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Thomas Hitzlsperger (links), 29, spielte in der Vergangenheit für Aston Villa, den VfB Stuttgart und Lazio Rom. Nach dem Abstieg mit West Ham United stand der 52-malige Nationalspieler ohne Verein da, ehe er beim VfL Wolfsburg unterschrieb.

© dpa

Thomas Hitzlsperger im Interview: „Ich wollte nicht im Mitleid versinken“

Im Sommer 2011 war Thomas Hitzlsperger wochenlang ohne Verein. Im Interview sprach der ehemalige Nationalspieler über Angebote aus Dubai, monotones Einzeltraining und das Warten auf den Anruf von Felix Magath.

Von Benjamin Apitius

Herr Hitzlsperger, im vergangenen Sommer waren Sie zehn Wochen ohne gültigen Vertrag bei einem Fußballklub. Wie außergewöhnlich war dieser Zustand für Sie selbst?

Mich hat das nicht aus der Bahn geworfen. Es hat sich alles etwas hinausgezögert, weil die Marktlage entsprechend war. Ich habe mit einigen Vereinen in England gesprochen und die haben dann gesagt, sie seien zwar interessiert, aber könnten nicht viel bezahlen, oder der Kader sei zu groß und sie müssten erst noch Spieler loswerden. Das habe ich dann so akzeptieren müssen.

Was kann man in einer solchen Situation machen – außer darauf warten, dass Felix Magath endlich anruft?

Nach zwei Wochen Urlaub habe ich in London im Juni wieder angefangen zu trainieren, so umfangreich, als wäre ich ganz normal bei einem Verein: aufstehen, frühstücken, trainieren, Mittagessen, hinlegen, trainieren, Abendessen, Ruhe geben. Und das an drei Tagen in der Woche, an zwei Tagen nur einmal und dann ein, zwei Tage Pause. Und, ja, natürlich wollte ich auch nichts verschlafen. Ich habe alle Spiele im Fernsehen geschaut und den Transfermarkt sehr aufmerksam verfolgt – wo ist noch Bedarf, wo verlassen Spieler einen Verein?

Hat sich Ihre Marktanalyse denn bestätigt? Also haben sich tatsächlich Vereine gemeldet, bei denen Sie auch Bedarf auf Ihrer Position gesehen haben?

Nein. Es ist völlig irrational, was da teilweise abgelaufen ist. Es haben Vereine angerufen, die offensichtlich keinen Bedarf hatten. Und dann dachte ich manchmal, Mensch, die brauchen doch nun wirklich noch einen zentralen oder linken Mittelfeldspieler, warum melden die sich denn nicht?

Welche Absprachen haben Sie genau getroffen mit Ihrem Berater?

Ich wollte weiterhin Erste Liga spielen – in Deutschland oder in England. Und nicht noch einmal in ein Land gehen müssen, wo ich die Sprache nicht spreche, wo ich also noch länger brauchen würde, um mich einzugewöhnen.

Hat Ihre Situation auch Zwischenhändler auf den Plan gerufen?

Ja, das bleibt natürlich nicht aus. Es haben mich einige Spielerberater angerufen und gesagt, du, ich habe da drei Klubs in der Türkei für dich, oder in Moskau – oder willst du nicht nach Dubai gehen? Da habe ich nur gesagt, Leute, damit müsst ihr mir gar nicht erst kommen, das will ich einfach nicht.

Aber irgendwann mussten Sie wieder ein Angebot annehmen. Wie schwierig ist diese Balance, das beste Angebot nicht zu verpassen?

Man weiß es ja vorher nie so genau. Bei Lazio Rom hatte ich ein sehr gutes Gefühl, am Ende spielte ich nur selten. Bei West Ham war es genauso. Ich habe mich sehr gefreut, zu dem Klub zu kommen und wieder in der Premier League zu spielen. Dann war ich über ein halbes Jahr lang verletzt. In der Premier League für West Ham United zu spielen, war dagegen aber eine tolle Erfahrung. Leider sind wir am Ende abgestiegen.

Unter normalen Umständen würden Sie heute noch beim VfB Stuttgart spielen?

Es ging damals alles sehr schnell. Christian Gross plante nicht mit mir, da während meiner Verletzungspause die Mannschaft gute Ergebnisse erzielte. Ich wollte unbedingt mit zur WM und wechselte daher im Januar zu Lazio Rom. Und nun ist meine Karriere halt so verlaufen, ich bin jetzt in Wolfsburg. Stuttgart war eine schöne Zeit, vor allem sportlich sehr erfolgreich. Heutzutage gibt es ja kaum noch Spieler, die länger als vier, fünf Jahre bei einem Klub bleiben.

Ihrem Weggang aus Stuttgart folgte eine Reihe von Tiefpunkten.

Nein. Ich lasse mir nicht einreden, dass es Tiefpunkte waren. Es war zwar für meinen Geschmack ein Vereinswechsel zu viel, aber ich habe mich schnell in London eingelebt und auch hier in Wolfsburg gibt es keine Schwierigkeiten. Ich wäre auch lieber über Jahre bei einem einzigen Klub gewesen, das können Sie mir glauben. Aber ich habe keine Lust, mir einreden zu lassen: Es ist alles furchtbar. Denn wenn ich Ihnen das erzähle und daran auch noch glaube, dann kann ich gleich aufhören, dann bringe ich nichts mehr zustande.

