zum Hauptinhalt

Stiloffensive (16): Euch umarmen wir auch noch!

An dieser Stelle schreibt Verena Friederike Hasel im Wechsel mit Esther Kogelboom über die modischen Verirrungen bei der EM. Heute fordert sie mehr Zärtlichkeit zwischen den Spielern.

Wenn man vom inzwischen schon türkentypischen Last-Minute-Tor einmal absieht, gab es im Spiel zwischen der Türkei und Kroatien vor allem zwei fußballerische Phänomene zu beobachten: die Massageschlange und die Jubeltraube. Vor der Verlängerung wurden die Spieler auf dem Spielfeld massiert, nicht alle kamen gleich ran, aber anstatt zu quengeln reihten sie sich geduldig auf, um ihre Wade an den Masseur zu bringen. Dabei waren sie fast so manierlich anzusehen wie Engländer, die auf den Bus warten, nur dass sich die Spieler untereinander mehr berührten als es die Teilnehmer einer britischen Busschlange tun würden: In einem raschen Kameraschwenk sah man, wie sich zwei Spieler in Ermangelung eines Masseurs rasch gegenseitig massierten.

Überhaupt erinnerte das Spiel mehr denn je an eine große Kuschelparty. Nach dem kroatischen Tor umtanzte Slaven Bilic seine Spieler und machte in der Hoffnung, irgendwie noch Einlass in ihre Jubeltraube zu finden, einige sehr beachtliche Sprünge. (Dass er Hardrockmusik macht, ist ganz offensichtlich ein ziemlich lahmer Versuch der Legendenbildung – wer jenseits des vierzehnten Lebensjahrs noch mit einem Ohrring wie Bilic herumläuft, holt in einer stillen Minute die „Mundorgel“ hervor und stimmt einen Kanon mit Gitarrenbegleitung an.) Beim Elfmeter bildeten Trainer und Betreuer dann eine Umarmungsphalanx und die Spieler eine weitere. Nach dem Sieg umarmte der türkische Torwart Rüstü erst die Kroaten, bevor er mit seiner Mannschaft feierte, was selbstverständlich auch mit dem Mittel der Umarmung geschah. Hätte ein Baum auf dem Spielfeld gestanden, hätte sich bestimmt auch jemand gefunden, der ihn umarmt hätte. Schließlich war auch Trainer Fatih Terim am Umarmen beteiligt, und bei ihm plagte einen bislang vor allem die Sorge, dass er sich sein dichtes Brusthaar, das er mit einem bis zum Bauchnabel aufgeknöpften Hemd herzeigt, mit seiner Zigarre ansengen würde. Trotzdem – da ist noch mehr drin, die Spieler geben bisher nicht alles. Ich rufe dazu auf den Torwart in Zukunft vorm Elfmeter zu umarmen, den Gegenspieler vorm Foul und den Ball vor jedem Schuss. Die Uefa hat die Latte hoch gehängt – ihr Logo zeigt die Gipfel der Schweizer und österreichischen Berge, die gerade inniglich einen Ball umarmen.

WIRECENTER
Oben drauf ist auch dabei. Um an einer Jubeltraube teilnehmen zu können, bedarf es manchmal etwas Kreativität - hier bewiesen von Emre Asik.

© Imago

Zur Startseite