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Sport: Start in die Sklavenzeit

Der Hamburger SV hält sich seit 40 Jahren in der Bundesliga – das schaffte kein anderer Verein

Von Karsten Doneck, dpa

Am 24. August 1963, heute vor 40 Jahren also, ist die Fußball-Bundesliga in ihre erste Saison gestartet. Seitdem hat die Liga viele schöne Geschichten geschrieben. In loser Folge haben wir an Rekorde und Glanzleistungen erinnert. Heute, zum Abschluss der Serie, geht es um den einzigen Klub, der seit Gründung der Liga ununterbrochen erstklassig ist.

Vier Minuten nur noch. Der Hamburger SV liegt 0:1 zurück. Die Spieler haben die Pleite vor Augen, dann kommt der Auftritt von Gert Dörfel, besser bekannt als Charly Dörfel. Eher sollte es sein Abgang werden, wie der stets zu Scherzen aufgelegte Linksaußen verrät. „Eigentlich war ich schon in Richtung Kabine unterwegs. Der kürzeste Weg dorthin führte in Münster ja direkt am linken Torpfosten vorbei“, sagt Dörfel in Erinnerung an jene Szene und lächelt verschmitzt – wie immer, wenn er eine seiner unzähligen Fußball-Anekdoten kundtut. Allerdings fiel Dörfel im Strafraum nach einer Ecke von Hubert Stapelfeldt der Ball noch einmal vor die Stirn. Sein vermeintliches Desinteresse wandelte sich blitzschnell in konzentrierten Tatendrang. Dörfel zögerte nicht lange, köpfte den Ball ins Netz. Dank dieses Treffers schaffte der Hamburger SV an jenem 24. August 1963, dem ersten Bundesligaspieltag, noch ein 1:1 bei Preußen Münster.

Es war das erste von mittlerweile 2288 Bundesligatoren des HSV. Das bisher letzte schoss Sergej Barbarez am vorigen Sonntag zur 1:0-Führung beim VfL Wolfsburg – Endstand: 1:5. Heute nun feiert der HSV im Heimspiel gegen Bayern München Jubiläum: Auf den Tag und die Stunde genau gehört der Klub zur Anstoßzeit um 17 Uhr ununterbrochen 40 Jahre lang der Bundesliga an. Der HSV – das letzte Überbleibsel aus dem Gründungsjahr der Bundesliga.

46 Klubs hatten sich anno 1963 um einen Platz in der Bundesliga beworben, darunter gleich drei aus Saarbrücken: 1. FC Saarbrücken, Saar 05 Saarbrücken und Sportfreunde Saarbrücken. 16 Klubs erhielten den Zuschlag, darunter der HSV, der in den 16 Jahren zuvor 15-mal Meister in der Oberliga Nord geworden war, dabei in sechs Spielzeiten seiner hohen Überlegenheit mit mehr als 100 geschossenen Toren pro Saison gebührend Ausdruck verliehen hatte. In Hamburg war man bei Einführung der Bundesliga fest davon überzeugt, dass der HSV fortan auch im nationalen Wettstreit eine vielleicht nicht so dominierende Rolle, aber doch wohl zumindest eine Spitzenstellung einnehmen würde. Obwohl dem Verein zu denken geben musste, dass bei aller Souveränität in der Oberliga in den folgenden Endrunden um die deutsche Meisterschaft in den Nachkriegsjahren nur einmal der Titel an die Elbe geholt worden war: 1960 durch ein 3:2 im Finale gegen den 1. FC Köln.

In der ersten Saison, die mit dem 1:1 in Münster eher durchschnittlich begann, wurde der HSV am Ende Sechster. Das war ziemlich wenig für die erfolgsverwöhnten Hamburger. Der HSV hatte allerdings durch die Gründung der Bundesliga einen seiner Leistungsträger eingebüßt: Jürgen Werner. Der galt seinerzeit als einer der elegantesten und kreativsten deutschen Außenläufer. Zahlreiche Verletzungen hinderten ihn daran, mehr als nur vier Länderspiele zu bestreiten. Dieser Werner, „unsere Intelligenzbestie“, wie Charly Dörfel lästerte, wollte nicht in der Bundesliga spielen. Just mit deren Einführung beendete er, gerade mal 28 Jahre alt, seine Karriere. Er wolle sein Latein- und Sportstudium vorantreiben, um Lehrer zu werden, ließ er wissen. Das war indes nur die halbe Wahrheit. „Ich bin gegen die neue Entwicklung im Fußball“, sagte Werner auch. Warum? „Jetzt wird der Run nach Geld die Hauptsache. Nur noch für Geld oder des Geldes wegen zu spielen, das ist gegen meine Überzeugung“, wurde er in einem Buch von Jens R. Prüß („Spundflasche und Flachpaßkorken“, Klartext-Verlag, Essen, 1991) zitiert. Im „Spiegel“, der der Einführung der Bundesliga seinerzeit eine Titelgeschichte gewidmet hatte, sprach Werner gar vom „Beginn der Sklavenzeit“. Jürgen Werner stieg später zum Oberstudiendirektor auf, nebenbei machte er sich noch als DFB-Funktionär nützlich. Werner erlag am 27. Mai 2002 einem schweren Krebsleiden.

Im ersten Bundesligajahr 1963 lieferte der HSV seinem Anhang ein fast schon kurioses Kontrastprogramm. Da stand einem 7:3-Sieg gegen den 1. FC Kaiserslautern ein 2:9 bei 1860 München gegenüber. Das Heimspiel gegen 1860 hatte der HSV 5:0 gewonnen – in derselben Saison.

Wenigstens in zwei Punkten standen die Hamburger an der Spitze. Uwe Seeler wurde mit 30 Treffern Torschützenkönig, mit zehn Toren Vorsprung vor Dortmunds Timo Konietzka. Und dann war da noch Harry Bähre. Der Mittelfeldspieler vom HSV staunte nicht schlecht, als er vom DFB den Spielerpass für die neue Liga ausgehändigt bekam. Das Dokument trug die Nummer „001“.

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