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Berufsoptimist. Thomas Müller hat bei dieser EM noch kein Tor erzielt – trotzdem ist er gut drauf. Foto: Imago

© imago/Team 2

Thomas Müller im Interview: „Italiens Abwehr ist nicht undurchdringbar“

Thomas Müller spricht im Interview über Italien-Klischees, etwaige Schwachpunkte des Viertelfinalgegners und seine eigene Torflaute bei dieser EM.

Herr Müller, Sie haben sich mit den Bayern in der Champions League gegen Juventus Turin durchgesetzt. Sind Sie immun gegen den Italien-Fluch?

Grundsätzlich hat Deutschland gegen Italien noch nie gewonnen bei einem Turnier. Aber das hat mit dem künftigen Spiel nix zu tun, außer dass es Geschichte ist, falls wir gewinnen sollten. Dann hätten wir das Ganze in die richtige Richtung gedreht. Und falls es aus irgendwelchen Gründen nicht reichen sollte, dann haben wir eben weiter den Italien-Fluch.

Gegen Juventus haben Sie in beiden Spielen jeweils ein Tor erzielt. Sie wissen also, wie es geht, oder?

Ja, aber auch das hat nichts mit dem Spiel am Samstag zu tun. Wissen Sie, ich spiele immer gern gegen italienische Mannschaften, weil die Spieler gute Typen sind, Sportsmänner. Das sind Spieler mit großer Erfahrung, die aber auch vor und nach dem Spiel sehr freundschaftlich sind. Man sagt ja auch, dass der Italiener auf dem Platz gern mal liegen bleibt oder viel mit dem Schiri diskutiert, aber so an sich, in den Zweikämpfen, wenn es mal mit Buffon oder Chiellini gerumpelt hat, dann wird einem aufgeholfen.

Sie kennen ja auch Italien-Klischees!

Also ich bin kein Freund von Klischees, sondern bin für Tatsachen und Beobachtungen, die man macht. Ich hefte mich nicht an die alten Klischees, um drauf los zu floskeln. Das ist mir der zu einfache Weg. Klar, man sagt Italien eine gewisse Cleverness nach und auch, dass sie auf dem Platz gern mal in die Grauzone des gerade noch Erlaubten gehen. Aber wenn noch zwei Minuten zu spielen sind und wir 1:0 führen, verlange ich von meinen Mitspielern auch nicht, dass wir jetzt zum Einwurf sprinten, dem Balljungen den Ball aus der Hand reißen, nur damit das Spiel schnell weitergeht. Es gehört alles Italienische, wenn es im Rahmen bleibt, zu einem Fußballspiel dazu. Ich bin dafür wegzugehen von Überschriften-Klischees. Ich halte mich an Fakten.

Welche sind das aktuell?

Die Italiener haben sich, soweit ich gesehen habe, richtig reingehauen bei dieser EM. Und sie agieren als Mannschaft. Sie haben typische Automatismen gezeigt, offensiv wie gerade auch defensiv, was jetzt nicht bewundernswert war, aber eine ihre Stärken ist. Ihr Spiel gegen Spanien in der ersten Halbzeit war sehr stark, gegen Belgien habe ich sie nicht so stark gesehen, wie geschrieben wurde. Belgien hatte doch eine Vielzahl an guten Tormöglichkeiten. Die Italiener verteidigen als Mannschaft und das auch gut, aber sie sind nicht undurchdringbar. Nur muss man die Torchancen, die man kriegt, dann auch nutzen.

Überrascht Sie der offensive Drang der Italiener?

Jede Mannschaft, die was gewinnen will, muss ja auch den Weg in die Offensive suchen. Italien war nie eine Mannschaft wie die Iren beispielsweise, die nur über das Verteidigen kommen und dann auf Standards setzen. Italien hatte schon immer klasse Fußallspieler. Ein Andrea Pirlo kam ja, wenn ich an die letzten zehn Jahre denke, doch eher über ein feines Füßchen als über die Rasierklinge. Wir sollten nichts erfinden über die Italiener.

Wir wollen nichts erfinden. Wie spielen die Italiener?

Sie spielen eben gern flach von hinten raus, sobald der Ball ins Mittelfeld kommt, spielen sie den Stürmer an, der lässt klatschen. Das sind klar ersichtliche Strukturen, die seit Jahren bei italienischen Mannschaft zu finden sind. Sie wissen eben gut, wo die Mitspieler stehen, weil es schon immer so war. Auch die beiden Spieler in der Spitze ergänzen sich gut. Der eine lange – ich glaube Pelle spricht der sich aus – ist der zentrale Anspielpunkt, und der andere, Eder, ist pfeilschnell. Das passt. Und man hat gesehen: Wenn man mit dem Ball in die Hälfte der Spanier kommt, hat man mehr Optionen, als wenn man mit Ball in die Hälfte der Polen kommt (lacht).

Deutschland spielt aber ganz ähnlich wie Spanien.

