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Sport: Stille Tage in Ascona

Rinkes Rauten (V): Wie die Viererkette ihre Seele befreit. Wie Nationalspieler fremde Frauen im Fahrstuhl küssen und reumütig über den Lago Maggiore rudern. Wie Arne Friedrich seinem Ferrari hinterhertelefoniert

1.

(Der Yoga-Raum der deutschen Nationalmannschaft in Ascona. Regenerationstage. Der Chef-Yogi des DFB-Teams, Patrick Broome, Gründer des Jivamutki-Zentrums in München, sitzt im Lotussitz vor der deutschen Viererkette aus Arne Friedrich, Philipp Lahm und den Innenverteidigern Metzelder und Mertesacker, ebenfalls alle im Lotussitz.)

DER YOGI: Guten Morgen.

DIE VIERERKETTE: Guten Morgen!

DER YOGI: Die Jivamutki-Methode ist eine wunderbare Methode, den modernen Menschen wieder zum verlorenen Wissen um Balance und natürlicher Heilung zurückzuführen. Wir lernen mit uns und unseren Ängsten ins Reine zu kommen. Jivamutki bedeutet übersetzt „befreite Seele“, das heißt, wir befreien unsere Seelen.

LAHM: Aber das schaffen wir doch gar nicht mehr bis zum Türken-Spiel?

DER YOGI: Herr Lahm, es geht darum, die Türken jetzt einmal ganz aus dem Kopf zu lassen, die Angespanntheit aus dem Körper zu ziehen durch Atmung. Wir beginnen mit intensiver Atmung.

(Der Yogi atmet tief ein und aus. Die Viererkette atmet ebenfalls tief ein und aus. Frings öffnet die Tür, starrt einen Augenblick die atmende Viererkette an und knallt die Tür wieder zu.)

DER YOGI: Wir stellen uns nun vor, was wir ausatmend aus dem Geist und damit aus dem Körper entlassen wollen. Herr Metzelder, was wollen Sie ausatmend entlassen, sagen Sie es!

METZELDER: Die modernen Medien und Real Madrid! (Er atmet tief ein aus, mit seinem Bart sieht er sogar aus wie eine Mischung aus Jesus und dem Erfinder der Jivamutki-Methode.)

DER YOGI: Sehr gut! Einatmen! Und ausatmen! Und entlassen!

METZELDER: Bernd Schuster auch! Arsch!

DER YOGI: Und ausatmen und entlassen! Und Sie, Herr Mertesacker?

MERTESACKER: Mir geht’s gut.

DER YOGI: Keine Blockaden?

MERTESACKER: Nein.

DER YOGI: Aber ein- und ausatmen können Sie doch trotzdem?

MERTESACKER: Klar.

DER YOGI: Herr Lahm, was ist mit Ihnen?

LAHM: Sag ich nicht.

FRIEDRICH (springt plötzlich aus dem Lotussitz auf): Ich habe meinen Ferrari in Kreuzberg geparkt! Am Kottbusser Tor! Ist mir ist gerade eingefallen, beim Ausatmen! Da war ich vor Ascona noch was trinken! Mein Ferrari, der muss da doch Mittwochabend weg!? So eine Scheiße, wenn wir die Türken schlagen ... dann ist am Kottbusser Tor ... das ist ja ein Alptraum!! Kottbusser Tor!!!! Ich muss Dieter Hoeneß anrufen, Entschuldigung ...

(Arne Friedrich nimmt sein Handy und ruft Dieter Hoeneß an. Der Rest der Viererkette atmet weiter ein und aus.)

2.

(Am Nachmittag. Lahm und Kuranyi im Ruderboot auf dem Lago Maggiore. Sie rudern vor sich hin.)

LAHM: Wir sind ganz unterschiedliche Typen.

KURANYI: Meinst du wegen ich bei Schalke?

LAHM: Nein, so als Mensch. Wir sind beide moderne Menschen, aber ganz unterschiedlich.

KURANYI: Ach so.

LAHM: Hast du viele Affären?

KURANYI: Warum fragst du?

LAHM: Nur so. Ich denk mir, du hast bestimmt viele Affären.

KURANYI: Ich zieh oft mit Rakitic los.

LAHM: Kevin?

KURANYI: Ja.

LAHM: Ich hab mit Bastis Freundin im Fahrstuhl geknutscht.

KURANYI (Stoppt den Rudervorgang) Echt?

LAHM: Ja. Bin ich ein Schwein?

KURANYI: Nee.

LAHM: Doch!

KURANYI: Ist doch normal.

(An ihnen vorbei fahren im Tretboot Jogi Löw und Hansi Flick, beide im weißen Hemd. Löw ist aufgestanden und schaut über den Lago Maggiore.)

LÖW: Ich sehe das Ziel, Hansi, ich kann bis nach Wien gucken!

(Hansi Flick haut mit der flachen Hand Löw auf den Hintern, so dass er in der Lago Maggiore fällt. Als Jogi Löw wieder auftaucht, lachen beide. An ihnen vorbei fahren, ebenfalls im Tretboot, Simon Rolfes und Hitzlsperger, die neue Doppelsechs. Sie bieten Jogi Löw ein Handtuch an, was Frings vom Ufer argwöhnisch beobachtet. Mitten auf dem See, sieht man ganz alleine Mario Gomez. Das ganze Tretboot ist gefüllt mit Gurken, von denen er eine nach der anderen isst.)

KURANYI: Guck mal, Philipp, da hinten, Gurken-Gomesssss!

LAHM: Wir haben uns einfach geküsst. Im Fahrstuhl. Ich bin ein modernes Schwein.

(Tränen laufen über das Gesicht von Gomez.)

GOMEZ: Mein Leben ist sinnlos geworden. Wenn ich alle Gurken aufgegessen habe, dann gehe ich einfach im See unter.

(Er isst immer weiter, eine Gurke nach der anderen, Salatgurken, Schälgurken, Einlegegurken, Senfgurken, bis die Sonne untergeht. Am Ufer steht Arne Friedrich. Man hört, wie seine Stimme über den See tönt.)

FRIEDRICH: Ich muss Hoeneß sprechen! ... Am Kottbusser Tor! Bei den Türken, sage ich doch ... Wenn Hoeneß den nicht umparkt, muss ich eben ....Was mir wichtiger ist? Das Finale oder mein Ferrari? Na, raten Sie mal!

(Dann wird es dunkel.)

Moritz Rinke ist Schriftsteller und Autor des Tagesspiegels. Er gewann gerade mit der Autorennationalmannschaft 8:1 gegen die Autoren Österreichsund erzielte dabei ein Tor. Hier schreibt er vor jedem EM-Spiel der Deutschen.

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