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Sport: Teamgeist flattert

Warum es bei der WM so viele Weitschüsse gibt

Berlin - Die Stürmer sind begeistert. „Der Ball fliegt gut, deshalb lohnen sich Schüsse“, sagt etwa der Niederländer Arjen Robben. Er hatte im Vorrundenspiel gegen Serbien-Montenegro nicht nur zum 1:0-Sieg getroffen, sondern auch mit zahlreichen Fernschüssen begeistert. Zahlreiche Schusschancen und tolle Treffer aus der Distanz prägen diese Weltmeisterschaft. Bereits im Eröffnungsspiel traf Nationalspieler Torsten Frings sehenswert aus 20 Metern zum 4:2-Sieg gegen Costa Rica, der Engländer Steven Gerrard stellte aus 18 Metern den 2:0-Erfolg gegen Trinidad & Tobago sicher.

Die Torhüter sind dagegen nicht begeistert. „Der Ball ist glitschig, wenn er nass wird. Und er flattert“, kritisierte der deutsche Nationaltorhüter Jens Lehmann. Als „Dreckskugel“ beschimpfte ihn gar HSV-Keeper Sascha Kirschstein, als er den Ball beim DFB-Pokal-Achtelfinale erstmals in die Hände bekam. Ganz vom Geschäftlichen lässt sich manche Äußerung allerdings wohl nicht trennen. „Der Adidas-Ball ist eher eine Plastikkugel“, sagte Jens Lehmann – er steht beim Konkurrenten Nike unter Vertrag.

Begeisterung und heftige Ablehnung – wohl noch nie bei einer Fußball-Weltmeisterschaft hat ein Ball so polarisiert wie diesmal. „Es handelt sich um den rundesten, präzisesten und beständigsten Ball aller Zeiten“, verkündet Adidas-Sprecher Oliver Brüggen. Kritik tut er als „Einzelmeinungen“ ab, die man aber ernst nehme.

Warum erregt „Teamgeist“, so der offizielle Name des WM-Balles, die Gemüter der Spieler so sehr? „Der neue Ball hat eine wesentlich glattere Außenhaut“, sagt Brüggen – und kann sich dabei auch auf unabhängige Testreihen berufen. Demnach ist der neue Ball tatsächlich runder als bisherige Bälle. Er ist aus 14 zungenförmigen Teilstücken zusammengesetzt und hat deshalb weniger Kanten. Ein klassischer WM-Ball bestand aus zwölf Fünf- und 20 Sechsecken, die zudem meist vernäht wurden. Der „Teamgeist“ ist dagegen verklebt. Beides sorgt dafür, dass der Ball nur weniger als ein Prozent von einer idealen Kugel abweicht. Das ist vor allem für die Aerodynamik wichtig, die entscheidend ist für die Flugbahn des Spielgeräts.

Das bestätigen auch Wissenschaftler der Universität Sheffield, die den Ball mehreren Strömungstests unterzogen. Form, Oberfläche und die anfängliche Ausrichtung des Balls – wird er geradeaus oder angewinkelt geschossen – sind dabei die entscheidenden Parameter.

Bälle, die runder sind und eine gleichförmige Nahtgeometrie haben, weisen eine stabilere Flugbahn auf – wenn sie mit wenig oder kaum Effet geschossen werden. Bei einem sich langsam drehenden Ball können die seitlich wirkenden Kräfte dagegen schwanken, so dass sich eine flatternde Flugbahn ergibt – die so genannte Magnuskraft, das Geheimnis jeder Bananenflanke oder eines perfekten Freistoßtores. Genau dahinter steckt offenbar das Kernmissverständnis, das den „Teamgeist“ umgibt: Nicht der neue Ball flattert mehr – er lässt sich nur besser flattern, weil er berechenbarer ist. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Stiftung Warentest, die die Schusseigenschaften des Balles einer genauen Prüfung unterzog. „Der Teamgeist überzeugt durch seine gute Treffgenauigkeit“, resümierten die Tester.

Dem Fußball-Weltverband Fifa ist die Debatte ziemlich egal, auch wenn die sehenswerten, fernsehgerechten Tore dem Veranstalter gefallen dürften. „Für uns zählt nur, dass der Ball qualitativ hochwertig ist und den Regeln entspricht.“ Im Reglement dieser WM ist unter Artikel 19 festgeschrieben, dass der Spielball die Anforderung „Fifa approved“ zu erfüllen habe. Demnach muss der Umfang mindestens 68,5 Zentimeter betragen, die Höchstgrenze liegt bei 69,5 Zentimetern. Der „Teamgeist“ liegt mit 69 Zentimetern genau in der Mitte. Immerhin darüber gibt es keinen Streit.

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