Wie hat Ihre Familie in Deutschland reagiert auf Ihre Arbeitslosigkeit?

Meine Familie und meine ganzen Freunde wurden doch sehr unruhig am Ende. Sie fragten immer, ob sich denn mein Berater auch wirklich ausreichend kümmern würde. Die letzten zwei Wochen hat andauernd jemand angerufen und gefragt: Was ist jetzt, was ist jetzt? Ich musste sie beruhigen und ihnen klarmachen, dass es bald klappen wird. Viele wollten nicht begreifen, dass es mir gut geht, die dachten, das muss ja das Schlimmste sein auf der Welt.

Thomas Hitzlsperger: Stellen Sie sich vor, ich habe Fitnesswerte wie ein Breitensportler

Genügend Spieler sind an einer solchen Situation schon zerbrochen. Woher kam Ihre Zuversicht?

Ich habe schon so vieles erlebt als Fußballer. Was hätte es mir denn auch gebracht zu jammern, ich konnte das ja nicht erzwingen. Ich persönlich wusste für mich die ganze Zeit, dass ich bald ein gutes Angebot erhalten werde. Ich hatte ja nicht plötzlich das Fußballspielen verlernt.

Haben Sie zu jeder Zeit so gelebt, als würden Sie am nächsten Tag einen neuen Vertrag unterschreiben müssen – oder haben Sie das Leben auch einmal genossen, als müssten Sie nie wieder zu einem Training?

Es gab einzelne Tage, da war es schwieriger früh aufzustehen und alleine zu trainieren. Aber ich wusste ja immer, wofür ich das eigentlich mache. Hätte ich mich hängen lassen, dann wäre es sehr schwer geworden für mich, einen neuen Klub zu finden. Stellen Sie sich vor, ich trete da an und habe Fitnesswerte wie ein Breitensportler.

Hat es keinen Tag gegeben, an dem Sie sagten: Ach, lasst mich doch alle in Ruhe, ich mache jetzt gar nichts mehr?

Ich war gerade abgestiegen mit West Ham und, ehrlich gesagt, so wollte ich nicht aufhören mit Fußballspielen. Um Gottes Willen. Da musste ich eben durch. Es waren ja auch nur ein paar Wochen. Ich habe wirklich versucht, diese Zeit auch zu genießen. Ich habe das Schöne dabei gesehen.

Sie haben Dinge gemacht, die in einer normalen Pause zwischen zwei Spielzeiten nicht möglich gewesen wären?

Ich habe häufiger Tennis gespielt. Und ich habe mich mehr mit Freunden getroffen, es war natürlich abends mehr Zeit, um mal auszugehen, weil ich nicht in einem Trainingslager war.

Haben Sie Ihre eigene Vereinssuche in den Zeitungen verfolgt?

Vereinzelt habe ich darüber gelesen. Es waren teilweise schon dramatische Artikel, aber das ist nachvollziehbar. Es war kein gewöhnlicher Sommer, das würden Ihnen viele Trainer und Spieler bestätigen.

Es hat in dieser Zeit keine Stellungnahmen von Ihnen gegeben.

Leute haben mir regelrecht empfohlen, Interviews zu geben. Aber ich wollte nicht im Mitleid versinken, vielleicht noch sagen müssen, wie schwer das alles ist, und plötzlich reden alle nur noch von jungen Spielern. Ja, die sind gut, die jungen Spieler, sie sind auch zu recht da – aber auch für mich gibt es noch einen Platz. Das habe ich ja jetzt gesehen.

Mit welchen Gefühlen haben Sie Anfang August den Beginn der Bundesliga-Saison erlebt?

Ich war in England, das Eröffnungsspiel habe ich natürlich gesehen. Aber mein Fokus lag eher auf der Premier League. Als ich dann nach dem ersten Spieltag mit Felix Magath gesprochen hatte, da habe ich natürlich auf Wolfsburg geschaut, wie ist die Mannschaft zusammengesetzt, wie ist die Vorbereitung gelaufen, wie spielen sie jetzt in der Liga.

Warum hat es dann noch zwei Wochen gedauert ehe Sie bei ihm unterschrieben haben?

Es ist mir wichtig gewesen, ihn persönlich zu treffen. Bevor ich unterschreibe, wollte ich mit ihm ausführlich sprechen. Der Trainer ist für mich die wichtigste Person im Verein. Zwischen unseren beiden Treffen lagen dann ein, zwei Wochen, in denen mein Berater die Verhandlungen führte.

Hatten Sie Angst vor dem ersten Training unter Felix Magath?

Das Training von Felix Magath ist jeden Tag maximale Anstrengung, anders als alles, was ich vorher erlebt habe. Es sind andere Methoden, aber das ist ja mittlerweile allseits bekannt. Ich war also nicht überrascht, als er tatsächlich mit Medizinbällen aus der Kabine kam.

Herr Hitzlsperger, Robert Enke sagte mal, man müsse als Profifußballer einmal durch ein tiefes Tal gehen, um ein wirklicher Spitzenspieler zu werden. Denken Sie, dieser Satz wird auch auf Sie zutreffen?

Für mich war das kein dramatischer Einschnitt in mein Leben, nach dem ich sagen kann, ich weiß jetzt viel mehr über mich oder jetzt bin ich ein besserer Profi. Ich habe das wirklich gut verkraftet. Aber vielleicht ist das ja doch etwas Besonderes.

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