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An einem Strang gezogen: Der Deutschland-Achter gewann 2012 in London olympisches Gold.

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Sportlerwahl 2012: Die Besten kommen zum Schluss

Diskuswerfer Robert Harting, die ehemalige Biathletin Magdalena Neuner und der deutsche Ruder-Achter wurden am Sonntagabend zu Deutschlands Sportlern des Jahres gekürt. Drei Würdigungen.

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Der Ruder-Achter: Das Moment-Team

Wie bekommt man acht erbitterte Konkurrenten dazu, im entscheidenden Moment am gleichen Strang zu ziehen? Niemand scheint diese Frage so gut beantworten zu können wie Ralf Holtmeyer, als Ruder-Bundestrainer verantwortlich für den deutschen Achter. Holtmeyer hält nicht viel von Harmonie, auch wenn das wichtigste Boot des Deutschen Ruderverbands bei seinen Rennen sehr harmonisch wirkt. „Wo es darum geht, besser zu werden, ist es zwangsläufig unbequem, weil man immer arbeiten muss“, hat Holtmeyer vor Kurzem gesagt. „Das Harmoniemodell passt nicht zum Spitzensport.“ Und Ruderer Andreas Kuffner ist schon früh aufgefallen: „Das Erfolgsrezept des Boots ist es, dass keiner seinen Platz sicher hat. Man muss sich ständig beweisen.“

Beweisen musste sich auch der Deutschland-Achter bei den Olympischen Spielen in London, nachdem das Boot vier Jahre zuvor in Peking kläglich gescheitert war. Holtmeyer, der das Boot bereits von 1986 bis 2000 trainiert und 1988 in Seoul zum vorerst letzten olympischen Gold geführt hatte, wurde als Chef zurückgeholt. Der 56-Jährige setzte auf Konkurrenzkampf und Druck – und der Erfolg gab ihm recht. Mit Holtmeyer kehrte der Erfolg zurück, der Achter wirkte in den Jahren zwischen den Spielen 2008 und 2012 unschlagbar. Mit drei WM-Titeln in Folge und 35 Rennen ohne Niederlage reiste die Mannschaft nach London.

Vor den Spielen hatte Holtmeyer seine Athleten zu diversen Trainingslagern zusammengezogen, insgesamt viereinhalb Monate verbrachten die Männer gemeinsam. Meistens mit drei Trainingseinheiten pro Tag, 30 Stunden pro Woche. Bis zum Frühjahr verteilte Holtmeyer die Männer in Zweier-Boote, zu diesem Zeitpunkt kämpften noch 18 Kandidaten um die acht Plätze im 17,62 Meter langen, 86 Kilogramm schweren und rund 40.000 Euro teuren Großboot. Holtmeyer probierte verschiedene Zusammensetzungen und Konstellationen aus, ehe er sich für die acht Ruderer entschied, die in London das erste Achter-Gold seit 24 Jahren gewinnen sollten.

Im Rennen auf dem Dorney Lake von Eton war es dann das britische Boot, das die deutschen Favoriten herausforderte. Mit einem mutigen Zwischenspurt schoben sich die von ihrem Publikum nach vorne gepeitschten Gastgeber an die Deutschen heran, einige hundert Meter lagen die Boote Bug an Bug. Dann hatten die Briten ihre Kraft verbraucht und fielen sogar noch hinter die am Ende zweitplatzierten Kanadier zurück. Der Weg zu Gold und dem 36. Sieg in Folge war frei für die Deutschen.

„Wir haben alle die Augen im Boot gehabt, jeder Blick kostet 20 Zentimeter“, erläuterte Ruderer Maximilian Reinelt. Wer die härtesten Konkurrenten im eigenen Boot an seiner Seite weiß, kann sich eben ganz auf sich selbst konzentrieren.

Magdalena Neuner: Die Selbst-Befreite

Genießt ihr Leben nach dem Sport: Magdalena Neuner.
Genießt ihr Leben nach dem Sport: Magdalena Neuner.

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Auftritte wie diese kann sie inzwischen genießen. Seit sie weniger geworden sind, eher mal Kür als ständige Pflicht, charmiert Magdalena Neuner nur so bei öffentlichen Ereignissen. Sie ist so frei, auch am Sonntag bei ihrer Krönung zur Sportlerin des Jahres. Dort ist kaum zu übersehen, dass sie sich befreit hat vom Druck. Vom Leistungssport. Vom Dasein als Biathletin.

Zum dritten Mal nach 2007 und 2011 hat Magdalena Neuner die Wahl nun schon gewonnen. Das liegt natürlich an den sportlichen Erfolgen, an ihren zwei Goldmedaillen bei der Heimweltmeisterschaft in Ruhpolding und dem Sieg im Gesamtweltcup. Die Entscheidung für sie ist diesmal aber auch eine Verneigung vor so viel Mut und Konsequenz.

Nicht vielen Sportlern gelingt es, aufzuhören, wenn sie am besten sind. Noch weniger schaffen es, ohne später wehmütig ein Comeback zu starten. Magdalena Neuner schon. Ihr nimmt man es tatsächlich ab, dass sie den Gang in die Biathlon-Rente mit gerade mal 25 Jahren noch nicht eine Sekunde lang bereut hat, so gelöst wie sie seither daherkommt. Leichter und entspannter fühle es sich an, sagt sie. Man müsse sich nicht mehr so einen Kopf machen wie damals, als sie noch durch die Loipen spurtete und meist allen anderen davonlief. Es spielt heute keine Rolle mehr, ob sie rechtzeitig ins Bett kommt, dass sie sich strikt an den Ernährungsplan hält oder den so und so vielten Kilometer abspult und danach möglichst kluge Fernsehkommentare abgibt.

