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Olympische Sommerspiele 2008

© AFP

Sportler-Ehe: Nach Olympia: Ringen um die Beziehung

Mirko Englich verdankt seine Silbermedaille in Peking seiner Frau. Nun will sie selbst wieder aktiv werden – für sich und ihre Partnerschaft.

Von Katrin Schulze

Ein kurzer dumpfer Knall und der große stämmige Mann klatscht mit dem Rücken auf die Matte. Sein kleiner Gegner im engen roten Ringeranzug wirft sich in Siegerpose. Er streckt die Faust in die Luft und lässt sich vom Publikum beklatschen. Mirko Englich hat sich gerade von seinem fünf Jahre alten Sohn besiegen lassen. Yvonne Englich steht daneben und ist ganz Mutter, als sie Sohn Noah nach der kleinen Rangelei anerkennend über die Haare streicht. Es ist nur ein Showkampf der Familie Englich beim Club-Urlaub der Athleten in Agadir und doch weckt die Szene Erinnerungen an den olympischen Endkampf im griechisch-römischen Stil.

Auch da hatte sich Mirko Englich aushebeln lassen. Allein die Konsequenzen waren erheblicher: In der Klasse bis 96 Kilogramm bezwang ihn der Russe Aslanbek Chuschtow mit einem klassischen Überwurf. „Ich habe mir das Video vom Kampf danach zig Mal angesehen“, sagt Mirko Englich. „Und jedes Mal fragte ich mich, was machst du da eigentlich für einen Mist?“ Der Mist, den der 30 Jahre alte Ringer aus Witten fabrizierte, war eine Silbermedaille wert – die erste olympische Ringer-Medaille seit 1996. Eine Medaille, wegen der seiner Frau auf der Tribüne Tränen über ihr markantes Gesicht mit den vielen Sommersprossen kullerten. Yvonne Englich weiß, wie es sich anfühlt, auf der Matte mit dem Gegner um den einen perfekten Griff zu kämpfen. Sie ist auch Ringerin und bis zum olympischen Turnier in Peking war sie erfolgreicher als ihr Ehemann.

Trotzdem weckte der Triumph ihres Mannes bei ihr keinen Neid. Vielmehr war Yvonne Englich hin- und hergerissen zwischen Freude und Wehmut. Freude für ihren Partner. Und Wehmut über ihre eigenen verpassten Chancen, die sie zugunsten der Familie opferte. Seit fünf Jahren stellt die Ringerin nun schon ihre Sportlerkarriere zurück. Sie akzeptiert dieses Schicksal, nimmt es aber eher hin, als dass sie vollkommen überzeugt ist von den Einschränkungen, die auf sie als Mutter zukommen. Sie versorgt die Kinder im Ruhrgebiet, während ihr Mann in Frankfurt/Oder trainiert.

Die Englichs sind nicht gerade das Leitbild für eine ausgeklügelte Familienplanung: Bei der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2004 in Athen passierte ihr ein „Missgeschick mit der Pille“, das sie damals „umgehauen“ hat. Yvonne Englich wurde schwanger. Was soll’s, sagte sie sich, „ich bin jung, in vier Jahren habe ich noch eine Chance.“ Vier Jahre später – wieder bereitete sie sich akribisch auf das olympische Turnier vor – verletzte sie sich am Knie. Dieses Mal dachte sie: „Das war es. Aus der Traum.“ Die Ringerin wurde wieder schwanger. Ihr Sport ließ sie dennoch nicht los. Wie auch? „Es gibt keinen Tag, an dem wir in der Familie nicht über Ringen reden“, sagt ihr Ehemann. „Unsere Tochter spielt mit Puppen, aber sie macht mit ihnen Würfe.“

Bei der deutschen Meisterschaft wollte es sich Yvonne Englich trotz der Mehrfachbelastung noch einmal beweisen – danach sollte Schluss sein. Doch nach dem nationalen Titelgewinn merkte sie plötzlich, „dass es falsch ist aufzuhören. Da muss einfach mehr drin sein.“ Den Gedanken daran konnte sie nicht mehr verdrängen. In Peking wurde daraus schließlich ein Entschluss: Sie will zu Olympia. Sie muss. Denn der Kampf für London 2012 ist mehr als das Ringen um Edelmetall. Es ist ein Kampf um ihre Ehe. „Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Beziehung es überleben würde, wenn ich es nicht noch einmal für Olympia probieren würde“, sagt sie. Zu oft musste sich Yvonne Englich in der Vergangenheit hinten anstellen.

Für die Ehe mag es heilsam sein, doch das Leben für den Sport bedeutet für eine Ringer-Familie vor allem Verzicht. Einen Urlaub wie den in Marokko hätten sie sich ohne die Unterstützung des Reiseveranstalters und der Sponsoren nicht leisten können. Er verdient mit seiner Ausbildung bei der Feuerwehr 400 Euro im Monat, sie hat gleich drei Jobs und schafft es deshalb manchmal nur zweimal in der Woche zum Training. „Das ägert mich dann richtig“, sagt sie. Und mit ihrem Ehrgeiz steckte sie ihren Mann an. „Ich war zu dieser Medaille quasi verpflichtet – schon weil meine Frau für mich zurücksteckt“, sagt er. Dass Mirko Englich mit seiner Silbermedaille mehr Ehre als Reichtümer davonträgt, weiß er inzwischen.

Nur kurz träumte er den Traum vom umjubelten Olympia-Star, so wie ihn Matthias Steiner derzeit erlebt. Bis Jahresende ist der Goldmedaillengewinner im Gewichtheben mit Terminen eingedeckt. Mirko Englich dagegen stand nur am Tag seines Erfolgs im öffentlichen Fokus. Schon beim Rückflug von Peking wich sein Traum der Ernüchterung. „Die Flugbegleiter tänzelten um die Handballer herum, obwohl die nicht mal eine Medaille gewonnen hatten“, erzählt er. „Mich erkannte niemand.“

Ein bisschen Verbitterung schwingt bei den Englichs mit, wenn sie über die Vermarktungsprobleme der Randsportart Ringen reden. Da werden Vergleiche gezogen mit ehemaligen Sportlern, die trotz chronischer Erfolglosigkeit für einen Pausensnack werben dürfen, während sie selbst Monat für Monat ihr Geld zusammenhalten. Dennoch wissen beide: „Jetzt ist es zu spät, um aus der Medaille Kapital zu schlagen.“ In vier Jahren wollen sie es besser machen. Zu zweit.

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