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Ralf Paulo ist ein Optimist und lässt sich im Training nicht anmerken, wenn er mal einen Durchhänger hat.

© promo

Stützpunktleiter Ralf Paulo im Interview: „Ich bin dafür zuständig, dass der Laden läuft“

Ralf Paulo, Leiter der Bundestützpunkte in Cottbus und Potsdam, über Nachwuchstalente im Para-Sport und warum er nach Tokio teilweise aufhört.

Herr Paulo, welche Aufgaben haben Sie als paralympischer Stützpunktleiter?

Ich sorge dafür, dass alle Rädchen ineinandergreifen. Das heißt, ich leite die Trainer an, nicht fachlich, aber organisatorisch. Ich suche nach Athleten für unseren Kader, bin zuständig für die Landesstützpunkte und unterstütze die Sportler, dass sie es eventuell mal in den Bundeskader schaffen und sie, wenn es gut läuft, an internationalen Wettkämpfen teilnehmen können. Ich bin dafür verantwortlich, dass die Sportler, die zu uns an den Stützpunkt kommen, Schule und später auch Ausbildung oder Studium mit dem Leistungssport verbinden können. Das alles mache ich natürlich nicht alleine, sondern zusammen mit meinem Team.

Wie können Athleten den Profisport mit ihrer beruflichen Laufbahn zu verbinden?

Nachwuchssportler können beispielsweise in Cottbus zur Sportschule gehen. Da ist es dann kein Problem, Schule und Leistungssport nebeneinander zu absolvieren, darauf sind die Schulen ausgelegt. Außerdem können die Schüler ihr Abitur, also die Oberstufe, auf vier Jahre strecken, wenn sie das gerne wollen und haben so mehr Zeit fürs Training. Das ist natürlich eine sehr individuelle Frage für jeden Sportler. Bei einem Studium läuft es ähnlich. Wenn ein Sportler studieren möchte, organisieren wir das gemeinsam mit der OSP Laufbahnberatung. Wir sprechen im Voraus mit unseren Partnern an den Universitäten in Cottbus oder Potsdam, welche Seminare die Sportler am besten belegen, damit sie noch optimal trainieren können. Aber bei einem Studium ist es ja generell unproblematischer, ein paar Semester länger zu studieren.

Wenn Sie vor allem mit den organisatorischen Sachen beschäftigt sind, wie nah stehen sie dann noch in Kontakt mit den Sportlern?

Sehr nah. Ich sitze mit meinem Büro direkt über dem Paralympischen Zentrum und die Sportler können jederzeit zu mir kommen. Außerdem bin ich in meinem zweiten Leben immer noch Trainer. Ich habe noch zwei Sportlerinnen, die ich selbst betreue. Ich komme also aus der Praxis und habe viele Jahre als Trainer gearbeitet, die Stützpunktleitung mache ich erst seit 2017. Wir haben uns die Jahre davor so gut entwickelt und einer musste den Job machen. Das war dann halt ich.

2019 wurden sie sogar zum Trainer des Jahres gewählt. Das heißt, sie machen ihren Job wohl sehr gut. Aber ist diese Doppelbelastung – Trainer und paralympischer Stützpunktleiter – nicht manchmal ziemlich anstrengend?

Es ist nicht nur manchmal schwierig, es ist immer schwierig. Beide Funktionen lassen sich zwar gut verbinden, da es viele Berührungspunkte gibt, aber der Zeitaufwand ist enorm. Fancés Herrmann und Janne Engeleiter, das sind die beiden Sportlerinnen, die ich betreue, hatten beide das Ziel, sich für Tokio zu qualifizieren, das haben sie geschafft und ich habe gesagt, bis Tokio bleibe ich noch Trainer, aber dann muss ich mir das einmal neu überlegen. Ich bin von früh bis spät unterwegs und ich will es ja auch halbwegs vernünftig machen. Meine Sportlerinnen haben sich schon daran gewöhnt, dass mein Telefon während des Trainings immer mal wieder klingelt, weil irgendetwas dingend geklärt werden muss. Das gehört dazu. Das ist nicht optimal, das muss ich auch sagen, aber die beiden kennen mich schon sehr lange. Mit Frances trainiere ich seit bald 20 Jahren, obwohl sie erst 32 ist. Und scheinbar sind die Sportlerinnen beide so zufrieden mit mir, dass sie auch weiter mit mir trainieren wollen.

In 20 Jahren gemeinsamen Trainings hat sich zwischen Ihnen doch bestimmt ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Schaffen Sie es da noch in Training streng zu bleiben?

