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Tagesspiegel-Wahl: Bester Außenbahnspieler rechts: Allan Simonsen, der kleine Riese

Unsere Jury hat Allan Simonsen zum besten rechten Außenbahnspieler der Bundesliga-Geschichte gewählt. Der nur 1,68 Meter kleine Däne wurde erst belächelt und entwickelte sich dann zu einem der Größten, der je in der Bundesliga gespielt hat.

Günter Netzer und Hennes Weisweiler haben in ihrer Zeit bei Borussia Mönchengladbach manchen Kampf miteinander ausgetragen. Bei der Beurteilung von Allan Simonsen aber sind sie sich ausnahmsweise einig gewesen. „Dürfen bei uns auch Schüler mittrainieren?“, fragt Borussias Kapitän Netzer seinen Trainer, als er den 1,68 Meter großen und nur 57 Kilogramm schweren Dänen zum ersten Mal auf dem Trainingsplatz sieht. „Den pusten sie doch in der Bundesliga um.“ Auch Weisweiler, der Simonsen bei einem Jugendturnier entdeckt und für 200 000 Mark von Vejle BK verpflichtet hat, verliert zunehmend den Glauben. Irgendwann ist er sich sicher: „Das wird nie einer.“ Simonsen wird zum Verkauf freigegeben, und nur weil niemand die Ablöse, die den Gladbacher vorschwebt, zahlen will, bleibt Simonsen bei Borussia. Für den Klub wird sich das als ungeahnter Glücksfall herausstellen. Der kleine Däne ist einer der Größten, die je für den Verein gespielt haben. 1977 wird Allan Simonsen – vor Kevin Keegan und Michel Platini – zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Als erst dritter Spieler aus der Bundesliga und bis heute einziger Däne.

Die Saison 1976/77 ist Simonsens beste in Mönchengladbach, allein die Krönung bleibt ihm im Finale um den Europapokal der Landesmeister versagt. Dass die Gladbacher 1:3 gegen den FC Liverpool verlieren, liegt aber ganz sicher nicht an Simonsen. Als er am Tag vor dem Finale in Rom das Abschlusstraining wegen eines Hexenschusses abbrechen muss, ist Berti Vogts am Boden zerstört: „Jetzt ist alles aus. Ohne Allan haben wir keine Chance.“ Am nächsten Abend steht Simonsen dann doch auf dem Platz. Er erzielt nicht nur mit einem feinen Linksschuss den Ausgleich zum 1:1, der Rechtsaußen zeigt auch sonst eine so starke Leistung, dass der „Kicker“ schreibt: „Der Kleinste war wieder einmal der Größte im Mönchengladbacher Team. Simonsen lehrte seine ihm körperlich weit überlegenen Gegenspieler das Fürchten.“

Mit 94 Punkten setzte sich Allan Simonsen in unserer Experten-Jury knapp vor Jürgen Grabowski und Pierre Littbarski durch, die jeweils 86 Punkte erhielten.
Mit 94 Punkten setzte sich Allan Simonsen in unserer Experten-Jury knapp vor Jürgen Grabowski und Pierre Littbarski durch, die jeweils 86 Punkte erhielten.

© Tsp

Doch ein Simonsen allein reicht gegen Liverpool nicht. Der Deutsche Meister verliert völlig verdient, und so bleibt es für Simonsen, den „Spatz aus Vejle“, bei zwei internationalen Titeln mit Mönchengladbach. An beiden ist er maßgeblich beteiligt gewesen. 1975 erzielt er im Uefa- Cup-Finale zwei Tore zum 5:1-Sieg bei Twente Enschede. Mehr noch aber ist sein Name mit dem zweiten Erfolg im selben Wettbewerb verbunden. Simonsens Elfmetertor zum 1:0-Endstand im Final- Rückspiel gegen Roter Stern Belgrad ist so etwas wie sein Abschiedsgeschenk, bevor er im Sommer 1979 für 1,8 Millionen Mark zum FC Barcelona wechselt.

Bei unseren Lesern setzte sich dagegen die BVB-Legende Reinhard "Stan" Libuda durch.
Bei unseren Lesern setzte sich dagegen die BVB-Legende Reinhard "Stan" Libuda durch.

© Tsp

Auch mit seinem neuen Klub feiert Simonsen große Erfolge. In seiner ersten Saison ist er mit zehn Toren bester Schütze der Mannschaft, im Jahr darauf gewinnt er mit den Katalanen die Copa del Rey, und 1982 wird er mit Barça Europapokalsieger der Pokalsieger. Beim 2:1- Erfolg im Finale gegen Standard Lüttich trifft Simonsen zum 1:1. Damit ist der Däne der einzige Spieler, der in den Endspielen aller drei Europapokalwettbewerbe mindestens ein Tor erzielt hat. 1983 verlässt Simonsen Barcelona, nachdem der Klub Diego Maradona als dritten Ausländer verpflichtet hat. Angebote von Real Madrid und Tottenham Hotspur schlägt er aus, weil er sich nach etwas mehr Ruhe sehnt. Simonsen wechselt zum englischen Zweitligisten Charlton Athletic – und belegt im selben Jahr bei der Wahl zu Europas Fußballer des Jahres noch einmal Platz drei.

