindung und einen hohen Wohlfühlfaktor für die Isländer, wenn sie in die Heimat kommen. So wie bei Erlingur Richardsson.

Mattis Nothacker

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