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Olympische Sommerspiele 2008

© AFP

Starker Mann: Matthias Steiner hebt Gold - für Deutschland und seine verstorbene Frau

Matthias Steiner ist erst seit Anfang des Jahres deutscher Staatsbürger. Jetzt hat der gebürtige Österreicher Gold im Superschwergewicht gewonnen. Für seine neue Heimat und für seine verstorbene Frau Susann.

Matthias Steiner ist nicht sicher, ob seine tödlich verunglückte Frau seinen Olympiasieg von Peking gesehen hat. „Sie ist im Vorfeld immer mit dabei, bei der Erwärmung, wenn ich ruhig werden muss", sagte der schwergewichtige Athlet. Auch in dem Moment, als er auf der Bühne stand und 258 Kilogramm in die Luft stemmte? „Ich bin nicht der Typ, der abergläubisch ist, ich glaube mehr an mich selber, sonst stünde ich nicht mit dieser Medaille hier", sagte er und hielt kurz inne. „Aber ich denke mal, dass sie das irgendwie mitkriegt.

Als Matthias Steiner in Peking eine Goldmedaille um den massiven Hals gehängt bekam, war die verstorbene Susann Steiner auf jeden Fall nahe. Der Schwergewichtler hatte sie mitgebracht zur Siegerehrung, in Form eines Fotos, das er immer in seiner Trainingstasche trägt und das er nun in die Kameras der Weltpresse hielt. „Dieser Sieg ist für sie", sagte der 25 Jahre alte Gewichtheber. Seine Lebensgeschichte war bisher gekennzeichnet von einer Tragödie und vielen seltsamen Wendungen. Seit gestern besitzt sie auch einen großartigen Höhepunkt.

Steiner packt noch einmal zu

Dieser Wettkampf war so ungewöhnlich wie sein gesamtes Leben ist. Weil der 146 Kilogramm schwere Steiner im Reißen den dritten Versuch von 207 Kilogramm fallen lassen musste, ging er nur auf Rang vier ins Stoßen. „Im Reißen haben wir beim Gewicht etwas zu hoch gegriffen", sagte er, „bei einer solchen Grenzlast macht der linke Daumen etwas auf, und dann geht auch die Hand auf." Es kam noch schlimmer. Im ersten Versuch des Stoßens brachte er die 246 Kilogramm zwar zur Streckung, wanderte aber unter der Last mit den Füßen über die Bühne und musste das Gewicht schließlich fallen lassen. „Eigentlich konnte mir nichts besseres passieren, ich bin dadurch munter geworden", sagte er, „ich bin oft mit dem Kopf schon beim dritten Versuch, das ist ein Riesenfehler." Nun aber stand er unter Druck, musste einen gültigen Versuch in die Wertung bringen. Und sicherte sich 248 Kilogramm die Silbermedaille vor dem Letten Viktors Scerbatihs.

Der Russe Ewgeny Chigischew aber wirkte mit einer Gesamtleistung von 460 Kilogramm wie der Sieger, Matthias Steiner musste noch einmal zehn Kilogramm mehr auflegen, zehn Kilogramm über seiner persönlichen Gesamtbestleistung. 258 Kilogramm lagen in Form von dicken Scheiben an der Hantel, als Matthias Steiner zum letzten Mal zupackte. „Das ist das, was wir immer wollten, den letzten Versuch zu machen", sagte er, „wenn man Silber im Rücken hat, weiß man, dass man nichts mehr zu verlieren hat." Ein gewaltiger Ruck, eine bange Pause, ein übermenschlicher Stoß - dann war er Olympiasieger.

Hymne mit Hingebung

Matthias Steiner schrie jedes gehobene Kilogramm einzeln aus seinem massigen Körper heraus. Er brüllte zur rechten Seite, er lief quer über die Bühne, wo Bundestrainer Frank Mantek begeistert auf und ab hüpfte. Schließlich stellte er sich zur Frontseite, streifte die Gummiträger seines Heberanzugs ab und zeigte auf den darunter liegenden Bundesadler. „Ich komme zwar aus Österreich", sagte Matthias Steiner, „ich bin dem Land auch dankbar, aber da wo ich jetzt bin, das hätte ich ohne Deutschland, ohne den Bundestrainer nie geschafft." Hingebungsvoll sang der gebürtige Österreicher auch die deutsche Nationalhymne mit.

Vor vier Jahren in Athen ist er noch für Österreich in der Klasse unter 105 Kilogramm gestartet und Siebter geworden. Wie das Schwergewicht nach Deutschland kam, ist eine dieser seltsamen Wendungen in seinem Leben. Sein ehemaliger ägyptischer Trainer hatte sich mit dem österreichischen Verband verkracht, es ging um finanzielle Dinge. Als Steiner bei einem Wettkampf dreimal scheiterte, vermutete der Verband Absicht dahinter. „Er kann für Schweden, Deutschland, Kasachstan oder Teppichland starten, das ist uns egal", sagte der Vizepräsident des österreichischen Gewichtheberverbandes Martin Schödel. Kuriose Fußnote ist nun, dass Österreich bei den Olympischen Spielen von Peking noch keine Goldmedaille errungen hat. Matthias Steiner schon.

Die Tragödie

Wie er nach Deutschland kam und am 2. Januar einen deutschen Pass erhielt, ist die andere Wendung in seinem Leben. Die in einer Tragödie endet. Die spätere Susann Steiner hatte ihn bei einem Gewichtheber-Wettbewerb im Fernsehen auf „Eurosport" gesehen – und sich in ihn verliebt. Sie schrieb ihm eine E-Mail, und sie wurden ein Paar. Sie nahmen Wohnsitz in Leimen, wo sich auch das Bundesleistungszentrum für Gewichtheben befindet. Im Juli 2007 fuhr Susann Steiner mit dem Auto von Heidelberg nach Leimen. Und verunglückte tödlich. Matthias Steiner fiel in ein tiefes Loch, aus dem ihm das Gewichtheben helfen konnte. „Es hilft, wenn man weiß, dass man gebraucht wird", hat er einmal gesagt.

Nun ist er Olympiasieger in einer Sportart, die von Dopingproblemen erschüttert wird. Er sei seit Dezember zehn Mal kontrolliert worden, sagt Matthias Steiner, bei der Konkurrenz sei das ebenso. Vor einigen Jahren hätte man noch zehn Kilogramm mehr heben müssen für einen Olympiasieg, ein Ding der Unmöglichkeit für ihn. „Ich bin froh über die Kontrollen, ich hoffe, dass es so bleibt", sagte er. Das Schlusswort zum gestrigen Wettbewerb aber hatte eine Helferin. „Die Pressekonferenz ist beendet", sagte sie, „die Gewichtheber müssen zur Dopingkontrolle."

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