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Sport: Sprung zurück

Nach einer Zeit im sportlichen Tief plant die Hochspringerin Daniela Rath, die Zweimeterhürde zu nehmen

Leverkusen. Heute ist Folter. Gewichte stemmen en masse im optimal ausgestatteten Kraftraum des TSV Bayer 04 Leverkusen. Angedeutete Kniebeugen zum Beispiel, mit 120 Kilo im Nacken, immer wieder, immer noch mal, kein Ende in Sicht. Dann Training der Sprungkraft unter erschwerten Bedingungen. Kurze Hüpfer mit 42,5 kg auf den Schultern, einbeinig, im Wechsel. „Ich hasse das“, stöhnt Daniela Rath, „ich bin nicht gern hier.“ Gleichwohl ist klar: Diese stumpfe Schinderei ist vonnöten. Es ist die physische Grundlage, um die verflixte Schwerkraft für wenigstens ein paar Zehntelsekunden zu überlisten, wenn es darum geht, sich über die Latte zu winden. Daniela Rath, 26, ist Hochspringerin.

Morgen aber locken Medaillen. Am Wochenende startet sie beim Europacup in Florenz. Qualifiziert dafür hat sie sich beim Meeting in Wipperfürth, eine Bestleistung aber erzielte sie beim Sportfest in Zweibrücken vor einigen Wochen. Dort überquerte sie souverän die 1,97 m und erfüllte damit die Norm für die Weltmeisterschaften, die Ende August in Paris stattfinden. 1,97 m bedeuten: Sie ist derzeit nicht nur die Beste in Deutschland, sondern auch Siebtbeste der Welt. Und sie kratzt an den ganz Großen der Zunft, an der Schwedin Kaysa Bergquist und der Russin Olga Kuptsowa, die mit 2,02 m bisher die Rangliste anführt.

Weil die magische Höhe von zwei Metern, an der die deutschen Frauen seit 1996 stets scheiterten, machbar ist. In Zweibrücken nämlich versuchte sich Rath an den 2,01 m, und sie riss, ergab das Videostudium, nur mit der Ferse. Die Höhe also hatte sie, es lag nur an einer Winzigkeit. „Die Versuche waren so gut, dass das jetzt schon drin ist“, sagt Rath selbstbewusst.

Schafft sie den Zweimetersprung noch dieses Jahr? „Ja“, antwortet Hans-Jörg Thomaskamp, ihr Trainer, den die Szene nicht als Großmaul kennt, sondern als Realist. „Damit ist man dann in der engeren Weltklasse drin.“ Sogar eine Medaille in Paris hält er für möglich, wenn seine Athletin den Vorkampf übersteht. „Es wird endlich Zeit für einen großen Endkampf“, sagt auch Rath. Die Aussichten sind rosig. Ein paar Minuten vorher meinte ihr Coach noch kopfschüttelnd: „Das hätte ich im Leben nicht gedacht, dass Daniela noch mal wiederkommt.“ Denn im Gestern war das Nichts. Raths sportliche Karriere war bereits beerdigt.

Als Juniorin war sie bereits 1,90 m gesprungen, und alle gingen davon aus, sie würde die Legenden Ulrike Meyfarth, Rosemarie Ackermann und Heike Henkel beerben. Sie sprang als 20-Jährige bei der WM 1997 in Athen, schied im Vorkampf aus, genauso wie ein Jahr später bei der EM in Budapest. 1999 wurde sie deutsche Hallenmeisterin. Und dann folgte ein Absturz, der radikaler kaum ausfallen konnte. Rath hatte unerträgliche Schmerzen damals in einem Fuß, die Ärzte aber sagten: Kann sein, aber wir können nichts feststellen. Erst der dritte Doktor ließ röntgen und diagnostizierte schließlich einen Kahnbeinbruch – in beiden Füßen.

Den ersten Ärzten blind vertraut zu haben, sagt sie, war ein riesiger Fehler, mittlerweile aber sei sie so weit zu sagen: Schaut noch mal nach. Doch auch heute kann sich Rath noch immer nicht so recht erklären, warum ihre Knochen im Wortsinn zusammenbrachen.

Es folgten schwere Zeiten. „Die Ärzte haben gesagt: Wer weiß, ob du überhaupt wieder Leistungssport machen kannst“, erzählt Rath, aber sie weigerte sich, sich damit abzufinden. „Wenn es einigermaßen wieder geht“, habe sie sich gesagt, „dann will ich es wieder versuchen.“ Wenn man so lange dabei ist im Wettkampfsport, sagt sie, „kann man sich so schlecht verabschieden“. Es begann ein ständiger Kampf: wieder probieren, wieder Schmerzen, wieder eine Pause einlegen. Jahrelang ging das so. Im letzten Sommer dann sprang sie früh 1,86 m, und als die 1,90 m nicht fielen, wollte sie aufgeben. Aber ihr Trainer motivierte sie zum Weitermachen, es war nicht die schlechteste Entscheidung. „Sie hat es gewollt, und sie hat es geschafft“, sagt Thomaskamp anerkennend.

Im Winter sprang sie das erste Mal wieder völlig beschwerdefrei und verfehlte die A-Norm nur um einen Zentimeter, weswegen sie der Verband trotz steigender Formkurve nicht bei der Hallen-WM in Birmingham starten ließ. Verstanden hat das keiner. „Wenn man aus dem Nichts kommt“, sagt Thomaskamp, „hat man eben keine Lobby.“ Dieser Sommer aber ist womöglich der ganz große Durchbruch, nicht nur sportlich. „Momentan kann ich mit der Unterstützung des Vereins halbwegs leben“, sagt Rath. Mit Paris oder einem Zweimetersprung, weiß auch sie, wäre sie mit einem Mal bekannt, dann locken sogar Werbeverträge.

Der Rahmen dafür jedenfalls stimmt: Rath hat ein bezauberndes Lächeln und besitzt die Figur eines Models, auch ihre Gesprächsführung ist jederzeit souverän. Und sie will den Erfolg, wenn auch nicht um jeden Preis. „Ich weiß, es gibt ein Leben nach dem Sport“, sagt sie, die nebenher Sportmanagement studiert, das hätten ihr die entbehrungsreichen Jahre gezeigt. Ein Leben ohne Folter, Medaillen und das Nichts.

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