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Sport: Suche nach der alten Zeit

Nach einer zweijährigen Babypause macht Gunda Niemann-Stirnemann wieder das, was sie am besten kann: Eisschnelllaufen

Von Benedikt Voigt

Berlin. Die eigentliche Hauptperson heißt Victoria und wird am kommenden Wochenende zu Hause in Riechheim bleiben müssen. Allerdings nicht allein. „Wir haben jemanden, der bei solchen Gelegenheiten auf sie aufpasst“, sagt Oliver Stirnemann. In die Erfurter Eisschnelllaufhalle will der Manager und Ehemann von Gunda Niemann-Stirnemann das gemeinsame Kind auf keinen Fall mitnehmen. „Da sind immer so viele Leute“, sagt er, „und es ist saukalt.“ Es gibt einfach geeignetere Aufenthaltsorte für ein 17 Monate altes Kind.

Doch ohne Victoria würde es die Aufregung nicht geben, die in diesen Tagen vor der Deutschen Meisterschaft im Eisschnelllaufen in Erfurt entstanden ist. Ohne Victoria wäre Gunda Niemann-Stirnemann nämlich bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City gestartet, ohne Victoria hätte sie nicht eine knapp zweijährige Pause eingelegt. Doch seit dem 24. Mai 2002 ist das Mädchen auf der Welt, und deshalb kommt es nun zum Comeback der dreimaligen Olympiasiegerin Gunda Niemann-Stirnemann. Mit 37 Jahren. „Ich habe null Angst“, sagt die Rückkehrerin, „daran, dass es schief gehen könnte, habe ich überhaupt noch nicht gedacht.“

Überhaupt will man im Hause Niemann-Stirnemann das Interesse an ihrem Comeback nicht so recht verstehen: Mama macht einfach wieder das, was sie immer tat, bevor das Baby kam. „Es ist wie bei jeder Frau“, sagt Oliver Stirnemann, „nach einer Babypause geht sie wieder ihrem alten Beruf nach.“ Das Comeback sieht er als selbstverständlich an, zumal das Kind überraschend gekommen ist. „Der liebe Gott hat es so gewollt“, sagt Oliver Stirnemann. Victoria hat etwas unterbrochen, was noch nicht am Ende angelangt war. Etwas, nach dem sich Gunda Niemann-Stirnemann sehnt. „Ich liebe diese Aufmerksamkeit“, sagt sie, „es ist schön, wieder mittendrin zu sein.“ Finanziell lohnt sich die Rückkehr auf jeden Fall, zwei Sponsoren werden in dieser Saison rund 400000 Euro an die Familie überweisen. Die Frage ist allerdings, ob sich die Rückkehr auch sportlich lohnt.

Eine Konkurrentin glaubt das nicht. „An ihrer Stelle hätte ich nicht wieder angefangen“, sagte Claudia Pechstein, „wenn ich ihre Zeiten höre, brauche ich mir keine Sorgen zu machen.“ Es wirkt wie ein Versuch, den werbewirksamen „Zickenkrieg“, den Pechstein mit ihrer Konkurrentin Anni Friesinger ausgetragen hat, nun auch mit der Grande Dame des deutschen Eisschnelllaufs auszufechten. Doch der Versuch läuft ins Leere. Gunda Niemann-Stirnemann antwortet: „Claudia hat Recht, im Moment braucht sie vor mir wirklich keine Angst zu haben.“

Tatsächlich läuft sie den alten Zeiten noch hinterher. „Ich merke, dass ich nahe dran bin, aber ich habe noch nicht den alten Schritt.“ Eine fünfwöchige Verletzungspause im Sommer warf sie zurück. Von Freitag an will sie sich in Erfurt nur für die Weltcuprennen im November in Hamar, Erfurt und Heerenveen qualifizieren. Zwei Startplätze über 3000 Meter und 5000 Meter sind jeweils noch zu vergeben. „Das ist unser Ziel“, sagt Oliver Stirnemann, „wir brauchen die Rennen, um Tempohärte zu bekommen.“ Er sagt „uns“ und „wir“, als ob er am Freitag in jener Halle, die nach seiner Frau benannt ist, ebenfalls auf dem Eis stehen wird.

Es ist ein gemeinsames Projekt, das momentan auf zwei Jahre angelegt ist. Bis zur Einzelstrecken-Weltmeisterschaft 2005 in Inzell plant die Familie Niemann-Stirnemann die aktive Zeit des weiblichen Teils auf dem Eis. Dann muss immer noch nicht Schluss sein. Auch die Olympischen Spiele 2006 in Turin könnten ein Thema werden. „Fragen Sie nach der WM in Inzell noch einmal“, schlägt Oliver Stirnemann vor, „im Moment kommt diese Frage zu früh.“

Wie die Frage nach dem Karriereende. Während ihrer Babypause arbeitete seine Frau als Eisschnelllauf-Kommentatorin beim ZDF. Das wird sie auch in dieser Saison tun, bei der Mehrkampf-Weltmeisterschaft 2004 in Hamar, an der sie nicht teilnehmen wird. „Das ZDF wollte sie wieder“, sagt ihr Mann, „das zeigt doch, dass man mit ihr zufrieden ist.“ Früher hatte sie direkt in jede Kamera geschaut, die sich auf sie richtete. Inzwischen hat sie sich das ein wenig abgewöhnt. Die Arbeit fürs Fernsehen könnte ein Ziel für die Zeit nach der sportlichen Karriere sein.

Doch diese fängt gerade erst wieder an. „Wir müssen niemandem etwas beweisen“, sagt Oliver Stirnemann, „ein zehnter oder elfter Platz wird uns nicht aus der Ruhe bringen.“ Wenn sich die 19malige Weltmeisterin für die nächsten drei Weltcuprennen qualifiziert, wird Victoria noch öfter ohne ihre Eltern auskommen müssen. „Das wären nur drei verlängerte Wochenenden“, sagt der Vater, „das wäre nicht so wild.“ Der Babysitter aber sollte sich besser bereit halten.

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