Eine solche Karriere hat Simonsen niemand zugetraut, als er im November 1972 mit 19 Jahren nach Deutschland wechselt, obwohl er in seiner Heimat bereits Fußballer des Jahres war. In der Bundesliga spielt Simonsen erstmals im Januar 1973. Gegen den Hamburger SV wird er beim Stand von 5:1 eingewechselt, bleibenden Eindruck hinterlässt er nicht. „Vor lauter Eifer war er zu hastig, als dass man mehr über ihn sagen könnte“, schreibt die „Rheinische Post“.

In Mönchengladbach schwören sie in dieser Zeit bereits auf dänische Fußballer. „Dänen sind gut und billig“, sagt Trainer Weisweiler. Vor Simonsen haben schon Ulrik Le Fevre und Henning Jensen für den Klub gespielt. Bis heute folgten ihnen 13 weitere Fußballer aus Dänemark. Aus keinem Land haben die Gladbacher mehr Spieler verpflichtet. „Die Dänen hatten einen wunderbaren Charakter und waren einfach auch super Spieler“, sagt Jupp Heynckes. Das stellen mit der Zeit auch andere Vereine fest. Brian Laudrup (Uerdingen, Bayern), Fleming Poulsen (Köln, Dortmund), Ebbe Sand (Schalke), Morten Olsen (Köln) und Sören Lerby (Bayern) haben ebenso zum guten Ruf dänischer Fußballer in Deutschland beigetragen.

Vor allem aber Allan Simonsen. Dabei ist ihm die Umstellung auf Deutschland und die Bundesliga denkbar schwergefallen. Erst mit der Zeit lernt er, dass Fußball in Deutschland „als todernste Sache aufgefasst“ wird. In seiner neuen Mannschaft muss sich der Lagerexpedient ganz weit hinten anstellen. Vor dem ersten Training hat er sich in der Kabine aus Versehen auf den Platz von Günter Netzer gesetzt – und wird von Borussias Kapitän mit einer flüchtigen Handbewegung fortgescheucht. Einmal muss Simonsen sogar Netzers Fußballschuhe putzen. „Ihm fehlte das Selbstvertrauen“, erinnert sich Gladbachs damaliger Torhüter Wolfgang Kleff an Simonsens Anfangszeit. „Manchmal wollte er im Training jemanden ausspielen, ist ausgerutscht und umgefallen. Wir sind schon alle verzweifelt.“ Simonsen wollte eigentlich bereits nach nur einer Woche aufgeben und in seine Heimat zurückkehren. Das Heimweh plagt ihn, und auch mit dem harten Training kommt er nicht zurecht: „Bei den ersten Waldläufen hätte ich fast ein Fahrrad gebraucht, um dranzubleiben.“ Vor allem aber leidet er unter den Attacken von Berti Vogts im Training: „Das war mein härtester und bester Gegner. Der hat nie jemanden geschont, auch die eigenen Leute nicht.“

Die harte Schule soll sich für Simonsen bezahlt machen. „Auf einmal war es so weit“, sagt Kleff. Nachdem er in anderthalb Jahren gerade 17 Bundesligaspiele bestritten hat, ist Simonsen ab der Saison 1974/75 plötzlich Stammspieler. Zwischen Mai 1974 und Februar 1978 steht er 130 Mal hintereinander in der Startelf; in 246 Pflichtspielen erzielt er 114 Tore für Gladbach. Der Däne ist prädestiniert für den Konterfußball, den die Mannschaft meisterhaft beherrscht. „Mein Spiel ist es, aus dem Mittelfeld blitzschnell nach vorne zu stoßen“, sagt er. Simonsen ist schnell, trickreich, beidfüßig, dazu ein sicherer Elfmeterschütze, und trotz seiner geringen Körpergröße erzielt er sogar einige Kopfballtore. Seine Gegenspieler stellt Simonsen immer wieder vor unlösbare Probleme. Uwe Kliemann, der lange Vorstopper von Hertha BSC, hat es einmal so ausgedrückt: „Mit dem ist das so, als habe man eine Stechmücke unter der Fußsohle.“

Der Beitrag beruht auf einem Text aus dem Buch unseres Autors „Gladbachs Giganten“, das im vergangenen Jahr im Verlag Delius & Klasing erschienen ist.

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