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Andreas Rettig ist Geschäftsführer des Zweitligisten St. Pauli.

© imago/Martin Hoffmann

St. Paulis Manager Andreas Rettig im Interview: „Wir müssen nicht jeden Blödsinn mitmachen“

St. Paulis Manager Andreas Rettig über den Streit um die 50+1-Regel, Haltung und Moral der Bundesliga und lokale Bäckermeister.

Von David Joram

Herr Rettig, Karl-Heinz Rummenigge war ein erstklassiger Stürmer. Würden Sie den Satz so noch mal wiederholen?

Selbstverständlich! Über seine früheren Qualitäten auf dem Platz müssen wir doch gar nicht erst reden.

Und haben Sie Ihre Differenzen neben dem Platz inzwischen auch ausgeräumt?

Nein. Leider wurde der Konflikt von ihm nur medial ausgetragen.

Sie befürworten die 50+1-Regel, Rummenigge würde sie gern abschaffen. Nach der Sitzung der 36 DFL-Klubs im März, auf der mehrheitlich für einen Erhalt der Regel votiert wurde, warf er Ihnen ein „emotionales und populistisches Spektakel“ vor.

Es hat mich damals schon gewundert, dass jemand, der in der Sitzung gar nicht dabei war, sich anschließend so äußert.

Jüngst kritisierte auch Herthas Geschäftsführer Ingo Schiller Ihre Haltung. Er vermisse eine „ergebnisoffene Debatte“ in der 50+1-Frage. Sind Sie also ein Verweigerer?

Wenn die Frage aufkommt, ob man ergebnisoffen über Beibehaltung oder Abschaffung der 50+1-Regel debattieren soll …

… die vorsieht, dass der eingetragene Verein über die Stimmenmehrheit einer Fußball-Kapitalgesellschaft verfügen muss …

… dann hat Herr Schiller recht. Denn diese Frage ist für mich nicht ergebnisoffen verhandelbar. 50+1 muss dem deutschen Fußball erhalten bleiben! Man kann jederzeit über Modifikationen sprechen. Genau in diese Richtung zielt ja der Antrag des FC St. Pauli: Es soll ein Prozess angestoßen werden, der die Regel rechtssicherer macht und der möglicherweise neue Rahmenbedingungen beinhaltet. Aber immer unter dem Aspekt, dass 50+1 bestehen bleibt.

Wie weit ist dieser Prozess?

Das müssen Sie Christian Seifert (DFL-Geschäftsführer, d. Red.) fragen. Wir sind gespannt, welche Vorschläge das Präsidium und die Geschäftsführung der DFL machen.

Möglich ist auch, dass Hannover 96 und Klubchef Martin Kind erfolgreich gegen die 50+1-Regel klagen. Was passiert dann?

Ich bin natürlich kein Jurist, aber in dieser Frage empfehle ich Gelassenheit. Das Ständige Schiedsgericht des DFB hat ja mit dem Vorsitzenden Dr. Udo Steiner schon 2011 die Rechtmäßigkeit der 50+1-Regel im Kern bestätigt. Es würde mich wundern, wenn man jetzt zu einer anderen Einschätzung käme als 2011.

Herr Kind hat allerdings auch angekündigt, dass er vor das Landgericht Frankfurt ziehen will.

Sollte er klagebefugt sein und dort eine Entscheidung getroffen werden, könnte diese abgesehen von der Berufungsmöglichkeit mit Fristen oder Auflagen verbunden sein. Ich bin überzeugt, dass man dem Ligaverband die Möglichkeit lassen würde, auf etwaige gesetzliche Veränderungswünsche des Gerichts reagieren zu können, zumal das Landgericht ja grundsätzlich nicht befugt ist, die Satzung des DFL e. V. abzuändern.

Wenn 50+1 fiele, würden Investoren die Klubs wohl zügig mit frischem Geld ausstatten. Was haben Sie dagegen einzuwenden?

Gegen frisches Kapital habe ich überhaupt nichts. Auch beim FC St. Pauli sind wir daran interessiert, so viel Geld wie möglich einzusammeln, wir sind ja keine Träumer auf dem Kiez.

Aber?

Es geht um die Entscheidungskompetenz, um Kontrolle. Die muss beim Verein liegen. Wenn ein Investor Minderheitsbeteiligter ist, habe ich damit kein Problem.

So wie bei Hertha BSC, wo der US-Investor KKR 9,7 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA hält.

Genau, das ist völlig legitim. Bei Hertha habe ich nicht den Eindruck, dass die Entscheidungsträger dem Geldgeber ausgeliefert sind. KKR will ja nicht mitbestimmen, sondern eines Tages bei einem Ausstieg seine Anteile für einen höheren Preis verkaufen. Klar ist dann aber auch: Je mehr Anteile Fußballklubs abgeben, umso mehr Geld fließt auch ab.

Wieso fließt Geld ab, wenn Investoren Anteile kaufen? Sie bezahlen doch im Gegenzug dafür.