Überraschend an dem Spiel war einzig und allein, dass Italien es geschafft hat, den Spaniern den Ballbesitz so ein bisschen abzuluchsen. Im Endeffekt hatten die Spanier nicht die Ballbesitzzeiten, die man hätte erwarten können. Italien hat es geschafft, dass die Spanier nicht in ihr Spiel reingefunden haben.

Was wollen Sie daraus lernen?

Dass wir zu unserem Spiel finden, dass wir in die Zweikämpfe kommen, und dass wir die Duelle gewinnen müssen.

Wie zu Ostern, als Deutschland Italien 4:1 bezwang. Wie viel taugt dieses Erlebnis?

Ehrlich? Spiele der Vergangenheit haben nichts mit Spielen in der Zukunft zu tun. Genauso wenig, wie man sich als Spieler auf vergangenen Leistungen ausruhen kann, es zählt immer nur das nächste Spiel. Und: Ich sehe uns gut gerüstet. Ich bin auch optimistisch. Aber wie es im Sport so ist, der Gegner, speziell jetzt Italien, ist auch 'ne Hausnummer. Der Spielausgang ist völlig offen.

In diesem Spiel haben Sie Mario Götze nach dessen lang ersehnten Tor zum 2:0 liebevoll geohrfeigt. Haben Sie sich jetzt auch schon mal geohrfeigt, um mal wieder ein Tor zu schießen?

Jo, ich habe mich schon öfter gebackpfeift, wenn ich gemerkt hab’, ich bin vielleicht nicht ganz wach. Aber einen direkten Torerfolg hat das nicht bewirkt. (lacht). Da gehört schon mehr dazu.

Nagt es an Ihnen, dass Sie noch nicht getroffen haben?

Es nagt nicht. Wenn wir so spielen, wie wir bisher aufgetreten sind, diese mannschaftliche Geschlossenheit haben, dann ist alles okay. Es macht Freude, in dieser Mannschaft zu spielen, aber natürlich werde ich immer wieder darauf angesprochen, deswegen muss ich mich mit dem Thema zwangsläufig auseinandersetzen. Ich bin da sehr entspannt. Ich habe auch vor den Weltmeisterschaften gesagt, dass ich mir keine Tormarke setze.

Aber es ist schon komisch, dass Sie bei WM-Turnieren schon zehn Mal getroffen haben und bei EM-Turnieren, in jetzt neun Spielen, nicht einmal. Verstehen Sie das?

Es ist ja nicht so, dass wenn jemand mal ein Tor geschossen hat, der nun immer ein Tor schießen muss. Du musst erst mal in die Situation kommen und dann die Tore machen. Gegen Nordirland hatte ich meine besten Torsituationen, aber ich konnte aus den vier Chancen kein Tor machen. Wobei ich mir bei der ersten auch was ankreide, das hätte ich besser machen können. Die anderen waren recht ordentlich gemacht.

Denken Sie vielleicht defensiver bei dieser EM?

Nö, ich denk grundsätzlich nicht nur an mich. Ich sehe mich auch schon in der Verantwortung, dass jeder Einzelne funktioniert, dass die Mannschaft funktioniert. Ich weiß aber nicht, ob das damit zusammenhängt, dass ich jetzt noch kein Tor erzielt habe. Ich versuche meinen Mitspielern zu helfen, aber nicht so, dass mein Spiel darunter leidet.

Und wo, bitteschön, sehen Sie genau Schwächen bei den Italienern? Wo sehen Sie Lücken für sich?

Sie versuchen, hinten ruhig ihr Spiel aufzuziehen, wenn man da ein gutes Pressing spielt, dann bleibt ihnen nur die Lösung mit dem langen Ball. Wenn wir darauf gut vorbereitet sind, haben wir da vielleicht gute Balleroberungen, wo es bei uns dann auch mal schnell abgehen kann. Das hat man in der zweiten Halbzeit gegen Spanien gesehen, da wurden die Italiener etwas müder. Als ihr Linksaußen, der Giaccherini, dann noch mal zu einem Sprint ansetzte, da hat man doch richtig mitgelitten am Fernseher. Also, es werden sich Räume ergeben. Wenn alles Negative zusammenkommt, könnte es auch sein, dass wir Samstag die Heimreise antreten, so objektiv muss man sein. Aber ich denke schon, dass wir noch ein Weilchen hier bleiben.

Wie kommen Sie darauf?

Ich denke, dass wir heute stärker sind als vor zwei Jahren bei der WM. Wir sind breiter und tiefer aufgestellt als Mannschaft. Wir konnten uns hier steigern von Spiel zu Spiel und kommen auf Touren.

Dann ist es ja der beste Zeitpunkt, jetzt gegen Italien zu spielen, den alten Angstgegner?

Genau, es passt. Wir sind schon mal mit schwächeren Grundvoraussetzungen in Italienspiele gegangen.

Hinweis: Das Interview wurde gemeinsam mit mehreren anderen deutschen Journalisten geführt.

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