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Stadt und Klub: Hertha ist endlich in Berlin angekommen

Hertha kann Meister werden – vor allem aber die ganze Stadt gewinnen.

Vereinsmitglied Nummer 50 wird auch erwartet. Natürlich auf seinem Stammplatz auf der Tribüne, da feiern sich die Siege am schönsten, und es hat jede Menge Siege gegeben in den vergangenen Wochen. Deswegen schaut Vereinsmitglied Nummer 50 jetzt auch so häufig zu bei den Spielen von Hertha BSC. Vereinsmitglied Nummer 50 heißt Klaus Wowereit und war in den Jahren zuvor nur schwer zu einem Besuch im Olympiastadion zu bewegen. Vergessen und vorbei. In diesem Jahr hat der Regierende Bürgermeister erst ein Heimspiel verpasst.

Am Samstag geht es gegen Borussia Dortmund, und außer Wowereit, wenn er denn kommt, wird Hertha noch um die 70 000 andere Neugierige aus Ost, West und Umland begrüßen. Der Musiker Peter Fox hat seine Karten schon abgeholt, als bekennender Kreuzberger steht er für eine ganz neue Schicht, die sich durch die jüngsten Erfolge angesprochen fühlt. Guten Morgen Berlin, Du kannst so prächtig sein, so weiß und blau...

Nichts ist so attraktiv und identitätsstiftend wie der Erfolg. Platz eins in der Bundesliga ermöglicht Situationen, die vor Monaten noch undenkbar waren. Ein wenig irritiert erzählt Maximilan Nicu, wie er neulich seine Freundin zum Flughafen Tegel gefahren hat. Maximilian Nicu ist mittelgroß, er hat braunes Haar und einen leichten Bartschatten, sieht also aus wie jeder Dritte in der Stadt. Aber wie er da so ankam und den Koffer seiner Freundin trug, da hat der Taxifahrer neben ihm gehupt, der Mann ist ausgestiegen und Nicu um den Hals gefallen, supertollklassemachtweiterso!!!, und dann war der Taxifahrer auch schon wieder weg. Der auf den flüchtigen Blick so unscheinbare Nicu ist Fußballprofi. Er verdient sein Geld bei Hertha BSC, was in der Vergangenheit nicht unbedingt dazu angetan war, Glückwünsche entgegenzunehmen, noch dazu von wildfremden Menschen.

Berlin scheint sich verliebt zu haben in die Fußballmannschaft, die es so oft verflucht hat. Hat der unverhoffte Erfolg der vergangenen Woche die Basis geschaffen für eine breitere Akzeptanz? Trotz des Mini-Rückschlags vor zwei Wochen, einer 0 : 2-Niederlage in Stuttgart? Das letzte Heimspiel gegen den Lieblingsfeind Schalke ist schon ausverkauft, es findet ja auch schon in sechs Wochen statt.

Wird Hertha am Ende, was Schalke 04 für Gelsenkirchen, die Borussia für Dortmund oder Werder für Bremen ist, nämlich eine Mannschaft für die gesamte Stadt? „Man hört das so“, sagt Holger Spittel und erzählt von Freunden oder Arbeitskollegen, die einen immer häufiger ansprechen auf die blau-weißen Heldentaten, und ob es denn endlich mal was werde mit der Meisterschaft. Spittel ist 36 Jahre alt und geht seit den achtziger Jahren ins Olympiastadion. Spittel sagt, er würde sich ja gern anstecken lassen von der allgemeinen Euphorie, aber mit der Nachhaltigkeit sei das so eine Sache, „in ein paar Monaten werden wir mehr wissen“.

Die alten Fans tun sich schwer damit, dem neuen Frieden zu trauen. Sie haben die Auf- und Abstiege erlebt und das kurze Hoch zu Beginn des Jahrtausends, als Hertha für eine Saison sogar in der Champions League mitspielen durfte. „War leider nur ein Strohfeuer“, sagt Holger Spittel. Ein kurzes Aufflackern wie im November 1989, als Hertha schon mal davon träumte, eine Gesamtberliner Attraktion zu werden. Zum ersten Heimspiel nach dem Mauerfall, der Gegner hieß Wattenscheid 09, kamen 45 000. Wer seinen DDR-Ausweis vorzeigte, bekam freien Eintritt, aber auch nur für dieses eine Spiel. Beim nächsten Mal verloren sich wieder nur 10 000 in der grauen Schüssel.

Hat Hertha damals die Chance verpasst, den Osten für sich zu gewinnen? Ist in diesen Wochen und Monaten nach der Wiedervereinigung der Ruf des West-Berliner Vereins zementiert worden? Holger Spittel ist im Westen groß geworden, er arbeitet in der Nähe des Alexanderplatzes, „und, ganz ehrlich, besonders viel bekomme ich dort von Hertha nicht mit“, auch nicht in diesen glücklichen Tagen der Tabellenführung. Aber das habe nichts mit West oder Ost zu tun, „so argumentieren doch nur Leute, die weniger an Fußball und mehr politisch denken“, aber das sei in der Fankurve nicht der Fall.

