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Tennis-Star Andrea Petkovic: Klugheit beim Tennis? - "Das ist eher hinderlich"

Andrea Petkovic trainiert ab und an mit Steffi Graf und staunt dann, wie nett die ist. Im Interview mit dem Tagesspiegel erzählt sie, warum Tennis süchtig macht und sie schwere Bücher um die Welt schleppt.

Frau Petkovic, Sie gelten als intelligenteste Spitzenspielerin der Welt und ...

... tja, da habe ich mir ein gutes Image aufgebaut.

Also bitte: Sie haben eine Klasse übersprungen und einen Abitur-Schnitt von 1,2. Sie sprechen Französisch, Englisch, Serbisch und Deutsch.

Das war nicht so schwer. Ich bin bilingual aufgewachsen, mein Gehirn hat sich früh aus zwei Sprachkreisen bedient – dem slawischen und germanischen, das war super für meine Synapsen. Englisch kam schnell dazu, auf Turnieren spricht man nichts anderes, und Französisch flog mir zu. Italienisch und Spanisch verstehe ich ja auch komplett.

Macht Klugheit beim Tennis automatisch besser?

Die ist eher hinderlich. Ich wünschte, ich könnte zwischendurch mal akzeptieren, dass es Niederlagen gibt, bei denen es einfach dumm gelaufen ist: Ich habe den Ball gut getroffen, vielleicht einen Zentimeter zu spät, der Ball geht drei Zentimeter ins Aus – habe ich da was falsch gemacht? Nein. Aber ich möchte immer analysieren, was war falsch, wie klappt es besser? Wenn es mal schlecht läuft, zerstöre ich mich durch mein Sezieren.

Was denken Sie dann?

Obwohl ich ordentlich spiele, kann es passieren, dass ich mir einrede, alles liefe verkehrt. Dann steigere ich mich rein: Ich treffe den Ball nicht, mein Aufschlag kommt nicht. Und überhaupt: Wieso hat meine Gegnerin einen roten Rock an? Absurd.

Wer kriegt Sie eingenordet?

Mein Vater macht sich gern lustig über mich. Ja, ja, meint er, darüber redet die ganze Tribüne, dass deine Gegnerin ausgerechnet heute einen roten Rock ausgesucht hat. Dann schnalle ich es auch. Meine Familie kommt aus dem ehemaligen Jugoslawien. Da wird man so erzogen, dass es gut ist, sich in der Gruppe aufzuhalten, sich umeinander zu kümmern.

Steffi Graf sagte mal: „Ich wollte nie eine öffentliche Person sein, deshalb galt ich früh als Zicke.“ Sie sind viel emotionaler, machen auf dem Platz schon mal ein Freudentänzchen oder brechen in Tränen aus.

Am Fernseher gefiel mir der emotionale Boris Becker viel besser, mit ihm konnte ich als Fan mitfiebern. Steffi Graf fand ich sehr nüchtern. Heute hat sich das umgedreht, da sehe ich ganz ehrfürchtig, wie selbstbeherrscht Steffi war. Ich wünschte, ich hätte von ihr nur ein, zwei Prozent.

Sie haben schon mit Steffi Graf trainiert. Der Clip ist auf Youtube häufig angeklickt worden.

Oft ist es ja so, wenn man ein Idol kennenlernt: Die Luft ist schnell raus. Man hat jemanden so idealisiert, dass die reale Person das gar nicht halten kann. Bei Steffi war es das Gegenteil. So eine warmherzige Frau! Nett, aufmerksam, zuvorkommend. Sie hat sich überhaupt nicht wichtig genommen, spielt noch unglaublich Tennis, tänzelt wie früher und hat mir ganz unprätentiös ein paar Tipps gegeben.

Zum Beispiel?

Wenn die Gegnerin kürzer spielt, ist sie sofort rein ins Feld, hat den Ball genommen und – bumm. Da kannst du ruhig schneller draufgehen, hat sie mir für solche Situationen empfohlen.

Boris Becker meinte, ein Tennisspiel zu gewinnen sei viel schwerer als ein Fußballspiel.

Wir können nicht mal mit Glück gewinnen. Beim Fußball kann eine Mannschaft 89 Minuten mauern, und in der 91. Minute gelingt ihr ein Kontertor. Im Tennis läuft keine Uhr runter.

