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© AFP

Tennis: Gewicht und Zuversicht

Am Ende scheiterte Kiefer an der fehlenden Matchpraxis. Obwohl er das Regendrama gegen Djokovic verliert, fühlt sich Nicolas Kiefer beim Comeback als Gewinner.

Gut ein Jahrzehnt ist es her, dass Andre Agassi und Pete Sampras in einem Werbespot die Geschichte eines schier epischen Ballwechsels auf amüsante Weise nacherzählten. Den Tennis-Titanen wuchsen dabei lange Bärte, der Platz wucherte mit Moos zu, die Jahreszeiten wechselten, doch der Punkt war immer noch nicht beendet. Ein wenig muss sich in den letzten Tagen auch Nicolas Kiefer in Wimbledon so gefühlt haben, wie jemand, der in einer Zeitschleife feststeckt oder die Hauptrolle in einer schlechten Endlos-Fernsehserie spielen muss. Seit Montag kämpfte er in seinem Drittrundenmatch mit dem Serben Novak Djokovic, dem penetranten britischen Schauerwetter und der zermürbenden Warterei während der Regenpausen. „Ich habe in den drei Tagen bestimmt vier Kilo zugenommen“, erzählte Kiefer von seinen Stunden in den Katakomben. „Ich habe immer wieder Sandwiches und Bananen gegessen. Zwischendurch habe ich gewürfelt, Fußball gespielt und versucht, locker zu bleiben.“ Erst am Mittwochmittag war der Marathon-Albtraum zum Wohle von Kiefers Linie beendet, allerdings endete mit ihm auch Kiefers Traum vom Erreichen des Achtelfinales. Er unterlag Djokovic mit 6:7, 7:6, 3:6 und 6:7.

Der 20-jährige Serbe bekreuzigte sich nach dem verwandelten Matchball und richtete seinen Blick gen Himmel. Er schien nicht nur froh darüber, dass ihm die vierte Regenunterbrechung erspart blieb, sondern auch darüber, überhaupt als Sieger vom Platz zu gehen. Denn Kiefer hatte dem Shootingstar über weite Phasen ein Duell auf Augenhöhe geboten und hätte es durchaus für sich entscheiden können. In den ersten beiden Runden hatte Kiefer besonders durch seinen Willen und seine Risikobereitschaft beeindruckt, am Mittwoch wirkte er jedoch zu passiv und ein wenig verunsichert, was ihn schnell den dritten Satz und trotz erneuten Aufbäumens auch das Match kostete: „Ich weiß auch nicht, was mit mir los war. Ich hatte irgendwie nicht diese Geilheit wie gegen Santoro und Volandri. Ich habe versucht, mich über das Kämpfen reinzuspielen, aber das funktionierte nicht richtig“, erzählte Kiefer. Nur ein paar enge Punkte seien es gewesen, die das Match zu Gunsten von Djokovic entschieden hätten.

Kiefer hatte die Partie gegen die Nummer fünf der Welt im Vorfeld als Test ausgegeben, um zu sehen, wo er nach der einjährigen Zwangspause tatsächlich steht. Doch eine klare Antwort brachte ihm selbst das Match nicht ein: „Ich weiß es nicht, denn ich habe nicht so gespielt, wie ich es kann. Aber es ist ein tolles Gefühl zu wissen, dass ich auch ohne Matchpraxis gut mithalten kann.“ Enttäuscht sei er dennoch und ärgere sich „tierisch“, denn er habe sich trotz der schwierigen Voraussetzungen mehr gegen Djokovic ausgerechnet. Wirklich betrübt wirkte Kiefer jedoch nicht, als er das sagte. Es scheint nicht nur die Vorfreude auf seinen 30. Geburtstag zu sein, den er am Donnerstag gerne in Wimbledon gefeiert hätte.

Es ist eine tiefe Zufriedenheit, die er ausstrahlt, denn die bangen Monate der Ungewissheit sind für ihn vorüber. Kiefer hat bewiesen, dass er immer noch in der Lage ist, den Topspielern der Branche Paroli zu bieten und kann seine bescheidenen Ziele nun Schritt für Schritt nach oben korrigieren. Die schwere Zeit der Verletzungspause hat ihn ruhiger werden lassen, ihm aber gleichzeitig eine neue Sicht auf seinen Beruf und die wenige Zeit, die ihm zur Ausübung noch verbleibt, gegeben. Er wird sie nutzen, so viel hat sein Auftritt in Wimbledon gezeigt, auch in den kommenden Wochen, wenn er bei den Vorbereitungsturnieren auf die US Open antreten wird: „Der Tag danach ist der Tag davor“, sagt Kiefer. Der Kämpfer in ihm hat bereits wieder die Oberhand gewonnen.

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