Wie hätte sonst einer wie Quote den Weg zu Hertha gefunden? Quote heißt eigentlich Daniel Kokscht, und zu Hertha ist er 1994 eher zufällig gekommen, „sozusagen unter Vortäuschung falscher Tatsachen“. Die Freunde, mit denen er nach der Schule Fußball gespielt hat, waren zufällig Hertha-Fans, „also hab ich mir im Kaufhof für 30 Mark ein Trikot gekauft, und schon war ich dabei“. Damals war Quote gerade zehn und schon idealistisch genug, den tristen Alltag im Irgendwo der Zweitklassigkeit zu ertragen. Holger Spittel kann sich noch daran erinnern, „wie Quote bei irgendeiner Auswärtsreise mal erzählt hat, dass er in der Frankfurter Allee wohnt, das war für uns damals der tiefste Osten“. Da haben sie alle zusammen gelacht und Daniel Kokscht hatte seinen Spitznamen weg. Quotenossi halt.

Ist Hertha ein Westverein? Quote sagt, darüber würde sich unter den Fans nun überhaupt keiner Gedanken machen und er erst recht nicht, „ich war fünf, als die Mauer gefallen ist“. Dass damals die meisten Fans aus dem Westen kamen, war irgendwie klar. Und heute? „Ich würde mal schätzen, dass unter den Fans die eine Hälfte aus dem Osten und die andere aus dem Westen kommt.“ Vor ein paar Wochen hat Quote im Fernsehen eine Reportage gesehen, Fußballfans an der Currywurstbude, „da hat ein Bauarbeiter bei Konnopke an der Schönhauser Allee gesagt, dass für ihn nur Union infrage kommt, und bei Curry 36 am Mehringdamm hat ein anderer seine Hertha-Tattoos in die Kamera gehalten. Für die Leute vom Fernsehen war das der Beweis dafür, „dass es im Westen nur Hertha- und im Osten nur Union-Fans gibt, na prima!“ Bei den Auswärtsreisen sei das überhaupt kein Thema, „da fragt dich keiner nach Ost oder West, die finden es einfach nur geil, dass wir aus Berlin sind“.

Genau genommen ist Hertha sogar ein Ost-Verein, gegründet 1892 auf dem alten Exerzierplatz in Prenzlauer Berg. Ungefähr dort, wo heute der Jahnsportpark steht. Zwölf Jahre später ist der Verein an den Gesundbrunnen umgezogen, aber die Jugend hat noch bis zum Kriegsende in Rosenthal gespielt. Ost und West – bis zum Kalten Krieg war das kein Thema. Berlin war eher geteilt in einen bürgerlichen Südwesten, einen proletarischen Gürtel rund um die Innenstadt, und der Rest war irgendwie auch noch da. Bis zum Mauerbau hatte Hertha ein treues Publikum in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain.

Das alte Stadion am Gesundbrunnen, die Plumpe, ist längst abgerissen. Heute bestimmt hier das Gesundbrunnen-Center das Bild. Wo mal der Herthaplatz war, windet sich eine Betonschlange aus zeitlos-geschmacklosen Wohnblocks durch den Schlauch zwischen Millionenbrücke, Eisenbahn- und Behmstraße. Auf der anderen Straßenseite verfällt das alte „Hertha-Domizil“, ein Backsteinbau, in dem früher die Jugendabteilung untergebracht war. Ein West-Verein im geographischen Sinne ist Hertha erst Ende der neunziger Jahre geworden, mit dem kompletten Umzug aller Mannschaften vom Wedding auf das Olympiagelände in Neu-Westend.

Wenn es denn eine Transformation gegeben hat, dann ist es die vom Arbeiterklub zum Verein der Mittelschicht, und mit den jüngsten Erfolgen lugt auch das neue Berlin nicht mehr so ganz verstohlen hinüber. Wo Wowereit auf der Tribüne sitzt, kann die Schickeria nicht weit weg sein, aber was heißt schon Schickeria, „der Berliner an sich ist nun mal sehr erfolgsorientiert“, sagt Holger Spittel. Man könnte auch sagen: spektakelorientiert, und das Spektakel ist im Sport nun mal an den Erfolg geknüpft. „Wenn es irgendwo was zu feiern gibt, dann feiert er auch gern mit“, sagt Spittel, „aber es muss sich schon auf einem gewissen Niveau abspielen.“ Platz eins in der Bundesliga ist dem Erfolgseventfan gerade gut genug.

Wie nachhaltig können sich ein paar Wochen auf dem Gipfel auswirken? Reicht schon diese eine Niederlage in Stuttgart, die Stimmung wieder kippen zu lassen? Daniel Kokscht, der frühere Quoten-Ossi aus Friedrichshain, verfolgt die neue Begeisterung mit gemischten Gefühlen. „Ist ja ganz schön, dass ein bisschen mehr los ist im Stadion, aber auf der anderen Seite weiß ich ganz genau, dass die meisten nicht wiederkommen, wenn der Erfolg erst mal weg ist.“ Auch Holger Spittel glaubt, „dass der Hype ganz schnell wieder in Vergessenheit geraten kann“, selbst wenn es am Ende dieser Saison zu Platz zwei oder drei reichen sollte. „Eigentlich hilft nur eins: die Meisterschaft“, es wäre die erste für Hertha seit 78 Jahren.

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 Sven Goldmann

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