Man müsse, so Becker, den Gegner emotional, geistig und körperlich besiegen.

Tennis ist zu 60 Prozent ein mentales Spiel. Oft spielt man am besten, wenn man gar nicht nachdenkt. Wenn man einfach passieren lässt, was in den Trainingsstunden automatisiert wurde. Das fühlt sich an wie Meditation, wie Urlaub von mir selbst, herrlich!

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Andrea Petkovic

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Kann nur gut spielen, wer nicht denkt?

Das ist der Idealfall. Aber über ein ganzes Match hinweg schafft man das intuitive Spielen höchstens fünf, sechs Mal im Jahr. Alles ist wie in Zeitlupe: Du siehst genau, was deine Gegnerin vorhat. Der Ball ist groß wie ein Fußball. Du hast alle Zeit, dich hinzustellen, und der Schläger gehorcht dir aufs Wort. Beim Großteil der Matches jedoch bin ich mit mir im Zwiegespräch und muss experimentieren, welche Mittel ich habe, um das Ding nach Hause zu geigen.

"Was mir am besten hilft, sind Atemübungen"

Hört sich an wie ein ewiger Selbsterfahrungskurs.

Absolut. Mein Tipp: Wer auf der Suche nach einem Selbstfindungstrip ist, der sollte Tennis spielen. Was mir am besten hilft, sind schlicht: Atemübungen. Bei der Atmung in den Bauch dehnst du dich aus. Wenn man darin Übung hat und die Luft noch etwas anhält, bevor man sie ausstößt, spürt man beim Ausatmen, wie die einzelnen Muskeln in ihrer Spannung nachgeben. Das ist auch wissenschaftlich erwiesen.

Die Uni Tübingen hat ermittelt, dass schon junge Leistungssportler jeden Tag über Schmerzen klagen. Klingt nicht gesund.

Man muss seinen Körper so gut kennenlernen, dass man Schmerzen unterscheiden kann. Dass man weiß, das ist nur ein muskulärer Schmerz, weil du müde bist, oder: Oh, oh, jetzt stopp! Bis zu meinen Verletzungen ...

2008 ein Kreuzbandriss, Ende 2011 ein Ermüdungsbruch, 2012/13 doppelter Bänder- und Meniskusriss.

... bin ich immer über die Schmerzgrenze gegangen. Ich wollte so hart trainieren wie ein Mann und war wie eine Maschine. Sogar mit meinem Ermüdungsbruch im unteren Rücken habe ich dreieinhalb Monate gespielt!

Verrückt!

Das Problem war: Der Schmerz ist gewandert, war mal im Gluteus, im Rücken, mal im Oberschenkel. Ich habe mir jeden Tag eingeredet, dass ich nur ein bisschen steif bin. Ich steckte im Hamsterrad des Erfolgs und habe mich gefürchtet, aus den Top Ten zu fliegen.

Ihre bisher erspielten Prämien von 4,5 Millionen US-Dollar sind der Lohn für die Gesundheit?

Schmerzensgeld, ja. Steffi hat einen halb kaputten Körper. Wenn ich in Las Vegas mit ihr trainiere, muss sie nach einer halben Stunde aufhören wegen Knie- und Hüftschmerzen. Boris Becker hat neue Hüftgelenke, Goran Ivanisevic kann seine Schulter kaum noch heben, weil er so hart aufgeschlagen hat. Alle haben sie etwas.

Ist es das wert?

Das kann ich in 20 Jahren besser beantworten. Heute gilt: Ich liebe dieses Leben, es ist ein Traum. Wir haben nur ein paar wenige Jahre, die wir im Fokus stehen, die alles überstrahlen. Deshalb denkt keiner, die anderen ja auch nicht, darüber nach, was wir unserem Körper antun. Es ist wie ein magischer Zauber.

Umfragen unter Nachwuchstalenten im Fußball zeigen, dass da die negativen Momente überwiegen. Empfinden Sie das nicht auch so?

