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Schlägt sich immer besser. Stanislas Wawrinka.

© dpa

Tennis: Stanislas Wawrinka emanzipiert sich

Der Schweizer Stanislas Wawrinka emanzipiert sich von Roger Federer. Weil Federer so erfolgreich war, gingen Wawrinkas guten Leistungen in der Schweiz meist unter. Doch das ändert sich nun.

Stanislas Wawrinka schaute in die Menge erwartungsvoller Gesichter und in dutzende Kameraobjektive. Oben auf dem Podium hatte sich der scheue Schweizer noch nie wohl gefühlt, doch dieses Mal lächelte er sogar. Mit seinen 28 Jahren hatte sich Wawrinka zum ersten Mal für die World Tour Finals, die inoffizielle WM der besten acht Tennisprofis, qualifiziert und gleich sein erstes Gruppenspiel gegen Tomas Berdych gewonnen. Am Mittwoch musste er sich allerdings denkbar knapp Rafael Nadal 6:7 (5:7), 6:7 (6:8) geschlagen geben, der damit als erster das Halbfinale erreichte und bis zum Jahresende Weltranglistenerster bleibt.

Dabei feuerten 17.000 Zuschauer Wawrinka unter dem Kuppeldach des Londoner Millennium Domes an, etliche von ihnen aus der Schweiz mitsamt rot-weißen Perücken und lustigen Verkleidungen im landestypischen Stil. „Sie wollten Roger sehen, aber bekamen stattdessen mich“, scherzte Wawrinka, und inzwischen kann er sein Schattendasein, das er seit Jahren neben Roger Federer fristet, mit Humor sehen. Er habe sich damit abgefunden, dass er „nie so gut wie Roger “ sein werde. Dass Wawrinka nie 17 Grand-Slam-Titel gewinnen und niemals an Federers Heldenstatus in der Schweiz wird rütteln können.

Immer war Wawrinka bloß „der andere Schweizer“, egal, wie gut er spielte. Er blieb eine Randnotiz. Doch in diesem Jahr hat sich der 28-Jährige plötzlich freigespielt. Denn während Federer nach seiner Formkrise viel Häme in der Heimat einstecken musste, wurde Wawrinkas stärkste Saison seiner Karriere endlich wahrgenommen. Nach dieser Anerkennung hatte er sich immer gesehnt.

„Ich bin enorm stolz, dass ich hier dabei bin“, sagte Wawrinka. Als Nummer acht der Welt reiste er nach London, so hoch rangierte er nie zuvor, obwohl er vor fünf Jahren schon einmal kurz in den Top Ten stand. Anderswo hätte man ihn gefeiert, doch in der Schweiz war das neben Federers Rekorden nur Mittelmaß.

Auch ist der introvertierte Wawrinka eben nicht so charismatisch wie Federer. Und dass der Lausanner nur Französisch und trotz seines deutschen Vaters polnischer Abstammung kein Deutsch spricht, verstimmte die Westschweizer Bevölkerung von jeher. „Ich lerne jetzt Deutsch“, versprach Wawrinka, dessen Vita ungewöhnlicher ist, als bei anderen Tennisspielern. Seine Eltern führen bei Lausanne gemeinsam mit behinderten Menschen einen anthroposophischen Bauernhof, schickten ihn auf die Waldorfschule. Sie erzogen ihn zu Bescheidenheit. Doch als Tennisprofi fehlte Wawrinka das rechte Selbstvertrauen, Kritiker monierten: Er ist zu nett. „Mir fehlt ganz sicher nicht der Killerinstinkt“, hatte er sich seinerzeit gewehrt, „ich zweifle nur zu oft an meinen Fähigkeiten und verliere darum Matches.“

Dass die Zweifel beseitigt sind und er aufgeblüht ist, verdankt er der Zusammenarbeit mit Trainer Magnus Norman. Mit dem schwedischen Ex-Profi schaffte Wawrinka den Sprung vom oft zu schwankenden Spieler in die Elite. „Stan muss sich an den Allerbesten orientieren“, sagt Norman, „Djokovic, Federer und Nadal stehen auch nicht nur des Glücks oder des Talents wegen ganz oben.“

Norman passte Wawrinkas Training, den Spielplan, die Fitnessarbeit und die Ernährung seinem Konzept an und sprach mit ihm viel über Mentalität und Selbstvertrauen. Er fand Gehör bei Wawrinka, der im Halbfinale der US Open in einem furiosen Fünfsatzkrimi Djokovic noch unterlag. Es war jenes Match, das aller Welt zeigte, welcher Kampfgeist, welche Qualität in ihm steckt und dass er es mit jedem aufnehmen kann. Schüchtern war gestern. Als „Stan the Man“ wird er seither gefeiert, zierte statt Federer die Titelseiten. Man widmete ihm sogar eine Comicfigur: Iron Stan. Nun hat so ein kleines Land wie die Schweiz auf einmal zwei Tennis-Superhelden.

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