Es stimmt, kurzfristig profitiert der Klub von der einmaligen Einnahme. Die Anteile, die er aber abgegeben hat, wird er kein zweites Mal verkaufen können. Das heißt, an Wertsteigerungen partizipiert dann nicht mehr die Fußball-, sondern die Finanzwelt. Wenn nun die 50+1-Regel fiele und damit Investoren quasi freien Zugang zum Markt erhielten, würden dem gesamten Fußball in Deutschland zukünftige perspektivische Erlöse wegfallen – und das ist ein Problem.

Was nutzt es Vereinen wie Rot-Weiss Essen oder Kickers Offenbach, ohne Investor in der Unterklassigkeit zu versauern?

Und wo ist 1860 München mit Herrn Ismaik gelandet? Auch andere Klubs haben geglaubt, durch Kapitalzuflüsse die Welt zu erobern. Am Ende entscheidet Qualität des Managements über Erfolg und Misserfolg – und nicht die Rechtsform und die Kapitalausstattung. Dafür besteht in den von Ihnen genannten Klubs eine emotionale Bindung zwischen Mitgliedern und Fans zu ihrem Verein. Ob nun OFC oder RWE: Diese Vereine haben die Chance, sich nach einem Schiffbruch aus eigener Kraft zu erneuern. Kapital kommt und geht, Mitglieder bleiben.

Investorengelder könnten bei der Erneuerung behilflich sein.

Mag sein. Wenn aber ein Geldgeber jahrelang dominiert, engagieren sich andere Sponsoren weniger oder gar nicht mehr. Das Portfolio wird sich verkleinern. Den lokalen Bäckermeister, der 25 000 Euro für eine Werbebande bezahlt, werden Sie dann nicht mehr erreichen.

Im vom Kapital beeinflussten Fußballmarkt müsse Deutschland nachziehen, sagen 50+1-Gegner – sonst rücke die internationale Spitze in weite Ferne. Ist eine Öffnung durch den in England entstandenen Finanzdruck nicht alternativlos?

Wir müssen nicht jeden Blödsinn mitmachen, der von der Insel kommt. Dort sind auch nicht die Investoren für den finanziellen Vorteil ausschlaggebend, sondern der gigantische TV-Vertrag.

DFL-Boss Seifert sagt: „Also dreimal hintereinander die Champions League gewinnen und Messi und Ronaldo sind schon bessere Verkaufsargumente, als zu sagen, bei uns sind aber die Choreografien schön.“

Herr Seifert macht einen exzellenten Job, was die Vermarktung der Liga betrifft, aber da gebe ich ihm nicht recht. Erstens hat seit Jahren kein englischer Klub mehr die Champions League gewonnen. Zweitens geht es eben nicht nur um sportliche Erfolge oder um die Frage, wo Ronaldo seine Tore schießt. Warum müssen wir die beste, die kapitalkräftigste Liga der Welt sein? Warum setzen wir uns stattdessen nicht das Ziel, die sozialste Liga der Welt zu werden? Oder die nahbarste? Es geht doch auch um Haltung, Moral – um eine Vereinsstrategie, die nachhaltig ist.

Außer vielleicht beim politisch geprägten FC St. Pauli drängt sich der Eindruck auf, dass es den Klubs vor allem um sportliche Erfolge und positive Geschäftszahlen geht.

Andere Vereine definieren sich ebenfalls nicht nur nach sportlichen Kriterien. Der SC Freiburg hat beispielsweise Solarzellen auf seinem Stadiondach, ihn verbindet man mit einem grünen Image, auch politisch. In Freiburg gab es einen positiven Bürgerentscheid für den Bau eines neuen Stadions. Wäre das Votum auch so ausgefallen, wenn ein Investor dort das Sagen hätte? Da sage ich: ganz klar nein!

Der 1. FC Union ist zwar kein Investorenklub, sondern noch ein reiner e. V., hat aber mit der Stuttgarter Quattrex-Sports AG trotzdem einen Investor, der Geld bereitstellt. Wie bewerten Sie das?

Ich will mich nicht zu Wettbewerbern äußern. Prinzipiell funktionieren solche Finanzierungsmodelle, die in der Regel auf drei bis fünf Jahre angelegt sind, mit Vorgriff auf künftige sportliche Erfolge und Erlöse mal besser und mal schlechter.

Quattrex wollte 2014 auch beim FC St. Pauli einsteigen, doch der Deal kam nicht zustande. Warum nicht?

Über geschäftsinterne Vorgänge äußern wir uns generell nicht.

St. Pauli steht auch ohne Investor oben. Ist die Rückkehr in die Bundesliga drin?

Wir haben nach zwei Spielen zwei Siege. Aber wenn kein weiterer Sieg dazukommt, steigen wir ab. Im Ernst: Am 1. FC Köln und dem HSV führt kein Weg vorbei, dann kommen drei, vier Teams wie Bochum, Ingolstadt oder Union und danach kommen drei, vier Teams, zu denen wir uns zählen können. Wir sind sozusagen die Verfolger der Verfolger.

Das Gespräch führte David Joram.

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