Als Sportlerin war Neuner nie jemand, der das große Brimborium geliebt hat. Sie hat zuweilen regelrecht darunter gelitten, dass so viel Zirkus um ihre Person veranstaltet wird, weil es einfach nicht passte zu ihrer im Prinzip urbodenständigen Art. Allein ihr Abtritt: Eine showlose Nachricht auf ihrer Homepage kündete vor genau einem Jahr vom Abschied und schockierte die Fans ebenso wie den Ski-Verband.

Alle wollten mehr von Neuner, aber für Neuner selbst gab es nicht mehr. Sie ist Rekordweltmeisterin und doppelte Olympiasiegerin, nicht die Lust auf den nächsten Pokal trieb sie an, sondern ihre Sehnsucht nach Normalität. „Ich habe nicht mehr diesen Biss“, sagt sie heute. Natürlich läuft sie privat noch, aber meist keine langen Strecken, und das Gewehr ist auch nicht dabei. Statt den ganzen Winter von Weltcup-Station zu Weltcup-Station zu tingeln, trifft sie sich jetzt mit Freunden, geht shoppen, genießt das Weihnachtsfest. Und zuweilen mal eine der Veranstaltungen, zu denen sie regelmäßig eingeladen wird.

Kaum einen Sponsor hat sie nach ihrer Karriere verloren. Magdalena Neuner strahlt einfach weiter, denn das ist ihr Trumpf. Sie wirkt bei allem sportlichen Ausnahmetalent nahbar und authentisch. Ihr glaubt man sofort, dass sie abends zu Hause in Bayern sitzt und einen Pullover strickt oder vorm Fernseher die Biathlon-Rennen verfolgt. Manchmal, wenn es dabei arg spannend zugeht, dann springt sie schon mal aufs heimische Sofa und feuert ihre alten Kolleginnen an. Fast wie ein ganz normaler Fan. So, wie sie es sich immer gewünscht hatte.

Robert Harting: Der Gold-Bold

Olympische Spiele, London, 7. August. Robert Harting hüpft über die Laufbahn des Olympiastadions. Der große, starke Mann freut sich im ersten Moment des großen Sieges wie ein kleines Kind. Doch dann ist er wieder dieser gewaltige Muskelprotz. Harting spielt mit den Fotografen. Seht her! Erst dann zerreißt er sein Shirt, wie immer. Auf der folgenden Ehrenrunde überwindet er noch die Hürden, die eigentlich für das Finale der Frauen aufgebaut sind. Robert Harting, goldiger Scherzbold.

Natürlich könne er auch Hürdenlaufen, sagte der Olympiasieger im Diskuswerfen später über seine Ehrenrunde. „Ich trainiere das auch. Aber ein Hürdenläufer bin ich nicht mehr, dafür bin ich zu schwer.“ Gut gelaufen ist es für ihn in jeder Hinsicht, und gut für das deutsche Leichtathletik-Team von London war seine olympische Goldmedaille auch – die erste für einen deutschen Leichtathleten seit zwölf Jahren. Dazu hatte Harting das Kunststück fertiggebracht, innerhalb von zwölf Monaten Weltmeister, Europameister und Olympiasieger zu werden.

Der persönliche Erfolg des Robert Harting ist die eine Seite. Die andere Ebene des gebürtigen Cottbusers, der für den SC Charlottenburg startet, ist, wie er mit seiner Prominenz umgeht. Natürlich sehnen sich die deutschen Leichtathletik- und Olympiafans seit Jahren nach Siegern in Laufwettbewerben – vor allem bei den Sprintern. Aber dort ist der Abstand zur Weltspitze zu groß. Dass ein Triumph in einer klassischen Disziplin wie dem Diskus nicht minderwertig sein muss, hat Harting mit seinem beherzten Auftreten unterstrichen. Olympia in London war ein Wettbewerb zum Mitleiden. „Ich hatte schwere Beine, selbst der Siegeswurf war alles andere als optimal“, sagte er später. Es nahm dann ein gutes Ende zum Mitfreuen samt Harting-Show als Zugabe – und Nachspiel: Dass er in der Siegesnacht in London beklaut wurde und am nächsten Morgen zunächst nicht ins olympische Dorf kam – auch das hat Harting greifbar menschlich gemacht.

"Hulk" Harting: Nach dem gewinn der Goldmedaille bei Olympia 2012 in London zerreißt Robert Harting obligatorisch sein Trikot.
"Hulk" Harting: Nach dem gewinn der Goldmedaille bei Olympia 2012 in London zerreißt Robert Harting obligatorisch sein Trikot.

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Robert Harting hat in diesem Jahr das breite Publikum für sich gewonnen; er arbeitet hart an seiner Prominenz. In Berlin schaut er schon mal bei anderen Sportarten vorbei, genießt dort seine Bühne. Der 28-Jährige brachte zum Beispiel beim Saisonauftakt der Berlin Volleys die Meisterschale in die Schmeling-Halle. Harting setzt sich auch verbal in Szene. Mit poltrigen Äußerungen zum Thema Dopingopfer der DDR hat er vor drei Jahren einen Eklat provoziert. Und zuletzt hat er die deutsche Sportförderpolitik kritisiert.

Mit 28 Jahren ist Harting auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Zum zweiten Mal hintereinander ist der Diskuswerfer in einer Saison ohne Niederlage geblieben, und zum ersten Mal gewinnt er nun die Wahl zum Sportler des Jahres, sogar vor Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel. Robert Harting ist eben Repräsentant einer Sportart, die in Deutschland durch ihn an Größe gewonnen hat.

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