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Sport: Spucken und wischen

Eine Spurensuche zwischen Deutschland und Holland

Etwas muss in der Vergangenheit passiert sein. Warum nur rief Hollands verpasste Qualifikation für die WM 2002 so viel Häme in Deutschland hervor? Die Fans sangen: „Ohne Holland fahren wir zur WM“. Das Deutsche Sportfernsehen warb auf einem Plakat mit der holländischen Nationalmannschaft und dem Slogan: Mittendrin statt nicht dabei. Was ist schief gelaufen auf den Fußballplätzen zwischen Deutschland und Holland. Eine Spurensuche.

7. Juli 1974. Es sollte Hollands großer Tag werden. Die Herren Johan Cruyff, Johan Neeskens und Arie Haan wollten im Münchner Olympiastadion den Weltmeistertitel feiern. Das wäre auch in Ordnung gegangen, spielte ihre Mannschaft doch den schönsten und modernsten Fußball dieser Zeit. Doch dann kamen die Herren Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Gerd Müller, gewannen das WMFinale mit 2:1 und bemächtigten sich des Weltpokals. Die holländische Fußball-Nation hingegen stürzte in eine tiefe, langanhaltende Depression.

21. Juni 1988. Erst 14 Jahre später sollte Holland die Depression überwunden haben. „Das Wichtigste ist, dass 1974 jetzt endlich und endgültig Schnee von gestern ist“, sagte Hollands Trainer Rinus Michels, nachdem seine Mannschaft das EM-Halbfinale 2:1 gewonnen hatte. Die deutsche Mannschaft hatte unglücklich verloren, weil Hollands Marco von Basten kurz vor dem Ende seinen Gegenspieler Jürgen Kohler versetzte und den Siegtreffer schoss. Nach dem Schlusspfiff ahmte Ronald Koeman im Stadion die Wischbewegung nach einem Toilettengang nach. Was niemanden gestört hätte – wenn Koeman dazu nicht das Trikot des deutschen Spielers Olaf Thon benutzt hätte.

24. Juni 1990. Auch nicht nett war, dass Hollands Frank Rijkaard im WM-Achtelfinale in Mailand Rudi Völler in die Locken spuckte. Opfer und Täter sahen die Rote Karte, Deutschland siegte 2:1. Rijkaard erlangte als Lama Berühmtheit. Doch Lothar Matthäus gelang es wenig später, das Niveau des spuckenden Holländers zu unterschreiten. Auf dem Oktoberfest soll er einem Holländer zugerufen haben: „Ihr seid wohl von Hitler vergessen worden.“

23. Februar 2000. Doch man soll nicht nachtragend sein, und so trafen sich die Nationen kurz nach der Jahrtausendwende noch einmal in aller Freundschaft in Amsterdam. Mit Matthäus. Seine Beleidigung war vergessen, auch die Holländer spuckten oder wischten nicht mehr. Vielmehr spielten sie Fußball, und das war viel schlimmer für die deutschen Spieler. Sie schauten staunend zu und bekamen erstmals vor der EM 2000 eine Ahnung davon, wie schlecht es damals um den deutschen Fußball bestellt war. Nach dem für Deutschland schmeichelhaften 1:2 war der überforderte Zoltan Sebescen noch Wochen später die Lachnummer in der Harald-Schmidt-Show. ben

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