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Einmal berühmt. Sergej Stachowski hat 2013 Roger Federer geschlagen.

© dpa

Tennisprofi Sergej Stachowski: Mit dem Körper in Wimbledon, mit dem Kopf in der Ukraine

Der ukrainische Tennisprofi Sergej Stachowski rüttelt die geruhsame Welt in Wimbledon mit seinen Thesen zur Lage in seiner Heimat auf.

Inzwischen kann Roger Federer darüber lachen. Jedes Mal, wenn der Schweizer Sergej Stachowski bei einem Turnier in der Umkleide begegnet, dann scherzen sie über jenes Match vor einem Jahr in Wimbledon, das den Ukrainer zu einem berühmten Mann gemacht hat. Nun ist Stachowski nämlich derjenige Tennisspieler, der Federer geschlagen hat. Schon in der zweiten Runde und auf jenem Rasen, auf dem der Rekord-Grand-Slam-Sieger schon sieben Trophäen gewonnen hatte. Es war eine Sensation in der Tenniswelt.

„Wir haben schon gewitzelt, dass wir uns dieses Jahr erst im Finale begegnen können“, bemerkte Federer, „das ist gut für uns beide – okay, vor allem gut für mich.“ Dass Stachowski ihm damals das früheste Aus seit einem Jahrzehnt in Wimbledon beschert hatte, nimmt ihm Federer nicht übel. Dafür verstehen sie sich zu gut. Der 32 Jahre alte Schweizer hat Stachowski vor allem in den vergangenen sechs Jahren im Board der Spielervereinigung, dessen Präsident Federer bis zu diesem Jahr gewesen ist, als engagierten und streitbaren Geist kennen- und schätzen gelernt. Denn auch wenn Stachowski nun mit einem souveränen 6:3, 6:3 und 6:3-Sieg über den Argentinier Carlos Berloq ins Turnier gestartet ist, so treiben den Ukrainer im Moment doch weit ernstere Dinge um.

„Meiner Familie geht es zum Glück gut“, erklärte der 28-Jährige, „sie lebt in Kiew und da ist die Lage ruhig.“ Abgeschottet zwischen den altehrwürdigen Clubmauern von Wimbledon lässt sich schnell vergessen, dass die Welt sich manchmal um viel wichtigere Dinge als gelbe Filzkugeln dreht. „Die letzten Wochen und Monate waren die schwerste Zeit in meiner Karriere“, sagte Stachowski und atmete tief durch, „egal, wo ich war: Ich habe ständig auf das Handy geschaut, um zu sehen, was Zuhause passiert.“

Selten hört man in der Tennisbranche solch forschen Töne

Stachowski ist ein intelligenter Bursche, er spricht fünf Sprachen fließend, und besitzt einen messerscharfen Verstand. Im Kreis der oft sehr wohlbehüteten Tennisprofis ist Stachowski schon fast eine Ausnahmeerscheinung. Einer der wenigen, der sich nicht nur traut, seine Meinung zu formulieren, sondern vor allem eine hat. „Politik ist ein schmutziges Geschäft“, sagte er beinahe ein wenig ernüchtert. Das haben ihm nicht erst die letzten Krisen-Monate in seiner Heimat gezeigt.

„Es ist mir verdammt egal, was Russland oder Amerika will. Wir sind ein eigenständiges Land“, betonte Stachowski. Selten hört man in der meist so heilen und auf Hochglanz polierten Tennisbranche solche Töne. Als Profi hatte er zuletzt auch seine Probleme, war seit seinem Coup gegen Federer oft verletzt und auf Platz 90 der Weltrangliste abgerutscht. Aber das scheint geradezu belanglos, verglichen mit der rauen Wirklichkeit außerhalb des Tour-Kokons.

Täglich habe er Kontakt mit seiner Familie, fügte Stachowski hinzu, doch die Nachrichten verfolge er auch unterwegs inzwischen sehr kritisch. „Das russische Fernsehen ist nur Propaganda, mit denen spreche ich sowieso nicht. Aber das ukrainische Fernsehen muss man auch vorsichtig betrachten, denn sie versuchen alles zu kompensieren, was die Russen verbreiten.“ Er schaue daher nur noch britisches Fernsehen, das sei noch halbwegs objektiv. Wie lange die angespannte Lage noch dauern wird, vermag niemand zu sagen. „Das hängt alles nur von Herrn Putin ab und davon, wie lange er noch Truppen und Panzer in die Ukraine schicken will.“

Mit seiner Frau indes kann Stachowski nicht über Politik reden, sie ist Russin. „Wir diskutieren nicht mehr über unsere Ansichten“, sagte er ernst, „es ist hart. Aber wir hatten viel Streit darüber und deshalb lassen wir es. Wir wollen unsere Familie nicht zerstören.“

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