Das Problem ist: Erfolgs- und Glücksmomente sind so flüchtig. Als ich im November das Tennis-Turnier der Champions in Sofia gewonnen hatte, war ich für ein paar Sekunden der glücklichste Mensch. Es war der bisher größte Titel meiner Karriere, ich habe nur Top-20-Spielerinnen geschlagen, ich war on top of the world. Und keine fünf Tage später verlieren wir im Fed-Cup-Finale gegen Tschechien. Die guten Emotionen lassen sich leider nicht konservieren, dafür brennen sich die Verletzungen lange im Gedächtnis ein.

Trotzdem machen Sie immer weiter.

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Andrea Petkovic

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Verletzt spürt man erst, dass die Endorphine, die Glückshormone, die sonst ausgeschüttet werden, fehlen. Das fühlt sich an wie eine kleine Depression. Ich bin es gewohnt, vier, fünf, sechs Stunden am Tag Endorphine zu produzieren. Wenn die ausbleiben, ist alles so durchschnittlich. Das macht Tennisspielen zu einer Sucht.

Andre Agassi, der Gatte von Steffi Graf, konnte am Ende seiner Karriere nur noch aus dem Bett kriechen. Springen Sie locker in den Tag?

Momentan, toi, toi, toi, bin ich in einem prima Zustand. Ich führe das auf meine Lebensweise zurück. Meine Physiotherapeutin ist auch Heilpraktikerin und kennt sich sehr gut mit Ernährung aus. Seit einer Weile esse ich kaum noch raffinierten weißen Zucker und weniger rotes Fleisch.

Rotes Fleisch ist doch der Eisenlieferant schlechthin.

Es liefert aber auch Säuren. Sportlerkörper sind sowieso überlastet, die Muskeln also übersäuert, und wenn man säurehaltige Nahrungsmittel zu sich nimmt, steigt die Verletzungsgefahr. Deshalb versuche ich viele Basen dagegenzusetzen: Salate, viel frisches Gemüse, Kartoffeln. Und meine Physiotherapeutin macht mir immer grüne Smoothies, weil ich nicht so gerne Gemüse esse.

Fußball-Weltmeister Christoph Kramer meint: Erfolg sei ein Drittel Talent, der Rest Wille und Glück.

Kann sein. Ich hatte Angebote für Stipendien in den USA, sogar für Ivy-League-Colleges. Diese Elite-Colleges suchen immer ein sportliches Aushängeschild. Mein Vater hätte sich gewünscht, dass ich einen guten Collegeabschluss mache. Im Sport ist es schwerer, erwachsen zu werden. Einerseits haben wir so viel erlebt, in anderen Bereichen sind wir als Topsportler noch lange Kinder.

In welchen?

In unserer persönlichen Entwicklung: Menschen einschätzen. Was wollen die von mir? Sind die an mir als Person interessiert? An meinem Ruhm? Wer sehr früh sehr gut ist, wird angehimmelt und umgarnt. Für uns ist es schwer möglich, normale Beziehungen aufzubauen ...

"Langeweile ist nicht das Problem, eher die Einsamkeit"

... und den Alltag zu meistern?

Man gewöhnt sich sehr an die ganzen Dienstleistungen, wie den Service im Hotel. Geduscht, pfft, Handtuch auf den Boden. Das habe ich zu Hause einmal gemacht, da hat mir meine Mutter vielleicht was erzählt!

Sie sind gerade erst bei den Eltern ausgezogen.

Ja, peinlich, oder?! Nummer 13 der Welt, Mitte 20 und noch daheim. Ich bin ja nie da – das war immer meine Ausrede. Aber mit 26 musste ich langsam raus. Jetzt habe ich ein eigenes Haus in Darmstadt und wohne mit meiner Schwester zusammen.

Sie sind rund 250 Tage im Jahr unterwegs – wie beschäftigen Sie Ihr Hirn?

Langeweile ist nicht das Problem, eher die Einsamkeit. Auch wenn meine Familie mitfliegt, ich bin im Turniermodus und entscheide alles so, wie es das Beste für mein Spiel ist. Dann gehe ich nicht ins Kino, weil ich lieber schlafe. Oder spaziere nicht durch die Stadt, aus Sorge, meine Füße könnten zu müde sein. Damit isoliere ich mich natürlich.

In den vergangenen Wochen waren Sie in Peking, Linz, Luxemburg, Sofia, Prag, Brisbane. Herrscht nur Routine zwischen Hotel und Tennisplatz?

