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STEIL Pass: Im Land der Besserwisser

Stefan Hermanns über den schädlichen Einfluss des Fernsehens auf den Fußball

Mit Wörtern verhält es sich wie mit Eisdielen. So wie jeder Mensch eine Eisdiele hat, von der er behauptet, sie verkaufe das beste Eis der Welt, so hat jeder Mensch auch ein paar Wörter, die er für besonders schön und anmutig hält. Mein Freund Pee Wee aus Amsterdam schätzt von allen deutschen Wörtern die Hintertorkameraperspektive am meisten. Im Holländischen ist dazu keine Entsprechung vorhanden, weil es nämlich mangels Hintertorkamera im holländischen Fußball auch keine Hintertorkameraperspektive gibt.

Dass das Fernsehen unsere Sicht auf die Welt und mithin auf den Fußball prägt, ist keine allzu originelle Erkenntnis. Aber könnte es vielleicht sein, dass das Fernsehen auch den Fußball selbst verändert? Nirgendwo ist der technische Aufwand bei Fußballübertragungen so hoch wie in Deutschland, und nirgendwo ist auch so viel überflüssiger Schnickschnack im Einsatz: von der virtuellen Abseitslinie bis zum 9,15-Meter-Kreis um den Ball beim Freistoß. Jede strittige Szene kann aus etlichen Perspektiven beleuchtet werden, demnächst wahrscheinlich von der Untergraskamera. Interessanterweise führt das alles aber auch nur dazu, dass jede Seite sich am Ende bestätigt fühlt. Beim Fußball sind wir Deutschen nun mal gern ein Volk von Besserwissern.

Dass der technische Overkill nicht selbstverständlich ist, merkt man erst bei Übertragungen im Ausland, in England zum Beispiel. Da ist die Zeitlupe nur für die wirklich wichtigen Szenen vorgesehen, für Tore oder große Chancen. Für alles andere bleibt gar keine Zeit. Fußball in England ist jetzig, er hält sich nicht mit der Vergangenheit auf. Deutschland hingegen, das Land der dauernden Spielunterbrechungen, bekommt immer mehr den Fußball, den das Fernsehen suggeriert. Die penetrante und schamlose Reklamiererei der Spieler ist nur die Fortsetzung des televisionären Genauigkeitsfimmels.

Der ganze Irrwitz zeigt sich im Detail. Vor anderthalb Jahren, nach Bremens Pokalaus gegen St. Pauli, musste sich Trainer Thomas Schaaf von ARD-Moderator Gerhard Delling vorhalten lassen, dass Werders einziger Treffer aus einer klaren Abseitsstellung erzielt worden sei. Sie war so klar, dass man drei Zeitlupen gebraucht hatte, um sie zu erkennen.

Stefan Hermanns schreibt an dieser Stelle im Wechsel mit „11 Freunde“-Chefredakteur Philipp Köster.

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