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Mann im Zentrum. Mediziner Armin Klümper 1978 in seinem Büro in Freiburg.

© Imago/Heuberger

Systematisches Doping in der Bundesrepublik: Freiburg – das Paradies für Doper

Die Freiburger Doping-Kommission hat sich aufgelöst. Damit bleiben die Machenschaften an der Universität wohl für immer unaufgeklärt. Die Vertuschung hingegen funktionierte bis zuletzt.

Joseph Keul und Armin Klümper – das waren Weltstars in Weiß. Sie entwickelten Freiburg zu einem Paradies für Doper. Freiburg, eine Stadt vom Schwarzwald umschlungen, am äußersten südwestlichen Rand der Bundesrepublik Deutschland – und schön weit weg von lästigen Fragern. Die Medienlandschaft an der Grenze zur Schweiz und zu Frankreich ist überschaubar. Journalisten begegneten den Sportmedizinern ihrer Stadt überwiegend mit Wohlwollen – viele von ihnen legten sich mit ihren körperlichen Malaisen gern selbst auf die Behandlungsbank. Den Journalisten gleich taten es all jene, die sich als nützliche Freunde erweisen konnten, wenn es einmal hart auf hart kam für das sportmedizinische Imperium Freiburg.

Armin Klümper spritzte alles, was sich bewegte

Es kam oft hart auf hart. 1976 zum Beispiel, als die Ärzte auf einem Kongress in Freiburg offen die Freigabe von Anabolika im Leistungssport forderten. Die Starkmacher und Regenerationshelfer waren ohnehin weltweit im Einsatz. Es komme also darauf an, das Ganze in vernünftige Bahnen zu lenken, argumentierte Klümper. Keul hatte die Wirkung der Anabolika damals schon an Gewichthebern erforscht – finanziert mit Mitteln des Bundesinnenministeriums. Klümper richtete in jenem Jahr seine Sportmedizinische Spezialambulanz ein und spritzte alles, was sich bewegte – Leichtathleten, Radfahrer, Ringer und auch Fußballer, wie man seit März 2015 sicher weiß. Der VfB Stuttgart und der SC Freiburg ließen sich von Klümper vor mehr als drei Jahrzehnten mit Anabolika beliefern – und bezahlten auch gleich die Rechnungen für die Medikamente, die eigentlich für Schwerkranke entwickelt worden waren. Entdeckt hat das die Untersuchungskommission der italienischen Kriminologin Letizia Paoli. Sie erforscht, wie sich das sportmedizinische Konglomerat im Südwesten so ungehindert entwickeln konnte und wer seine Hand schützend über Keul, Klümper und Co. hielt.

Auch Bundestrainer Joachim Löw offenbarte am Samstag im „Aktuellen Sportstudio“, dass er Patient bei Klümper war. Mit Doping habe er aber nichts zu tun gehabt. „Natürlich war ich auch das ein oder andere Mal da. Mein Vertrauen in diesen Berufsstand Arzt war oder ist immens groß. Mit 18 oder 19 hätte ich mich natürlich nicht getraut nachzufragen und ihm zu sagen, ich möchte das vielleicht im Labor prüfen lassen, was er mir gibt“, sagte Löw. Ärztliche Hilfe habe er nur in Anspruch genommen, wenn er „verletzt war“.

Wegen Rezeptbetrugs wurde Klümper zu einer Geldstrafe verurteilt

Aber da gab es jene prominenten Patienten, für die immer ein Plätzchen frei war im Terminkalender der Ärzte, die im Falle des Falles einen Schutzschirm entfalten konnten. Wie das funktionierte, schilderte Professor Max Schaiger, damals Chef der Chirurgischen Universitätsklinik in Freiburg, 1988 in einem Prozess. Als Schaiger den allgewaltigen Klümper einmal zurechtwies wegen dessen Eigenmächtigkeiten, stand tags darauf sein Telefon nicht mehr still: „Fünf bis sechs bekannte Persönlichkeiten riefen mich an und fragten, warum ich Klümpers Arbeit behindern würde.“

Freiburg war ein Minenfeld für jeden, der versuchte, sich dem großen Geheimnis der Stadt zu nähern. Als eine Sonderkommission des Landeskriminalamts Baden-Württemberg im Jahr 1984 wegen Rezeptbetrugs gegen Klümper ermitteln wollte, bekamen die LKA-Fahnder es zu tun mit: Landesjustizminister Horst Eyrich (CDU), Klümper-Patient; Landeskultusminister und Präsident des VfB Stuttgart Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU), auch Klümper-Patient; und Freiburger Staatsanwälten, die Klümper-Patienten waren. So ist es kein Wunder, dass sich die Ermittlungen gegen den Arzt zäh über vier Jahre hinweg erstreckten, dass drei der vier Verfahren abgebogen wurden, und dass auch das vierte in aller Stille eingestellt werden sollte – was nur an einer Intervention des Generalstaatsanwalts in Karlsruhe scheiterte. Am Ende gelang es tatsächlich, Klümper den Prozess zu machen. Wegen Rezeptbetrugs wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt, bei deren Begleichung er freilich erneut auf die Unterstützung seiner Freunde und Patienten hoffen durfte.