Das ist nicht schwer. Manche gucken zwar komisch, aber meine Sportlerinnen Siezen mich noch. Das haben wir uns so angewöhnt. Dadurch bleibt immer eine gewisse Distanz erhalten, natürlich diskutieren wir auch viel. Aber ich denke, es ist noch ein großer Respekt da. Ich respektiere die Athletinnen ja auch für das, was sie leisten und diesen Respekt fordere ich mir genauso ein.

Als paralympischer Stützpunktleiter sind sie für den gesamten paralympischen Sport in Brandenburg zuständig. Wie gehen Sie mit der Verantwortung um?

Ich sehe das relativ locker. Wir versuchen natürlich das bestmögliche aus unserem Stützpunkt zu machen und uns weiterzuentwickeln. Damit wir den Stützpunkt so weit stärken, dass wir auch nach 2024 wieder die Anerkennung als Bundesstützpunkt erhalten. Aber ich bin nicht so ein verbissener Typ, der nie nach rechts oder links schaut. Es ist nun einmal so, dass Sportler mit Behinderung auch durchaus für mehrere Sportarten geeignet sind. Da muss man als Trainer auch fair sein können und einsehen, dass ein Sportler vielleicht im Radsport mehr erreichen kann, als es für ihn in der in der Leichtathletik möglich ist. Wir müssen über den Tellerrand schauen, um das bestmögliche für die Sportler rauszuholen, das gelingt nicht immer, aber im Großen und Ganzen denke ich, bekommen wir das gut hin. Wie gesagt, ich bin schon eine Weile dabei und diesen starken Verantwortungsdruck spüre ich im Augenblick nicht. Auch weil ich mir bewusst bin, dass ich das nicht allein mache – wir arbeiten immer im Team. Und dass wir die Stützpunkte so bei uns aufbauen konnten, verdanken wir auch dem guten Netzwerk in Brandenburg. Angefangen mit dem Ministerium Bildung, Jugend und Sport über den Landessportbund und den Olympiastützpunkt Brandenburg bis hin zum Behinderten- und Rehabilitationssportverband Brandenburg und den stützpunkttragenden Vereinen wie dem BPRSV in Cottbus und dem SC Potsdam. Ohne die würde es nicht gehen.

Ihr Stützpunkt ist erst seit 2021 ein Bundesstützpunkt und bleibt es vorerst bis 2024. Wie hat sich das Training seit Anfang des Jahres verändert?

Als paralympischer Trainingsstützpunkt waren wir zwar an einen Bundesstützpunkt angelehnt, aber nicht gleichgestellt. Der Unterschied jetzt ist, dass die Finanzierung ähnlich läuft wie bei den olympischen Sportarten. Das betrifft auch die personelle Aufstellung. Aber rein vom Trainingstechnischen hat sich eigentlich nichts verändert, nur die Förderung ist besser geworden, wodurch wir mehr Mittel zur Verfügung haben.

Herr Paulo, Sie sind jetzt schon seit 1992 Trainer, gerade haben sie gesagt, sie bleiben wahrscheinlich noch bis nach Tokio Trainer. Was bedeutet Parasport für Sie persönlich?

Letztendlich gibt es für mich keinen Unterschied zum olympischen Sport – zumindest nicht, was die Trainingsmethoden betrifft. Es sind dieselben Methoden, die man anwenden muss, um einen Sportler erfolgreich zu trainieren, dieselben Mechanismen. Der Unterschied zum Parasport ist, dass wir sehr oft eine Eins-zu-eins-Betreuung haben, weil es durch die Behinderung anders gar nicht möglich wäre. Ich betreue eine sehbehinderte Sprinterin und eine Werferin, die aus einem Wurfstuhl ihren Wettkampf bestreitet, da kann man sich vielleicht vorstellen, dass das im Training schwer vereinbar ist. Beim Krafttraining in der Anfangsphase können wir vielleicht mal zusammen trainieren, aber ansonsten nur in der Eins-zu-eins-Betreuung. Dadurch haben wir im Parasport einen besonders hohen Personal- und Zeitaufwand. Zum Glück sind unsere Trainer sehr engagiert und schauen nicht so sehr auf die Arbeitszeiten. Ich möchte nicht sagen, dass wir das erwarten können, aber es ist auch jedem bewusst, der bei und anfängt, dass das irgendwo mit dazu gehört.

Könnten Sie sich denn vorstellen, noch mal wo anders zu Arbeiten als im Para-Sport?

