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Sport: Sportlich geschwächt, moralisch gestärkt

Nach dem Kreuzbandriss von Oleg Velyky setzt Handball-Bundestrainer Heiner Brand bei der EM auf eine Trotzreaktion

Ein kurzer Blick genügte ihm, dann drehte sich Heiner Brand um, nahm einen Schluck aus der Wasserflasche und setzte sich auf die Auswechselbank. Am Gesichtsausdruck des Handball-Bundestrainers war deutlich abzulesen, was er in diesen Sekunden dachte: Nein, bitte nicht schon wieder ein verletzter Leistungsträger. Doch die Signale waren bei der EM-Generalprobe gegen Ungarn in der Mannheimer SAP-Arena eindeutig. Oleg Velyky lag am Boden und verdeckte sein schmerzverzerrtes Gesicht mit den Händen, während sich der Teamarzt um das rechte Knie von Velyky kümmerte. „Es sieht nicht gut aus“, sagte Brand nach dem 30:26-Sieg der Deutschen, er hoffte auch später noch „auf ein Wunder“, aber „im Grunde genommen war mir sofort klar, dass Oleg bei der EM fehlen wird“. Die Gewissheit bekam er dann am Abend, Velykys vorderes Kreuzbandes war gerissen.

„Nach Velykys Verletzung ging ein Ruck durch die Mannschaft“, stellte Brand zwar erleichtert fest, aber dennoch wiegt der Ausfall des 28 Jahre alten Rückraumspielers der SG Kronau/Östringen schwer. „Er sollte mit seiner Routine der Kopf des Teams sein“, sagte Brand. Er hatte den gebürtigen Weißrussen und Torschützenkönig der EM 2000 für die Ukraine nach dem EM-Verzicht von Markus Baur sowie dem Rücktritt von Daniel Stephan (beide TBV Lemgo) als Denker und Lenker auserkoren. „Wir waren gerade dabei, unser Spiel zu festigen. Oleg war so eine wichtige Stütze unseres Angriffsspiels“, haderte Brand.

Ein wenig Hoffnung – in Anbetracht der schweren EM-Vorrundengegner ab kommenden Donnerstag in Basel (Spanien, Slowakei, Frankreich) – machte dem deutschen Coach, was nach der schlimmen 34. Minute in Mannheim passierte. „Jetzt müssen alle anderen noch enger zusammenrücken, so wie sie es in den letzten 20 Minuten getan haben“, forderte Brand. Nach einem 12:16 wurde in dieser Zeit schließlich noch das 30:26 erkämpft.

Wie das auch ohne Oleg Velyky erfolgreich geschehen kann, wurde deutlich. Frank von Behren (Gummersbach), der bisherige Abwehrchef, bewies nun auch seine Qualitäten als Regisseur. Und plötzlich wachte auch der lange Hamburger Pascal Hens auf. „Er ist jetzt gefordert“, sagte Brand, der ihn nach Velykys Ausfall selbst in der Abwehr auf dem Feld ließ. Und er erfüllte seine Aufgabe im 6:0-Riegel auch sehr gut. Im Angriff aber war er in seinem 100. Länderspiel (281 Tore) Klasse. Er brachte viele spielerische Elemente ein, warf in der zweiten Halbzeit fünf Treffer, und seine Anspiele auf die Kreisläufer Andrej Klimowets (Kronau/Östringen) und Sebastian Preiß (Lemgo) sorgten für klare Wurfpositionen. „Wenn die beiden zusammen zehn Tore erzielen können, dann müssen sie herausgespielt worden sein“, sagte der Bundestrainer hoffnungsvoll.

Über die Frage, warum es im deutschen Handball so viele Verletzungen gibt, wollte Brand am Sonntagabend nicht lange lamentieren. Dass ihm der enge Spielplan, national wie international, nicht behagt, darüber hat er oft geredet. Und dass die Handballer nach sportwissenschaftlichen Erkenntnissen ein spezielles Muskeltraining betreiben, das nicht wie gewünscht wirkt, ist all zu offensichtlich. „Jetzt fahren wir zur EM, da hilft kein Jammern“, sagte er. Daraus klang auch ein wenig Zuversicht: Sein Team ist nach Velykys Ausfall sicherlich sportlich geschwächt, aber nicht moralisch.

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