Immer wieder tauchen die Namen prominenter CDU-Politiker auf

Die Kommission der Mafia-Expertin Paoli hat den leitenden Ermittler der 1980er Jahre mittlerweile befragen können. Seither weiß sie Bescheid „über die Rolle damaliger CDU-Landesregierungen, CDU-Minister, Angehöriger der Freiburger Staatsanwaltschaft so wie der Universitäts- und Klinikleitung“ bei dem Versuch, den Fahndern das Leben so schwer wie möglich zu machen.

Immer wieder tauchen die Namen prominenter CDU-Politiker auf bei der Frage, warum Keul, Klümper und ihre Assistenten ungehindert wirken durften. Der Name Wolfgang Schäuble zum Beispiel. Bei einer Anhörung im Bundestag empfahl Schäuble 1977, damals sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und heute Bundesfinanzminister, den Einsatz von Medikamenten, wenn sie denn im Leistungssport unverzichtbar seien, fürsorglich von Sportmedizinern steuern zu lassen. Genau so geschah es dann auch in Freiburg. Allerdings hinter den Kulissen. Denn die Sportmediziner waren 1976 mit ihrer Forderung, die Anabolika freizugeben für den Spitzensport, auf einen Sturm der Entrüstung gestoßen. Also verboten die damaligen Organisationen des Sports, Deutscher Sportbund und Nationales Olympisches Komitee 1977 den Einsatz von Medikamenten. Offiziell war der westdeutsche Sport nun sauber. Aber nur offiziell. „In Freiburg wurde von da an eben heimlich weitergemacht“, wie ein damals führender Sportmediziner aus dem Breisgau berichtet.

Dass es ganz so heimlich doch nicht zuging, dafür sorgte eine Heidelberger Aufklärergruppe um Werner Franke, Gerhard Treutlein und Brigitte Berendonk. Die drei Anti-Doping-Kämpfer wurden nicht müde, das Geschehen in Freiburg anzuprangern: 1977 im „Aktuellen Sportstudio“. 1984, als Keul und Klümper sich einen öffentlichen Streit lieferten und gegenseitig vorwarfen, Athleten Anabolika zu verabreichen. 1987 nach dem Tod der Siebenkämpferin Birgit Dressel, einer Klümper-Patientin. Und 1991 wieder, als die drei ihr Buch „Doping-Dokumente“ veröffentlichten und konstatierten, die Hauptquelle der Anabolika für den westdeutschen Sport sprudele in Freiburg.

Der Sportbetrug in Freiburg lässt sich lückenlos nachweisen

Doch Franke, Treutlein und Berendonk konnten sagen und schreiben, was sie wollten. Die Freiburger Sportmedizin betreute vor der Wiedervereinigung bis zu 90 Prozent der westdeutschen Leistungssportler. Sie war einfach zu wichtig als Athleten- und Medaillenschmiede der BRD. Vor allem Keul, bis zu seinem Tod im Jahr 2000 der führende Olympiaarzt Westdeutschlands, konnte sich im Glanz der Unangreifbarkeit sonnen. „Keul wusste, dass Staatsanwälte bei ihm gar nicht erst reinkamen“, erklärt Franke. Stattdessen wurde der Doyen der Sportmedizin, Abteilungschef an der Freiburger Universitätsklinik, mit Ehrungen überhäuft. 1990 bekam er das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse verliehen. Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) hatte Keul dafür vorgeschlagen. Kultusminister Mayer-Vorfelder, später Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, überreichte Keul die Auszeichnung feierlich. So genoss Keul höchstes öffentliches Ansehen – während tief versteckt im Bauch seiner Abteilung in den 1990er Jahren die Assistenzärzte Andreas Schmid und Lothar Heinrich damit begannen, das Radsportteam Telekom/T-Mobile nach allen Regeln ihrer zweifelhaften Kunst durchzudopen. Ohne Wissen des damals staatlichen Sponsors Telekom? Das Unternehmen behauptet das.

Der Sportbetrug mit Medikamenten in Freiburg lässt sich mittlerweile lückenlos nachweisen von 1970 bis 2007. Bis zu jenem Augenblick, in dem der „Spiegel“ das systematische Doping im einstigen deutschen Vorzeigerennstall um Jan Ullrich und Co. enthüllte. Seither ist nichts mehr so, wie es einmal war im Breisgau. Die Universität sah sich unter dem massiven öffentlichen Druck des Jahres 2007 gezwungen, Untersuchungskommissionen einzurichten – darunter jene, die seit 2010 von Letizia Paoli geführt wird. Doch diese Doping-Kommission hat ihre Arbeit zum 29. Februar 2016 beendet - offenbar, weil sie massiv von der Universitätsleitung in Freiburg bei der Aufklärungsarbeit behindert worden sein soll.

Hinweis der Redaktion: Der vorliegende Text stammt aus dem März 2015, er wurde nach dem Rücktritt der Doping-Kommission ein Jahr später um die entsprechende Passage im letzten Satz ergänzt.

Andreas Strepenick

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