Das kann ich mir momentan nicht vorstellen. Klar gibt es Phasen, in denen es wirklich hart ist und man gerne mal etwas anderes machen würde, aber wenn ich ganz ehrlich in mich reinschaue, ist mir der Parasport schon ans Herz gewachsen und ich möchte ihn nicht aufgeben. Jetzt habe ich noch ein paar Jahre bis zur Rente und da möchte ich das, was ich mit aufgebaut habe (und wir sind mit unserem Stützpunkt immer noch am Anfang), weiter vorantreiben. Ich will das Baby, das wir angefangen haben großzuziehen, wirklich groß bekommen, sodass wir einen Namen in der Region vielleicht sogar deutschlandweit haben, mal schauen. Dann kann ich auch mit ruhigem Gewissen ausscheiden.

Herr Paulo, erst einmal liegt jetzt aber der Fokus auf den Paralympics in Tokio. Was glauben sie, wie werden die Spiele unter Pandemiebedingungen?

Es werden in jedem Fall andere Spiele. Das wird schon klar, wenn man sich einmal die Vorgaben, die natürlich gemacht werden müssen, anguckt: Maske tragen, täglich testen und die Sportler müssen 48 Stunden nach ihrem Wettkampf abreisen. Es war schon immer spannend zu sehen, wenn Sportler verschiedener Nationen gemeinsam gegessen haben und Stimmung gemacht haben. Das wird nun leider fehlen, genauso wie die Zuschauer. Grade beim Parasport sind die Paralympics immer ein Ereignis gewesen, wo viele Menschen ins Stadion gekommen sind.

Trüben die strengen Vorschriften auch die Stimmung im Team?

Also, ich glaube, die meisten freuen sich eher, dass sie wieder loslegen dürfen. Natürlich ist auch eine gewisse Anspannung da. Das merkt man bei den Sportlern und bei den Trainern. Ich merke es ja auch an mir selbst: Dieses zusätzliche Jahr war einfach unwahrscheinlich kräftezehrend. Das hätte ich vorher nicht gedacht, aber es ist wirklich so, dass man langsam an sein Limit kommt. Durch die vielen Ungewissheiten in der letzten Zeit wussten wir teilweise bis zwei Wochen vorher nicht, ob wir ins Trainingslager fahren können oder eben nicht. Einmal haben wir uns erst drei Tage vorher entschieden zu fahren. Es war schon extrem, die Entscheidungen so kurzfristig zu treffen – dass muss ja auch finanziert werden.  

Wie haben sie sich gegenseitig und die Sportler denn in diesem nervlich sehr anstrengenden Jahr motiviert und wieder aufgebaut?

Ich bin von Natur ein Optimist und ich glaube, das ist ein bisschen ansteckend. (lächelt) Außerdem lasse ich es mir im Training natürlich nicht anmerken, wenn ich mal einen Durchhänger habe. Aber wahrscheinlich merken die Sportler, die mich gut kennen das trotzdem. Generell schaue ich immer voran, ich bin niemand der zurückblickt – das bringt sowieso nichts.

Finden sie es überhaupt sinnvoll, wenn die Spiele unter Pandemiebedingungen stattfinden oder hätte man sie lieber ganz ausfallen lassen sollen?

Ich habe eine klare Meinung dazu: Ja, ich finde es sinnvoll. Die Sportler haben sich teilweise zehn oder 15 Jahre auf die Spiele vorbereitet und ich würde es tragisch finden, wenn man den Sportlern jetzt die Möglichkeit nehmen würde, zeigen zu können, was in ihnen steckt. Natürlich gibt es auch wichtigere Sachen im Leben als Sport, aber ich denke, mit den jetzt geschaffenen Voraussetzungen, Einschränkungen und Bedingungen können die Spiele stattfinden.

Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie jetzt auf die Spiele?

Also erst mal hoffe ich, dass unsere nominierten Sportler in Tokio Bestleistungen zeigen können. Für welche Platzierung das am Ende reicht, müssen wir abwarten. Natürlich hoffe ich, dass die ein oder andere Medaille dabei herauskommt, wichtiger ist aber, dass wir am Ende des Tages die Leistung erreicht haben, auf die wir hintrainiert haben. Ich wünsche mir, dass sie Paralympics endlich die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Was die Athleten da schaffen, ist Leistungssport. Das bedeutet täglich ein bis zweimal trainieren und das fast sieben Tage in der Woche. Janne Engeleiter hat das einmal ganz treffend formuliert: Sie fährt nicht zu den Paralympics, weil sie behindert ist, sondern weil sie Leistungssport betreibt, gut trainiert und die Norm geschafft hat.

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier.

Elena Deutscher

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