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Sport: Thomas Haas im Finale: Der deutsche Tennisprofi verblüfft in Sydney alle, am meisten sich selbst

Im Spielerzentrum des State Tennis Centre saß Thomas Haas vor einer großen Portion Pasta und staunte über sich selbst. "Vor vier Wochen war ich noch eine lahme Ente, und jetzt spiele ich hier um Gold.

Im Spielerzentrum des State Tennis Centre saß Thomas Haas vor einer großen Portion Pasta und staunte über sich selbst. "Vor vier Wochen war ich noch eine lahme Ente, und jetzt spiele ich hier um Gold. Das ist Wahnsinn", sagte der deutsche Tennisprofi, der ausgerechnet bei den Olympischen Spielen die tiefste Krise seiner Profikarriere beendet hat. 62 Minuten Weltklasse-Tennis gegen den Schweizer Roger Federer, ein nie gefährdeter 6:3, 6:2-Sieg und der grandiose Einzug ins olympische Endspiel waren der vorläufige Höhepunkt einer verrückten Rückkehr des Nationalspielers "aus der totalen Versenkung".

Schon mit der Gewissheit einer Silbermedaille in der Tasche will der lässig aufspielende Münchner den Russen Jewgeni Kafelnikow im größten Finale seit seinem Toureinstieg 1997 richtig ärgern. "Jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren", sagte der 22-Jährige, der auf einen Vormarsch ins Endspiel "keinen einzigen Pfennig" gesetzt hätte: "Das wäre ja reine Geldverschwendung gewesen." Mit seiner Halbfinal-Gala gegen den Schweizer Federer, der zuvor noch ohne Satzverlust gewesen war, zeigte Haas genau jene Qualitäten, die ihn ursprünglich einmal zum ersten Anwärter in der Becker-Erbfolge gestempelt hatten: "Wenn Tommy in der richtigen Stimmung ist, das richtige Umfeld hat, dann gehört er zur ersten Kategorie im Tennis", sagte DTB-Teamchef Carl-Uwe Steeb, der sich wünschte, "dass Tommy diese Leistungen nun wieder konstanter bringt".

Mit dem fünften Sieg im fünften Spiel kam Haas auch um einen lästigen Termin herum, "für den ich mich wahrscheinlich nur schwer hätte motivieren können": das Spiel um Bronze. "Das ist für einen Tennisspieler völlig ungewohnt", sagte Haas, "das wollte ich um jeden Preis vermeiden." Doch nach dem Coup auf dem Centrecourt konnte Haas in jedem Endspiel-Fall, ob Gold oder Silber, von einem neuen Aufbruch träumen, von einem anhaltenden Aufschwung und von mehr Stabilität in seinem sportlichen Wirken: "Den Rückenwind von Sydney muss ich nutzen", sagte Haas, der den Glauben an die eigenen Kräfte und Stärken zurückgefunden hat. Die beste Leistung eines schlimmen Jahres auch noch mit dem wertvollsten Triumph seiner gut 50 Monate als Berufsspieler gekrönt zu haben, verschlug Haas fast die Sprache: "Ich finde gar nicht die richtigen Worte für dieses Erlebnis", sagte der deutsche Wahl-Amerikaner, "es ist einfach ein Riesengefühl, sich aus dem ganzen Schlamassel rausgezogen zu haben." Versonnen stellte sich der 22-Jährige schon einmal vor, "wie es ist, wenn eine Medaille um den Hals baumelt".

Eine Medaille, die in diesem Sommer des Missvergnügens für Haas weit entfernt schien. "Manchmal wollte ich die Saison schon beenden und mich nur noch darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden", sagte Haas, der beim Stuttgarter Weissenhof-Turnier einen leichten Bandscheibenvorfall erlitten hatte. Erst bei den US Open griff der Bollettieri-Schüler wieder ins Geschehen ein, allerdings nur kurz: In Runde zwei verlor Haas in einer deprimierenden, ernüchternden Vorstellung gegen seinen Daviscup-Kollegen Rainer Schüttler und musste anschließend "schwer überlegen, ob ich mir Sydney in diesem traurigen Zustand überhaupt antue". Obwohl Haas in seiner Karriere schon immer zwischen Glanz und Elend geschwankt hatte, ganz in der Tradition seines früheren Idols Boris Becker, ist der Siegeszug von Sydney doch der unglaublichste Dreh des Nationalspielers. Motto: Ein Mann spielt verrückt. Ein Mann, der vor kurzem noch eine lahme Ente war.

Jörg Allmeroth

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