zum Hauptinhalt

Sport: Stollen im Nacken

Dass Torhüter ausrasten, ist normal, sagt Herthas Mentaltrainer Gerd Driehorst. Denn sie sind einsam und hilflos. Schnell werden sie zu Opfern – und Tätern

Warum rastet ein Torhüter aus? Nationalkeeper Oliver Kahn hat einmal gesagt: „Ich stehe auf einer Psychoposition. Ich habe im ganzen Spiel nichts zu tun. Dann kommen ein, zwei Bälle, die sind drin, nichts zu machen. So eine Frustration! Ich muss dann da stehn und stehn und stehn, das Adrenalin steigt, immer mehr, du wirst aggressiv, und wie sollen sich meine Aggressionen entladen? Diese Passivität! Ich kann nicht einfach auf- und abrennen wie die anderen Spieler. Die können mal irgendwo hinhauen.“ Irgendwann passiert es einfach.

Gerd Driehorst, der sich als Mentaltrainer um einige Profis von Hertha BSC kümmert, sagt: „Der Torhüter ist einsam, die Nervenbelastung bei ist ihm enorm. All das Adrenalin – dass Torhüter ausrasten, ist normal.“

Es kommt nur auf die Art an. „Fluchen ist okay, es befreit den Spieler“, sagt Driehorst. „Der Schalker Torhüter Rost hat ein, zwei Minuten geflucht, geschimpft. In der Kabine aber, in der Stille, da wird er ruhig sein. Torhüter handeln im Affekt.“ Trotzdem: „Wer voll konzentriert ist, hat keine Energie, sich zu beschweren.“

Ein Blick in die Akte von Oliver Kahn: Da gibt es den Kung-Fu-Tritt im April 1999 gegen Stéphane Chapuisat. Kahn musste nach 763 torlosen Minuten gegen Dortmund den ersten Treffer hinnehmen. Vor Wut sprang Kahn zunächst dem Dortmunder Stürmer entgegen, dann sah es so aus, als wolle er den Dortmunder Heiko Herrlich in den Hals beißen. Torhüter sind Täter – und Opfer. Sie müssen dem Ball entgegenspringen. Mit ihrem Kopf gehen sie dahin, wo Feldspieler nur noch grätschen, an jedem Wochenende, die Aluminium-Stollen immer vor Augen. So hat der Dortmunder Torhüter Lehmann wenige Minuten vor seinem Ausraster einen Tritt von Elber an den Kopf bekommen. „Das Spiel ist so hart geworden“, sagt Herthas Torhüter Gabor Kiraly. „Die Feldspieler setzen ihre Ellenbogen gegen uns ein und grätschen ohne Rücksicht auf Verluste. Wir müssen im Fünfmeterraum vom Schiedsrichter viel besser geschützt werden. Aber wehe, wenn wir uns mal wehren. Dann gibt es sofort eine Gelbe Karte.“

Der Torhüter als Opfer – da gibt es wenig Beispiele. Die Liste der Täter ist länger. Da gibt es den Torhüter Uli Stein. Im Juli 1987 spielte er mit dem DFB-Pokalsieger HSV gegen Meister Bayern München um den Supercup. Als Bayerns Jürgen Wegmann zum 1:1 traf, wurde Stein aggressiv. Er beförderte den nächsten Abschlag absichtlich ins Seitenaus. In der 87. Spielminute kam es dann zur Explosion: Wegmann erwischte einen Abpraller und traf zum 2:1. Stein rastete aus – und schlug zu. Er rammte seine Faust gegen das Kinn des am Boden liegenden Wegmann. Stein sah die Rote Karte und wurde zehn Spiele gesperrt. Der Torwart spielte nie wieder für den HSV. Der damalige DFB-Präsident Neuberger sagte: „Stein ist ein Mann, der sich nicht beherrschen kann. Schade!"

Toni Schumacher war ein ähnlicher Typ. Im Halbfinale der WM ’82 foulte er den Franzosen Patrick Battiston. Der blieb liegen. Bewusstlos. Battiston wollte in Schumachers Revier eingedrungen, in den Strafraum. Nur Schumacher konnte das Tor verhindern, irgendwie. Der Fokus war auf ihn gerichtet. Wie sollte er reagieren, als Battiston den Ball an ihm vorbeispitzelte? Wie konnte er das Tor noch verhindern? Schumacher hatte sich entschieden. Er würde ihn foulen. Schumacher sprang Battiston mit der rechten Hüfte und angewinkeltem Ellenbogen ins Gesicht. Es war ein brutales Foul. Und Schumacher ließ Battiston liegen.

Die Franzosen waren empört. Da war er wieder, der böse Deutsche. In Frankreich soll Schumacher in den kommenden Tagen Polizeischutz benötigt haben. Schumacher wird die Szene anders empfunden haben. Es war sein Job gewesen.

André Görke

Zur Startseite