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Sport: Tanz den Gegner weich

Neuseeland im Ausnahmezustand: Bei der Rugby-WM in Australien soll das Team wieder den Titel holen

Wellington. Neulich muss sich Marco Bode vorgekommen sein wie ein Pausenclown. Wynton Rufer hatte seinen Freund und Kollegen aus früheren Bundesligazeiten bei Werder Bremen nach Neuseeland eingeladen. Sie standen zusammen in Auckland auf einer Bühne, und Bode sollte etwas über die Fußball-Weltmeisterschaft erzählen. Fünfzig Menschen standen vor dem Podium. Aber anstatt einem Weltmeisterschaftszweiten zuzuhören, tranken sie lieber Bier und lachten miteinander. Das lag nicht an Bodes Englisch, es lag nicht an seiner Persönlichkeit – es lag an seiner Sportart. Bode selbst ist bescheiden und klug genug, um einzusehen, dass es in Neuseeland wichtigere Dinge gibt als Fußball. Am wichtigsten ist Rugby.

In Neuseeland herrscht der Ausnahmezustand. Denn es ist Rugby-Weltmeisterschaft in Australien. Die „All Blacks“, wie die schwarz gekleideten Spieler Neuseelands genannt werden, sollen nach 1987 zum zweiten Mal den Webb Ellis Cup gewinnen. Das Team von Coach John Mitchell ist Favorit. In den ersten Spielen haben sie die Rugby-Zwerge Italien, Kanada und Tonga mühelos besiegt. „Wir lieben unsere All Blacks. Ihr seid die Größten! Ihr ward immer die Größten!“ schrieb die 72-jährige Maggy McGuire im „New Zealand Herald“ neben rund 500 anderen Grüßen an die dreißig Spieler. Die Begeisterung für die „All Blacks“ grenzt schon an religiösen Eifer.

Dazu tragen auch Medien und Wirtschaft bei: TV One überträgt fast alle Spiele. Das sind oft sieben Stunden Rugby am Stück. Auch Kinos zeigen oft nur Rugby. Der „Herald“ bringt täglich mindestens vier Sportseiten – und nur zwei für die Weltpolitik. Es gibt Pfefferminzplätzchen und Kreditkarten in schwarz. An den Hochhäusern Aucklands hängen die Konterfeis von Stars wie Tana Umaga oder Mannschaftskapitän Reuben Thorne.

Der Sportartikelkonzern Adidas darf sich derweil auf gutes Geld freuen. Denn seit 1999 ist er Hauptsponsor der „All Blacks“. Zwar tauchte sich der Inselstaat im März bereits in euphorisches Schwarz – für ihre America’s-Cup-Segler. Aber das Spiel mit dem Ei hat eine andere Qualität. Abgesehen von der Landwirtschaft hat nichts in Neuseeland eine so lange Tradition wie Rugby. Einst soll Rugby dem feinen Sport der britischen Privatschulen zur Bodenhaftung verholfen haben. „Wir brauchten keine Fitnessräume. Unser Training fand auf dem Feld statt. Ganz Neuseeland ist ein Rugby-Feld“, sagt Andy Dalton, Farmer und legendärer Hooker (Hakler) zwischen 1977 und 1985. Seit der Professionalisierung des Rugby 1995 wird allerdings nur noch in modernen Fitness-Räumen trainiert. Der Dachverband ist eines der führenden Unternehmen im Land. Mehr als 120 000 der vier Millionen Kiwis spielen in den 27 Verbänden.

In Palmerston North, 100 Kilometer vor der Hauptstadt Wellington, liegt das Herz des neuseeländischen Rugby. Das Rugby-Museum ist wahrscheinlich der einzige Ort Neuseelands, an dem die Erinnerung an die Vergangenheit wirklich zählt. Viele der 1000 All Blacks aus 100 Jahren erhalten hier ein ehrendes Andenken. Lloyd Jones hat hier sehr viel Zeit verbracht, auf der Suche nach dem, was Deutsche das „Wunder von Bern“ nennen würden. Er fand es, und er schrieb den Roman „The Book of Fame“, die Geschichte der ersten „All Blacks“, die 1905 auf einem Dampfer nach England reisten und dort aus den Mutterländern des Rugby in 27 Siegen kleinlaute Verlierer machten. „Das hat mich als Schriftsteller interessiert. Es gibt hier nichts, das eine ähnlich starke Kraft für unsere Identität hat“, sagt Jones. Seit dem preisgekrönten Buch ist der Mythos der unschlagbaren „All Blacks“ noch präsenter. Mit dem Wunder von 1905 wurde Neuseeland als Nation geboren. Seitdem sind die Spieler bodenständige, bescheidene Menschen, die vor allem zwei Dinge tun – Felder umpflügen und gegen England gewinnen.

Gegen die Engländer haben die Neuseeländer in den vergangenen zwölf Monaten allerdings zwei Mal verloren. Dennoch liegt die Siegquote seit 1996 bei rund 76 Prozent. „Der schnellste Weg zum Ruhm ist, England zu schlagen“, hat ein Journalist mal geschrieben. Wer im Moment nicht an den Gewinn der Weltmeisterschaft glaubt, der wird in Neuseeland schief angesehen. An ein Desaster wie 1999, als Neuseeland im Halbfinale gegen Frankreich verlor, will niemand denken. Shane, ein Landarbeiter aus Martinborough sagt: „Dann geht hier die Welt unter.“

Der Stamm Neuseeland ist nirgendwo sonst so geeint wie im Rugby. Die großen, kräftigen Maori hatten das Spiel schnell für sich entdeckt und waren nicht wie sonst in der Gesellschaft ausgegrenzt, sondern ihr fester Bestandteil. „Wenn ein Krieger stirbt, dann erwächst ein nächster! Wenn ein Silberfarn stirbt, dann erwächst ein nächster.“ So lautet ihr Sprichwort über den Ursprung des Spiels. Heute sind auch Spieler aus Tonga, von den Fidschi-Inseln und ehemalige Briten bei den „Blacks“. Sie alle tanzen den Haka. Der Maori-Tanz eint den Stamm und macht dem Gegner weiche Knie. „Ka Mate! Ka Mate! Ka Ora! Ka Ora!“. Das heißt übersetzt: „Das ist der Tod! Das ist der Tod! Das ist das Leben! Das ist das Leben!“ Dazu klopfen sich die Muskelmänner auf die feisten Oberschenkel. Die Sehnen sind gespannt, die Augen rollen. Der Schweiß tropft. Die Zunge ist rausgestreckt. Niemand fragt einen „All Black“, was er von Fußball hält.

Ingo Petz

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