Nach meiner Verletzungsmisere habe ich mich gezwungen, mehr Sightseeing zu machen. Ich bin jetzt 27, ich werde nicht mehr ewig spielen und es wäre megaschade, wenn ich überall auf der Welt war und nichts gesehen hätte. Am liebsten gehe ich in Museen. Zeitgenössische Kunst ab dem frühen 20. Jahrhundert interessiert mich am meisten. Oder sich ins Café setzen und Leute beobachten.

Was muss für unterwegs mit in den Koffer?

Ich reise mit Tennistasche und einer großen Handtasche. Sportkleidung würde ja reichen. Doch manchmal gehe ich ins Restaurant und ziehe mich nett an, damit ich mich mal wie eine normale Frau fühlen kann und nicht nur wie ein Wesen, das Kohlenhydrate tankt. Ich brauche auch fürs Hotel irgendein blödes Sweatshirt, worin ich mich wohlfühle. Und ich habe fünf, sechs Bücher dabei.

Kein E-Book?

Nee! Ich möchte eine große Bibliothek haben, deshalb besorge ich mir alle Bücher in echt.

Was lesen Sie?

Meistens zwei Bücher gleichzeitig: Eines Belletristik, eines Sachbuch, in allen Sprachen. Ich lese erst in Deutsch und dann in der Originalsprache, weil ich es nicht mag, wenn ich nicht gleich alles verstehe. Doch nach einem harten Training bin ich müde, dann gucke ich Schwachsinn im Fernsehen.

Haben Sie ein Lieblingsbuch?

„Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace.

Oha, „bandwurmartig verschachtelte Satzkonvolute“, so beurteilte der „Spiegel“ den Schriftsteller.

Wallace ist wirklich schwer zu lesen. Normalerweise brauche ich ein, zwei Wochen für ein Buch, hierfür fast acht Monate. Aber ich fand es wahnsinnig imponierend komponiert, teilweise so fragmentarisch.

Was ist mit Musik?

Dank Smartphone kann ich darauf von überall zugreifen. Doch ich habe den Anspruch, Gesamtkonzepte von Musikern zu verstehen. Also höre ich mir erst ganze Alben bei Spotify an, und was mir gefällt, kaufe ich. So unterstütze ich die Künstler und streame nicht nur kostenlos Hits.

Vermittelt Musik Ihnen Heimatgefühl?

Nein. Ich nehme mir beim Abflug eine deutsche Zeitung mit, und die lese ich dann über die ein bis zwei Turnierwochen von vorne bis hinten. „6. Januar 2015: Heute wurde in Duisburg das Allwetterbad geöffnet“ – so eine kleine Meldung ist Heimatgefühl. Davon zehre ich in der Ferne.

Lernen Sie noch diszipliniert fürs Fernstudium?

Wenn mich das Fach interessiert, kann ich mich auch nach einem harten Match hinsetzen und Sachtexte pauken. Politikwissenschaft war genau mein Ding. Leider musste ich im zweiten Modul Verwaltung dazunehmen, das war so langweilig. Eine Qual. Jetzt studiere ich Philosophie und Literatur. Mir geht es ja nicht um den Abschluss, ich will nur meinen Kopf beschäftigen.

Fühlen Sie sich mit Ihren 27 Jahren als Oldie? Steffi Graf ist mit 29 zurückgetreten.

Serena Williams ist jetzt 32, ihre Schwester Venus noch älter, die spielen auf höchstem Niveau. Mit Ernährung, gezieltem Training und viel Schlaf kann man die Karriere hinauszögern. Meine besten Jahre kommen erst, das spüre ich: Ein Grand- Slam-Titel wäre der Traum! Und die Olympischen Spiele in Rio, die will ich unbedingt erleben. 2012 war ich leider verletzt.

Die meisten Spieler werden später Trainer, TV-Experte oder Manager. Haben Sie einen Plan B?

Zwei Vorsätze habe ich: Zum einen will ich ein paar Jahre gar nichts mit Tennis zu tun haben. Schon als Ansporn, nicht den leichten Weg einzuschlagen. Und ich möchte anderen endlich etwas zurückgeben. Vielleicht mache ich mehr mit Charity. Jetzt dreht sich notgedrungen alles um mich. Das soll in meinem zweiten Leben anders werden.

Cornelia Heim

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