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Das war noch regulär. Leverkusens Stefan Kießling (l) vor seinem Phontomtor im Zweikampf mit Hoffenheims David Abraham.

© dpa

Stefan Kießlings umstrittener Treffer: Ins Tor gezaubert

Im entscheidenden Moment kollidierten zwei Wahrnehmungen: Deshalb ist die Kritik an Stefan Kießling nach seinem „Phantom-Tor“ unredlich.

Die Indizien sind erdrückend: Stefan Kießling hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, nachdem sein Kopfball am Tor der Hoffenheimer vorbeigeflogen war; er hat danach auch noch so wissend gelächelt, als er mit dem Schiedsrichter Felix Brych am Anstoßkreis stand. Und ist nach dem Spiel nicht eigens der Pressesprecher des Vereins bei Kießling vorstellig geworden, um ihm eine unverfängliche Sprachregelung einzuflüstern? Er solle sagen, er habe nichts gesehen. Was darauf schließen lässt, dass er etwas gesehen hat – sonst müsste man nicht extra das Gegenteil erwähnen.

Die Indizien sind so erdrückend, dass Stefan Kießling, der allseits beliebte Stürmer von Bayer Leverkusen, plötzlich als fieser Betrüger dasteht. Das Netz brodelt, der Stammtisch zürnt, und Besserwisser wie Ralf Rangnick, der frühere Trainer der Hoffenheimer, besserwissern. Und das alles, weil der Schiedsrichter ein Tor gegeben hat, das Kießling gar nicht geschossen hat.

Hinterher ist man immer klüger. Hinterher kann man leicht die Frage stellen: Hätte Kießling als vorbildlicher Sportsmann nicht zugeben müssen, dass sein Kopfball am Tor vorbeigeflogen war? Edel und gut wäre diese Selbstanzeige gewesen, das steht außer Frage. Aber die Anklage geht von der nicht bewiesenen Annahme aus, Kießling habe zweifelsfrei gewusst, dass sein Ball das Tor verfehlt hatte. Diese Annahme aber ist infrage zu stellen, wenn man die Ereignisse beim Spiel Leverkusen gegen Hoffenheim vom vergangenen Freitag rekonstruiert.

Natürlich muss Kießling etwas geahnt haben, sonst hätte er nicht mit einer eindeutigen Geste der Enttäuschung reagiert. Aber als er sich umdrehte, lag der Ball eben auch für alle ersichtlich im Tor. Und wie soll er dorthin gelangt sein, wenn das Tor nur einen einzigen Eingang hat, den zwischen Latte und Pfosten?

Inzwischen wissen wir, dass es noch einen Hintereingang gab: ein Loch im Tornetz. Aber das konnten weder Kießling noch der Schiedsrichter ahnen. Und wenn man ihre Reaktionen richtig deutet, wussten das auch die Hoffenheimer Spieler nicht früh genug, um rechtzeitig Protest einzulegen.

In den entscheidenden Momenten kollidierten zwei Wahrnehmungen, die sich eigentlich nicht miteinander in Einklang bringen lassen: 1. Der Ball ist eindeutig am Tor vorbeigeflogen. 2. Der Ball liegt zweifelsfrei im Tor. Die Spieler auf dem Feld, die Fans im Stadion, selbst die Zuschauer vor den Fernsehern mussten dahinter einen Zaubertrick vermuten: Wie kann sein, was nicht sein kann? Wie kommt das Kaninchen in den Zylinder, wenn der Zylinder eben noch leer war? Erst nachdem die Hoffenheimer Ersatzspieler das Loch im Netz entdeckt hatten, ließ sich dieser Widerspruch auflösen.

Deshalb wäre es unredlich, Kießling mit diesem nachträglichen Wissen einen Verstoß gegen das Fairplay vorzuwerfen. Vorsatz ist nicht zu belegen, und seine Unwissenheit sollte ihn in diesem Fall explizit vor Strafe schützen – gerade vor der selbstgefälligen Ächtung durch das breite Publikum.

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